Gesammelte Werke. Aristoteles
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(1098b) Man darf auch nicht unterschiedslos überall nach der Ursache fragen23. Bei einigem genügt es vielmehr, das »daß« gehörig nachzuweisen, wie auch bei den Prinzipien; das »daß« ist ja Erstes und Prinzip. Die Prinzipien selbst aber werden teils durch Induktion erkannt, teils durch Wahrnehmung, teils durch eine Art Gewöhnung, teils noch auf andere Weise24. Man muß sie also im einzelnen auf die ihrer Besonderheit entsprechende Art zu ermitteln suchen und sich rechte Mühe geben, sie zutreffend zu bestimmen. Denn das Prinzip als Anfang dürfte mehr als die Hälfte des Ganzen sein und schon von selbst vieles erklären, was man wissen möchte25.
Achtes Kapitel.
Wir müssen dasselbe jedoch nicht nur auf grund der Schlußfolgerung und der begrifflichen Voraussetzungen zu ermitteln suchen, sondern ebenso auf grund der darüber herrschenden Ansichten. Mit der Wahrheit stimmen alle Tatsachen überein, mit dem Irrtum aber gerät die Wahrheit bald in Zwiespalt.
Man unterscheidet drei Arten von Gütern: äußere Güter, Güter der Seele und Güter des Leibes. Von diesen gelten die der Seele als die wichtigsten, als Güter im vollkommensten Sinne. Die seelischen Akte und Tätigkeiten legen wir aber der Seele bei. Mithin möchte unsere Begriffsbestimmung zutreffend sein, wenn anders jene alte, auch von den Philosophen allgemein adoptierte Schätzung der Güter etwas beweist.
Auch darum erscheint sie als richtig, weil sie als Endziel gewisse Akte und Tätigkeiten aufstellt. Denn so liegt das Endziel in Gütern der Seele, auch insofern sie den äußeren Gütern gegenüberstehen.
Ebenso stimmt es zu ihr, daß man von dem Glücklichen sagt, er lebe gut und gehabe sich gut. Mit unserer Definition ist ja ungefähr so viel gesagt wie gutes Leben und gutes Gehaben26.
Neuntes Kapitel.
Auch alle Erfordernisse zur Glückseligkeit, die man von den verschiedenen Seiten geltend gemacht hat, scheinen sich in unserer Bestimmung zu finden. Die einen halten die Glückseligkeit für Tugend, andere für Klugheit, andere für eine Art Weisheit, wieder andere für alles dieses oder eines davon in Verbindung mit Lust oder doch nicht ohne Lust. Andere nehmen auch noch den äußeren Segen hinzu. Diese Ansichten werden teils von vielen Alten, teils von einzelnen berühmten Männern vertreten. Von beiden ist aber nicht anzunehmen, daß sie ganz und gar fehl gehen, vielmehr werden sie je in einer Beziehung, wo nicht gar in den meisten, Recht haben.
Mit denen also, die die Glückseligkeit in die Tugend oder auch in eine Tugend setzen, stimmen wir überein. Denn in den Bereich der Tugend fällt die ihr gemäße Tätigkeit. Nur möchte es keinen kleinen Unterschied machen, ob man das höchste Gut in ein Besitzen oder ein Gebrauchen, in einen bloßen Habitus oder in eine Tätigkeit (1099a) setzt. Der Habitus kann ja, wie z. B. bei einem, der schläft oder sonst wie ganz untätig ist, vorhanden sein, ohne irgend etwas Gutes zu verrichten, der Aktus, die Tätigkeit, aber nicht. Denn sie wird notwendig handeln und gut handeln. Wie aber in Olympia nicht die Schönsten und Stärksten den Kranz erlangen, sondern die, die kämpfen (denn nur unter ihnen befinden sich die Sieger), so werden auch nur die, die recht handeln, dessen, was im Leben schön und gut ist, teilhaftig27.
