Eiserner Wille. Mike Tyson
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Damals befand ich mich in einem Teufelskreis. Ich klaute Geld und kaufte mir schöne Dinge davon, und dann kamen die älteren Kids und nahmen mir meine Sneakers, meine Jacke und meinen Schmuck ab. Wie konntest du dich gegen diese großen Monster wehren? Jeder hatte Angst. Aber irgendwie habe ich es geschafft, in solchen Situationen nicht draufzugehen. „Das ist Mike, Mann“, sagte dann einer meiner älteren hippen Freunde, und die bösen Jungs ließen mich gehen. Ich begann zu glauben, dass ich ein besonderes Schicksal hätte. Ich wusste immer, dass ich nicht in der Gosse sterben, dass irgendetwas Bedeutendes mit mir passieren würde. Ich war eine unsichere Kanalratte, aber ich wollte Ansehen, ich wollte berühmt werden, ich wollte, dass die Welt auf mich blickt und mir sagt, ich sei schön. Dabei war ich nichts als ein verdammt fettes, verwahrlostes Kind.
Es ist schon witzig, dass ich mich für etwas Besonderes hielt, nur weil ein weißer Baseballspieler Mike Tyson hieß. Er war ein Profispieler im Infield bei den St. Louis Cardinals, und weil ich denselben Namen wie dieser Typ hatte, wusste ich einfach, dass ich anders war und weit rumkommen würde.
Dann lernte ich einen weißen Typen kennen, einen alten italienischen Gentleman, der ebenfalls dachte, ich sei etwas Besonderes. Sein Name war Cus D’Amato, und er pflanzte mir Visionen von Ruhm und Ehre in den Kopf. Ohne diesen Mann würde ich nicht in einem schicken Hotel sitzen und aus dem Fester sehen. Vielleicht würde ich immer noch in Brownsville leben, in irgendeinem schäbigen Apartmenthaus, oder Chickenwings in einer billigen Uptown-Frittenbude essen, statt Pasta beim Zimmerservice zu bestellen. Vielleicht wäre ich auch schon tot.
Damals, als ich noch ein Kind war, hatte ich immer Angst, wieder in die 42. Straße zu gehen, weil mich vielleicht so ein Wichser vom Vortag erkennen könnte, mich verfolgen und mir die Seele aus dem Leib prügeln würde. Jetzt kann ich die 42. auch nicht hinunterlaufen, denn jemand könnte mich zu Tode lieben. Ist das nicht verrückt? Ich gehe die 42. entlang, und so viele wollen mit mir abklatschen, dass ich ins Auto fliehen muss.
Und das ist nicht nur an meinen früheren Tummelplätzen so. Ich kann fast nirgends auf der Welt die Straßen entlanggehen. Ist das nicht ein Wahnsinn? Wir können nicht mal in Dubai Schmuck kaufen gehen. Ich kann das Hotel nicht verlassen, ohne dass ich sofort umringt bin. Und das alles wegen Cus. Nein, ich will mich nicht beschweren, ich bin sehr dankbar für meine heutige Situation. Aber ich verstehe immer noch nicht, wie das alles geschah. Wie konnte dieser in Upstate New York im Exil lebende Boxmanager und -trainer vorhersagen, dass ich der jüngste Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten sein würde, nur weil er mich weniger als zehn Minuten beim Sparring gesehen hatte, als ich dreizehn war?
Dieses Buch erzählt von unserer Beziehung zueinander. Cus D’Amato war einer der außergewöhnlichsten Menschen, die je auf diesem Planeten gewandelt sind. Er berührte das Leben so vieler Menschen und half ihnen, bessere Versionen ihrer selbst zu werden. Er machte die Schwachen stark. Und er machte einen fetten, ängstlichen Dreizehnjährigen zu einem Kerl, der nicht auf die Straße gehen kann, weil er das bekannteste Gesicht der Welt besitzt.
Vor Cus retteten die Tauben mir das Leben. Als Heranwachsender war ich ein fetter Versager, die Art Kind, dem das Kleingeld gestohlen, dessen Sandwich in den Dreck geworfen und dessen Brille zerbrochen und in den Benzintank eines Lasters geworfen wird, der vor der Schule parkt. Ich wurde täglich tyrannisiert, bis ich von den älteren, cooleren Jungs auf ein Dach in der Nähe meines Zuhauses gebracht wurde, wo ich ihre Taubenkäfige sauber machen sollte. Sie hielten Tauben auf diesem Dach. Das verstand ich überhaupt nicht. Die Vögel sahen so klein und unbedeutend aus; wieso sollten sich coole Jungs so dafür interessieren? Aber man sah an ihren lächelnden Gesichtern, dass ihnen diese Tauben alles bedeuteten.
