Das Haus der Freude. Edith Wharton
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Heute aber brachte ihr diese Aufforderung das Gefühl der Versklavung, das der Blick in ihr Scheckbuch gestern Nacht in ihr wachgerufen hatte, erneut zu Bewusstsein. Alles in ihrer Umgebung trug dazu bei, sich wohlzufühlen und die Annehmlichkeiten zu genießen. Die geöffneten Fenster ließen die strahlende Frische des Septembermorgens herein, und zwischen den gelben Zweigen hindurch erblickte sie Hecken und Blumenbeete, die nach und nach weniger geformt in das freie wellige Gelände des Parks übergingen. Ihre Zofe hatte im Kamin ein kleines Feuer angezündet, und es wetteiferte fröhlich mit dem Sonnenlicht, dessen schräge Strahlen auf den moosgrünen Teppich fielen und die geschwungenen Seiten des alten Intarsienschreibtisches liebkosten. Neben dem Bett stand ein Tisch und darauf ihr Frühstückstablett, mit sorgfältig aufeinander abgestimmtem Porzellan und Silber, einer Handvoll Veilchen in einem schlanken Glas und der Morgenzeitung, die ordentlich gefaltet neben ihren Briefen lag. An diesen Zeichen geschickt in Szene gesetzten Luxus war nichts Neues für Lily, aber auch wenn sie zu der ihr eigenen Atmosphäre gehörten, verlor sie doch nie die Empfänglichkeit für solche Reize. Reine Protzerei hinterließ bei ihr nur das Gefühl der eigenen überlegenen Vornehmheit, aber zu allen subtileren Hinweisen auf Reichtum fühlte sie sich hingezogen.
Mrs. Trenors Aufforderung erinnerte sie jedoch jäh daran, wie abhängig sie war, und sie stand auf und zog sich in gereizter Laune an, der nachzugeben sie sonst zu klug war. Sie wusste, dass solche Gefühle Linien auf dem Gesicht genauso wie auf dem Charakter hinterließen, und sie hatte doch vorgehabt, sich die kleinen Fältchen, die ihre mitternächtliche Begutachtung gezeigt hatte, als Warnung dienen zu lassen.
Die Selbstverständlichkeit, mit der Mrs. Trenor sie begrüßte, verstärkte ihre Gereiztheit noch. Wenn man sich schon zu einer solchen Stunde aus dem Bett quälte und frisch und strahlend zu etwas so Eintönigem wie Briefeschreiben erschien, wäre doch wohl eine besondere Anerkennung dieses Opfers angemessen. Aber Mrs. Trenors Ton ließ nicht erkennen, dass ihr die Tatsache bewusst wäre.
»O Lily, das ist nett von dir«, seufzte sie nur über das Chaos von Briefen, Rechnungen und anderen häuslichen Dokumenten hinweg, die der schlanken Eleganz ihres Schreibtisches ein unangemessen geschäftliches Aussehen gaben.
»Ich habe hier so viel Widerwärtiges heute morgen«, fügte sie noch hinzu, machte dabei in der Mitte des Durcheinanders etwas Platz frei und stand auf, um Miss Bart ihren Stuhl zu überlassen.
Mrs. Trenor war eine große blonde Frau, deren Größe sie gerade noch davor bewahrte, zu üppig zu wirken. Ihre rosige Blondheit hatte schon etwa vierzig Jahre sinnloser Aktivitäten überstanden, ohne auffallende Spuren schlechter Behandlung zu zeigen, wenn man einmal von einem arg reduzierten Mienenspiel absah. Es war schwierig, sie zu beschreiben, man konnte höchstens sagen, dass sie nur als Gastgeberin zu existieren schien, nicht so sehr aus einem übertriebenen Instinkt der Gastfreundschaft heraus, sondern vielmehr, weil sie das Leben nicht ertragen konnte, wenn sie sich nicht unter vielen Leuten aufhielt. Der kollektive Charakter ihrer Interessen nahm sie von den gewöhnlichen Rivalitäten ihres Geschlechts aus, und sie kannte keine persönlicheren Gefühle als die des Hasses gegen Frauen, die sich anmaßten, größere Dinners zu geben oder amüsantere Wochenendgesellschaften als sie zu haben. Weil ihre sozialen Talente, unterstützt von Mr. Trenors Bankkonto, sie bei einem solchen Wettstreit letzthin doch immer den Triumph davontragen ließen, hatte der Erfolg in ihr eine bedenkenlose Gutmütigkeit dem Rest ihres Geschlechts gegenüber entstehen lassen, und in Miss Barts Einstufung ihrer Freunde nach Nützlichkeit nahm Mrs. Trenor den Rang der Frau ein, bei der es am wenigsten wahrscheinlich war, dass sie ihr einmal »die kalte Schulter« zeigen würde.