Auch ist ihr Leben an und für sich genußvoll. Lust genießen ist etwas Seelisches, und lustbringend ist für jeden dasjenige, wovon er ein Liebhaber ist, wie z. B. das Pferd für den Pferdeliebhaber, und für den Liebhaber des Schauspiels dieses. Ebenso ist das Gerechte für den Freund der Gerechtigkeit und überhaupt das Tugendgemäße für den Freund der Tugend lustbringend. Bei der Menge freilich steht das Lustgewährende miteinander im Widerspruch, weil es diese Eigenschaft nicht von Natur hat, dagegen gewährt den Liebhabern des sittlich Guten dasjenige Lust, was sie von Natur gewährt. Diese Eigenschaft haben aber die tugendgemäßen Handlungen, und so müssen dieselben gleichzeitig für den Tugendhaften und an sich mit Lust verbunden sein. Daher bedarf auch sein Leben der Lust nicht wie einer äußern Zugabe, sondern es hat dieselbe schon in sich. Denn abgesehen von dem Gesagten ist der nicht wahrhaft tugendhaft, der an sittlich guten Handlungen keine Freude hat, und niemand wird einen Mann gerecht nennen, wenn er an gerechten, oder freigebig, wenn er an freigebigen Handlungen keine Freude hat, und so weiter. Ist dem aber so, dann müssen die tugendgemäßen Handlungen an sich genußreich, überdies aber auch gut und schön sein, und zwar dieses alles im höchsten Maße, wenn anders der Tugendhafte richtig über sie urteilt. Das tut er aber wie gesagt. Und somit ist die Glückseligkeit das Beste, Schönste und Genußreichste zugleich, und diese Dinge liegen nicht auseinander, wie die Aufschrift zu Delos will:
Schönstes ist was Gerechtestes ist, das Beste Gesundsein,
Aber das Süsseste ist, wenn man erlangt was man liebt.
Denn dieses alles kommt den besten Tätigkeiten zugleich zu. In diesen aber oder der besten ihrer liegt nach uns die Glückseligkeit.
Indessen bedarf dieselbe wie gesagt auch wohl der äußeren Güter, da es unmöglich oder schwer ist, das Gute und Schöne ohne Hilfsmittel zur Ausführung zu bringen. Vieles (1099b) wird wie durch Werkzeuge mit Hilfe der Freunde, des Reichtums und des Einflusses im Staate zustande gebracht; andererseits trübt der Mangel gewisser Dinge, wie ehrbarer Herkunft, braver Kinder, körperlicher Schönheit die Glückseligkeit. Der kann nicht als sonderlich glücklich gelten, der von ganz häßlichem Äußern oder ganz gemeiner Abkunft oder einsam und kinderlos ist, und noch weniger vielleicht einer, der ganz lasterhafte Kinder oder Freunde hat oder die guten Freunde und Kinder, die er hatte, durch den Tod verlor. Deshalb also bedarf die Glückseligkeit wie gesagt auch solcher äußeren Güter, und so mag es sich erklären, daß einige das äußere Wohlergehen der Glückseligkeit gleich setzen, wie andere die Tugend.
Zehntes Kapitel.
Daher28 wirft sich auch die Frage auf, ob die Glückseligkeit durch Lernen, Gewöhnung oder sonst eine Übung erworben, oder durch eine göttliche Fügung oder auch durch Zufall dem Menschen zu teil wird.
Man kann nun annehmen, daß wenn irgend etwas ein Geschenk der Götter an die Menschen ist, dann die Glückseligkeit von Gott kommt, und zwar um so mehr, als sie von den menschlichen Gütern das Beste ist.
Indessen gehört das wohl mehr zu einer anderen Untersuchung29. Aber selbst wenn sie nicht von den Göttern verliehen, sondern durch Tugend und ein gewisses Lernen oder Üben erworben wird, scheint sie zu dem Göttlichsten zu gehören; denn der Preis und das Ziel der Tugend muß doch das Beste und etwas Göttliches und Seliges