Als mich die Leute mit diesen Jungs da oben sahen, sagten sie: „Lasst bloß den Jungen in Ruhe, der kennt diese Typen.“ Du legst dich nicht mit Kerlen an, die Tauben haben. Man wusste, dass sie jeden vom Dach warfen, der sich an ihren Tauben vergriff.
Vom Taubenpfleger wurde ich zum Kleinkriminellen. Ich hing nie mit Gleichaltrigen herum. Ich wurde von meinen älteren Freunden angelernt, Bug und Barkim beispielsweise. Weil ich kleiner war, ließen sie mich in Fenster einsteigen, um dann von innen die Tür zu öffnen, damit sie das Haus ausrauben konnten. Einmal kamen Bug und ich ins Gefängnis. Er scherzte, dass er in den richtigen Knast käme, während ich Urlaub bei Milch und Keksen in der Jungendstrafanstalt machen dürfte. Ich war wie ein richtiger Lehrling und übernahm das Verhalten der älteren Jungs auf der Straße.
Mit der Zeit wurde ich größer und kräftiger, aber ich fühlte mich immer noch wie die kleine Brillenschlange, die ständig tyrannisiert wird. Ich glaubte nie, dass ich ein Kämpfer werden würde, aber ich hing ständig mit meinem Freund Wise ab, einem Amateurboxer. Wir rauchten Gras und machten Schattenboxen. Wise machte beim Schattenboxen immer den Ali-Shuffle. Mein erster Kampf kam zufällig zustande. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon etwas von meinem gestohlenen Geld zum Kauf eigener Tauben verwendet. Ich hielt sie in einem verlassenen Gebäude neben dem Haus, in dem ich wohnte. Ein Typ namens Gary Flowers stahl einen meiner Vögel, und als ich ihn zur Rede stellte und die Taube zurückverlangte, zog er sie aus seinem Mantel, drehte ihr den Hals um und beschmierte mich mit ihrem Blut. Ich war rasend vor Wut, traute mich aber nicht, auf ihn loszugehen, bis mich einer meiner Freunde anstachelte: „Du musst gegen ihn kämpfen, Mike.“ Also verpasste ich ihm eine Rechte, er ging zu Boden, und ich war völlig baff. Ich wusste erst gar nicht, was ich tun sollte. Dann dämmerte mir, wie cool es aussah, wenn Wise den Ali-Shuffle machte. Ich begann zu shuffeln und alle klatschten. Mein erster Vorgeschmack von Applaus.
Kämpfen war wichtig in meinem Viertel. Wenn du ein guter Kämpfer warst, hatte man Respekt vor dir und niemand hätte versucht, dich zu beklauen. Langsam baute ich mir einen Ruf als Straßenkämpfer auf. Hinterhältige Überraschungshiebe waren meine besondere Stärke. Wenn einer während einer Schlägerei ausrutschte und am Boden lag, griff ich erst recht an. Ich habe nicht alle Kämpfe gewonnen. Oft wurde ich auch richtig verprügelt, weil ich mit Älteren kämpfte. Ich war elf, zwölf Jahre alt und kämpfte mit Typen, die über dreißig waren. Wenn ich sie beim Würfeln abzockte, wollten sie mir als Kind kein Geld geben. Aber wenn einer nicht zahlte, zahlten alle nicht. Also griff ich den Kerl an. Diese Männer konnten Schusswaffen tragen, aber das war mir egal. Sie wussten, dass ich kein Anfänger war, deshalb mussten sie kämpfen oder mir eine Waffe über den Schädel ziehen.
Als wir jung waren, glaubte ich, dass all meine Freunde für immer zusammenbleiben würden. Aber das Leben ging weiter, und dann kamen die ersten Leute zu Tode. Ich kannte niemanden, der heiratete, aufhörte zu klauen und rechtschaffen wurde. Für mich sah es so aus, dass wir mit unserem kriminellen Leben weitermachen würden, bis andere uns töteten oder wir sie. Manchmal gingen wir auf Raubzug und einer unserer Freunde starb – jemand erstach oder erschoss ihn. Man möchte meinen, dass wir nach Hause liefen und seiner Mutter erzählten, was passiert war, aber wir versuchten noch mehr zu ergattern. Wir gingen erst heim, wenn wir genug Geld hatten. Da waren wir wie Haie, machten einfach immer weiter.
Meine Mutter hatte mehr und mehr die Nase voll von meinem Leben als Kleinkrimineller, weil ich immer mehr Zeit in Spofford verbrachte. Der richtige Name lautete Bridges Juvenile Center, ein rattenverseuchtes Loch in der Spofford Avenue im Hunts-Point-Teil der Bronx. Dort einzulaufen, war wie ein Klassentreffen, wie in Cheers, wo jeder deinen Namen kennt. Es gab zwar keine Klimaanlage, aber wenigstens hattest du drei warme Mahlzeiten und eine Schlafkoje. Und Milch und Kekse.
Einmal,