Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Selma Lagerlöf

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Читать онлайн книгу Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen - Selma Lagerlöf страница 26

Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen - Selma Lagerlöf

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vergiß nicht, daß ich doppelt so groß bin als du, und sei ein bißchen höflich. Ich wünsche gar nichts weiter, als dir die Wildgänse zu zeigen.“

      Einen Augenblick später war der Marder auf dem Wege den Abhang hinunter, und während Smirre zusah, wie er seinen schlangendünnen Körper von Zweig zu Zweig schwang, dachte er: „Dieser schöne Baumjäger hat das grausamste Herz der ganzen Schöpfung. Ich glaube, die Wildgänse werden mir für ein blutiges Erwachen zu danken haben.“

      Aber gerade, als Smirre den Todesschrei der Gänse zu hören erwartete, sah er den Marder in den Fluß hinunterplumpsen, so daß das Wasser hoch aufspritzte. Und gleich nachher erklang starkes Flügelschlagen, und alle Gänse flogen in wilder Hast auf.

      Smirre wollte den Gänsen schnell nachjagen, aber er war so neugierig zu erfahren, wie sie gerettet worden waren, daß er stehen blieb, bis der Marder wieder heraufgeklettert kam. Der Ärmste war patschnaß und hielt ab und zu an, um sich den Kopf mit den Vorderpfoten zu reiben.

      „Ich habe mir doch gedacht, daß du ein Tölpel wärst und in den Fluß fallen würdest,“ sagte Smirre verächtlich.

      „Ich habe mich nicht tölpelhaft angestellt, und du hast nicht nötig, mich zu schelten,“ erwiderte der Marder. „Ich saß schon auf einem der untersten Zweige und überlegte, wie ich eine ganze Menge von ihnen töten könnte, als ein kleiner Knirps, nicht größer als ein Eichhörnchen, aufsprang und mir mit solcher Kraft einen Stein an den Kopf warf, daß ich ins Wasser purzelte, und ehe ich wieder aus dem Wasser herauskrabbeln konnte – –“

      Der Marder brauchte nicht weiter zu berichten. Er hatte keinen Zuhörer mehr. Smirre war schon weit weg hinter den Gänsen her.

      Indessen war Akka südwärts geflogen, eine neue Schlafstelle zu suchen. Es war noch ein wenig Tagesschein vorhanden, und der Halbmond stand hoch am Himmel, so daß sie einigermaßen sehen konnte. Zum Glück kannte sie sich gut in der Gegend aus, denn es war mehr als einmal vorgekommen, daß die Gänse, wenn sie im Frühjahr über die Ostsee flogen, nach Blekinge verschlagen worden waren.

      Sie flog also am Fluß hin, solange sie ihn durch die mondscheinbeglänzte Landschaft wie eine schwarze, blinkende Schlange dahingleiten sah. Auf diese Weise gelangten sie bis hinunter zum Tiefen Fall, wo der Fluß sich in einer unterirdischen Rinne verbirgt und dann klar und durchsichtig, wie wenn er von Glas wäre, sich in eine enge Schlucht hinabstürzt, auf deren Boden er in glitzernde Tropfen und umherspritzenden Schaum zerschellt. Unterhalb des Falles lagen einige Steine, zwischen denen das Wasser in wilden Wirbeln aufschäumte, und hier ließ sich Akka nieder. Dies war wieder ein guter Ruheplatz, besonders so spät am Abend, wo keine Menschen mehr unterwegs waren. Bei Sonnenuntergang hätten die Gänse sich nicht gut hier niederlassen können, denn der Tiefe Fall liegt in keiner öden Gegend. Auf der einen Seite erhebt sich eine große Kartonnagefabrik, und auf der andern, die steil und mit Bäumen bestanden ist, liegt der Park von Tiefental, in dem beständig auf den schlüpfrigen und steilen Pfaden Menschen umherstreifen, die sich an dem tobenden Brausen des wilden Stromes erfreuen wollen.

      Es war hier gerade wie an dem ersten Platz; keine der Gänse schenkte der Tatsache, daß sie an einen weltberühmten Platz gekommen waren, auch nur einen Gedanken. Später dachten sie freilich, es sei unheimlich und gefährlich, auf solchen glatten, nassen Steinen mitten in einem Stromwirbel zu schlafen, der vielleicht aufwallen und sie mit fortreißen würde. Aber sie mußten zufrieden sein, wenn sie nur vor Raubtieren sicher waren.

      Nach einer Weile kam Smirre am Flußufer dahergerannt. Er erblickte die Gänse, die da draußen in den schäumenden Stromschnellen standen, und sah sogleich, daß er auch hier nicht zu ihnen gelangen konnte. Er fühlte sich sehr gedemütigt, ja, es war ihm, als stehe sein ganzes Ansehen als Jäger auf dem Spiel.

