Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Selma Lagerlöf

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Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen - Selma Lagerlöf

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jetzt war die Sonne untergegangen, und nun wehte es kalt vom See herüber; die Dunkelheit senkte sich vom Himmel herab, das Unbehagen schlich sich hinter der Dämmerung her, und im Walde begann es zu knistern und zu prasseln.

      Jetzt war es vorbei mit dem frohen Mut, der ihn beseelt hatte, solange er da oben durch die Lüfte dahinflog, und in seiner Angst sah er sich nach seinem Reisegefährten um. Er hatte ja sonst niemand, an den er sich hätte halten können.

      Da sah er, daß der Gänserich noch schlimmer daran war als er. Der lag noch immer auf demselben Fleck, wo er niedergesunken war, und es sah aus, als liege er in den letzten Zügen. Sein Hals ruhte schlaff auf der Erde, seine Augen waren geschlossen, und der Atem war nur noch ein schwaches Zischen.

      „Lieber Gänserich Martin,“ sagte der Junge, „versuche einen Schluck Wasser zu trinken. Es sind keine zwei Schritte bis zum See.“

      Aber der Gänserich rührte sich nicht.

      Der Junge war freilich bisher gegen alle Tiere, den Gänserich nicht ausgenommen, recht hartherzig gewesen, aber jetzt erschien ihm dieser als die einzige Stütze, die er noch hatte, und er bekam große Angst, er könnte ihn verlieren.

      Er fing gleich an, ihn zu stoßen und zu schieben, um ihn zum Wasser hinzubringen. Das war eine harte Arbeit für den Jungen, denn der Gänserich war groß und schwer; aber schließlich gelang es ihm doch.

      Der Gänserich kam mit dem Kopfe zuerst ins Wasser hinein. Einen Augenblick blieb er still liegen, bald aber streckte er den Kopf heraus, schüttelte sich das Wasser aus den Augen und schnaubte. Dann schwamm er stolz zwischen das Röhricht hinein.

      Die Wildgänse lagen vor ihm im See. Sobald sie auf die Erde heruntergekommen waren, hatten sie sich ins Wasser gestürzt, ohne sich nach dem Gänserich oder nach dem Gänsereiter umzusehen. Sie hatten sich eifrig gebadet und geputzt, und jetzt schlürften sie halbverfaulte Teichlinsen und Wassergräser in sich hinein.

      Der weiße Gänserich hatte das Glück, einen kleinen Barsch zu entdecken, rasch ergriff er ihn, schwamm damit zum Strande hin und legte ihn vor dem Jungen nieder. „Das bekommst du zum Dank dafür, daß du mir ins Wasser hinuntergeholfen hast,“ sagte er.

      Dies war das erste freundliche Wort, das der Junge an diesem Tage zu hören bekam. Er wurde so froh darüber, daß er den Gänserich am liebsten umarmt hätte, aber er wagte es doch nicht. Und auch über die Gabe freute er sich. Zuerst meinte er zwar, es sei ihm ganz unmöglich, den Fisch roh zu essen, dann aber bekam er doch Lust, wenigstens den Versuch zu machen.

      Er fühlte nach, ob er sein Messer bei sich hätte, und wirklich hing es noch an seinem Hosenknopf, wenn auch so verkleinert, daß es nicht größer war als ein Zündholz. Aber den Fisch konnte er damit immerhin abschuppen und reinigen; und es dauerte gar nicht lange, da war der Barsch aufgegessen.

      Als der Junge gesättigt war, schämte er sich eigentlich, daß er etwas Rohes hatte essen können. „Ich bin offenbar gar kein Mensch mehr, sondern ein richtiges Wichtelmännchen,“ dachte er.

      Während der Junge den Fisch verzehrte, war der Gänserich ganz ruhig neben ihm stehen geblieben; aber als jener den letzten Bissen verschluckt hatte, sagte er mit leiser Stimme: „Wir sind unter ein recht eingebildetes Wildgänsevolk geraten, das alle zahmen Gänse verachtet.“

      „Ja, ich hab es wohl bemerkt,“ erwiderte der Junge.

      „Es wäre freilich sehr ehrenvoll für mich, wenn ich bis nach Lappland mit ihnen reisen und ihnen zeigen könnte, daß auch eine zahme Gans etwas leisten kann.“

      „O jaaa,“ erwiderte der Junge gedehnt, denn er traute dies dem Gänserich nicht zu, wollte ihm aber nicht widersprechen.