      Während er darüber nachdachte, sah er einen Fischotter mit einem Fisch im Maul aus dem Wirbel heraussteigen. Smirre ging auf ihn zu, blieb aber mit zwei Schritt Entfernung vor ihm stehen, um zu zeigen, daß er ihm seine Jagdbeute nicht nehmen wolle. „Du bist ein merkwürdiger Kerl, daß du dich mit Fischen begnügst, wenn doch die Steine dort draußen voller Gänse stehen,“ sagte Smirre. Er war so erregt, daß er sich nicht Zeit nahm, seine Worte so wohl zu setzen, wie es sonst seine Gewohnheit war.

      Der Fischotter wendete nicht einmal den Kopf nach dem Strom. „Dies ist nicht das erstemal, daß wir uns begegnen, Smirre,“ sagte er. Er war ein Landstreicher, wie alle Fischotter, und hatte oft am Vombsee gefischt, wo er auch mit Smirre zusammengetroffen war. „Ich weiß wohl, wie du es anfängst, dir eine Lachsforelle zu ergattern.“

      „Ach, bist du es, Greifan?“ sagte Smirre erfreut, weil er wußte, daß dieser Fischotter ein kühner und gewandter Schwimmer war. „Da wundert es mich nicht, daß du die Wildgänse gar nicht ansehen magst, denn du bist ja nicht imstande, zu ihnen hinzukommen.“

      Aber der Otter, der Schwimmhäute zwischen den Zehen, einen steifen Schwanz, der so gut wie ein Ruder ist, und einen Pelz hat, durch den das Wasser nicht dringen kann, wollte sich nicht nachsagen lassen, daß es einen Wasserwirbel gebe, den er nicht bewältigen könne. Er wendete sich dem Strome zu, und sobald er die Wildgänse erblickte, stürzte er sich über das steile Ufer in den Fluß hinein.

      Wäre der Frühling etwas weiter vorgeschritten und die Nachtigallen schon im Park von Tiefental eingetroffen gewesen, dann hätten diese sicher in vielen Nächten Greifans Kampf mit den Wasserwirbeln besungen.

      Denn der Otter wurde oft von den Wogen zurückgeworfen und in die Tiefe hinuntergerissen, aber er arbeitete sich immer wieder herauf und weiter nach den großen Steinen hin. Er schwamm in das stille Wasser hinter die Steine und kam so allmählich den Gänsen immer näher. Es war ein gefährliches Werk, das wohl wert gewesen wäre, von den Nachtigallen besungen zu werden.

      Smirre folgte dem Otter mit den Blicken, so gut er konnte. Er sah, daß dieser beständig näher an die Gänse herankam, und glaubte überdies zu sehen, daß er schon im Begriff war, zu ihnen hinaufzuklettern. Aber jetzt schrie der Otter plötzlich wild und gellend auf. Smirre sah, wie er rückwärts ins Wasser fiel und mitgerissen wurde wie ein blindes junges Kätzchen. Gleich darauf schlugen die Gänse hart mit den Flügeln; sie erhoben sich alle und flogen davon, sich wieder einen andern Ruheplatz zu suchen.

      Bald nachher kletterte der Otter ans Ufer. Er sagte kein Wort, sondern begann nur, seine eine Vorderpfote zu lecken. Aber als Smirre ihn verspottete, weil es ihm mißglückt sei, brach er los.

      „An meiner Schwimmkunst fehlte es nicht, Smirre. Ich war bis zu den Gänsen gekommen und wollte eben zu ihnen hinaufklettern, als ein kleiner Knirps auf mich lossprang und mich mit einem scharfen Eisen in den Fuß stach. Das tat mir so weh, daß ich das Gleichgewicht verlor, und dann ergriff mich der Wirbel.“

      Er brauchte nicht weiter zu erzählen. Smirre war schon weg und auf dem Weg zu den Gänsen.

      Noch einmal mußte Akka mit den Gänsen nächtlicherweile die Flucht ergreifen. Zum Glück war der Mond noch am Himmel, und bei dessen Schein gelang es ihr, eine von den andern Schlafstellen zu finden, die sie in dieser Gegend kannte. Sie flog wieder südwärts, den glänzenden Fluß entlang. Über dem Herrenhof von Tiefental und über Ronnebys dunklem Dach und weißem Wasserfall flog sie hin, ohne sich niederzulassen. Aber eine Strecke südlicher von der Stadt, nicht weit vom Meere, liegt die Ronnebyer Heilquelle mit ihrem Bade- und Quellenhaus, mit großen Gasthöfen und Sommerwohnungen für die Badegäste. Alles dies steht den ganzen Winter hindurch öde und leer, was alle Vögel zur Genüge wissen, und viele Vogelscharen suchen bei harten, stürmischen Zeiten auf den Altanen und Veranden der großen Gebäude Schutz.

      Hier ließen sich die Wildgänse auf einem Balkon nieder, und ihrer Gewohnheit gemäß schliefen sie sogleich

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