      „Ich glaube aber nicht, daß ich mich auf so einer Reise allein zurechtfinden kann,“ fuhr der Gänserich fort, „deshalb möchte ich dich fragen, ob du nicht mitkommen und mir helfen möchtest?“

      Der Junge hatte natürlich nichts andres gedacht, als so schnell wie möglich nach Hause zurückzukehren. Er war daher über die Maßen erstaunt und wußte nicht, was er sagen sollte. „Ich glaubte, wir beide seien nicht gut Freund miteinander,“ sagte er. Aber das schien der Gänserich ganz und gar vergessen zu haben; er erinnerte sich nur noch daran, daß der Junge ihm vorhin das Leben gerettet hatte.

      „Ich müßte eigentlich zu Vater und Mutter zurückkehren,“ sagte der Junge.

      „O, ich werde dich schon zu rechter Zeit zu ihnen zurückbringen!“ rief der Gänserich. „Und ich werde dich nicht verlassen, bis ich dich wieder vor deiner eignen Schwelle niedergesetzt habe.“

      Der Junge dachte, es wäre vielleicht ganz gut, wenn er seinen Eltern noch eine Weile nicht unter die Augen käme. Er war daher dem Vorschlag nicht abgeneigt und wollte gerade zustimmen, als er ein lautes Donnern hinter sich hörte. Die Wildgänse waren alle auf einmal aus dem See herausgesprungen und schüttelten jetzt das Wasser von sich ab. Dann ordneten sie sich, die Anführerin an der Spitze, in eine lange Reihe und kamen auf die beiden zu.

      Als der weiße Gänserich jetzt die Wildgänse betrachtete, war ihm gar nicht behaglich zumut. Er hatte erwartet, sie mehr den zahmen Gänsen ähnlich zu sehen und sich ihnen mehr verwandt zu fühlen. Aber sie waren viel kleiner als er, und keine von ihnen war weiß, sondern alle waren grau, an einzelnen Stellen ins Braune spielend. Und vor ihren Augen hätte er sich beinahe gefürchtet, sie waren gelb und glänzten, als ob Feuer dahinter brennte. Dem Gänserich war immer eingeprägt worden, es sei schicklich, langsam und breitspurig zu gehen, aber diese hier schienen gar nicht gehen zu können, ihr Gang war ein halbes Springen. Am meisten aber erschrak er, als er ihre Füße sah, denn die waren sehr groß und die Sohlen zertreten und zerrissen. Man sah wohl, daß die Wildgänse nie darauf acht gaben, wohin sie traten, und nie einen Umweg machten. Sonst waren sie sehr zierlich und ordentlich, aber an ihren Füßen konnte man sie als arme Landstreicher erkennen.

      Der Gänserich konnte dem Jungen gerade noch zuflüstern: „Rede nur keck von der Leber weg, aber sage nichts davon, daß du ein Mensch bist,“ da waren auch die Gänse schon bei ihnen angelangt.

      Sie blieben vor den beiden stehen und nickten viele Male mit dem Halse, und der Gänserich tat dasselbe, nur noch viel öfter. Sobald es des Grüßens genug war, sagte die Anführerin: „Jetzt sollten wir wohl erfahren, was ihr für Leute seid?“

      „Von mir ist nicht viel zu sagen,“ begann der Gänserich. „Ich bin im vorigen Jahre in Skanör geboren. Im Herbst wurde ich an Holger Nilsson von Westvemmenhög verkauft, und dort bin ich bis jetzt gewesen.“

      „Du scheinst keine Familie zu haben, auf die du stolz sein könntest,“ sagte die Anführerin. „Woher kommt es dann, daß du so keck bist, dich mit den Wildgänsen einzulassen?“

      „Vielleicht, um euch wilden Gänsen zu zeigen, daß auch wir zahmen etwas leisten können,“ antwortete der Gänserich.

      „Ja, das wäre gut, wenn du uns das zeigen könntest,“ sagte die Anführerin. „Wir haben nun schon gesehen, wie du fliegen kannst, aber möglicherweise bist du in andrer Hinsicht tüchtiger. Bist du stark im Dauerschwimmen?“

      „O nein, dessen kann ich mich nicht rühmen,“ antwortete der Gänserich; er glaubte zu merken, daß die Anführerin schon entschlossen war, ihn nach Hause zurückzuschicken, und es war ihm deshalb gleichgültig, was er antwortete. „Ich bin noch nie weiter geschwommen, als quer über eine Mergelgrube,“ fuhr er fort.

      „Dann

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