»Es war schlichtweg unmenschlich von Pragg, jetzt zu verschwinden«, erklärte Mrs. Trenor, als ihre Freundin sich an den Tisch setzte. »Sie sagt, ihre Schwester bekäme ein Baby – als wenn das etwas wäre im Vergleich mit einer Gesellschaft für mehrere Tage! Ich werde sicher alles durcheinanderbringen, und es wird schreckliche Streitereien geben. Als ich unten in Tuxedo war, habe ich eine ganze Reihe Leute für nächste Woche eingeladen, habe aber dann die Liste verlegt und kann mich jetzt nicht mehr erinnern, wer kommen wird. Und diese Woche wird auch ein scheußlicher Reinfall werden – und Gwen Van Osburgh wird heimfahren und ihrer Mutter erzählen, wie sehr sich die Leute gelangweilt haben. Ich hatte gar nicht vor, die Wetheralls einzuladen, das war ein Fehler von Gus. Sie haben Vorbehalte gegen Carry Fisher, weißt du. Als ob man ohne Carry Fisher auskäme! Es war natürlich töricht von ihr, sich ein zweites Mal scheiden zu lassen – Carry muss immer alles gleich übertreiben –, aber sie sagt, die einzige Möglichkeit, einen Penny aus Fisher herauszuholen, war es, sich von ihm scheiden und ihn Alimente zahlen zu lassen. Und die arme Carry muss ja mit jedem Dollar rechnen. Es ist wirklich absurd von Alice Wetherall, so ein Theater zu machen wegen ihrer Anwesenheit, wenn man bedenkt, was aus der Gesellschaft geworden ist. Jemand sagte neulich, dass es eine Scheidung und eine Blinddarmentzündung in jeder Familie gäbe, die man kennt. Außerdem ist Carry die Einzige, die Gus bei Laune halten kann, wenn wir Langweiler im Haus haben. Ist dir schon aufgefallen, dass alle Ehemänner sie mögen? Ich meine alle, bis auf ihre eigenen. Ich finde es ziemlich geschickt von ihr, sich speziell öden Leuten zu widmen – das ist so ein weites Feld, und sie hat es praktisch ganz für sich allein. Sie sorgt ganz zweifellos für Ausgleich – ich weiß, dass sie sich Geld von Gus borgt –, aber andrerseits würde ich sie sogar bezahlen, solange sie ihn bei Laune hält, darum kann ich mich nicht beklagen, wenn man es richtig überlegt.«
Mrs. Trenor hielt inne, um sich an dem Anblick zu erfreuen, den Miss Bart bot, die sich bemühte, die verwickelte Korrespondenz zu entwirren.
»Aber es sind ja nicht nur die Wetheralls und Carry«, begann Mrs. Trenor sich mit frischer Kraft zu beklagen. »Um die Wahrheit zu sagen, ich bin ganz schrecklich enttäuscht von Lady Cressida Raith.«
»Enttäuscht? Hast du sie denn vorher nicht gekannt?«
»Um Himmels willen, nein – ich habe sie gestern zum ersten Mal gesehen. Lady Skiddaw schickte sie mit Empfehlungsschreiben zu den Van Osburghs, und ich hörte, dass Maria Van Osburgh in dieser Woche eine große Einladung ihretwegen geben wollte, deswegen dachte ich, es wäre doch lustig, sie wegzuholen, und Jack Stepney, der sie von Indien her kennt, hat das für mich arrangiert. Maria war wütend und hatte doch wahrhaftig die Frechheit, Gwen dazu zu bringen, sich hier einladen zu lassen, damit sie nicht ganz übergangen würden – wenn ich gewusst hätte, wie Lady Cressida ist, hätten sie sie mit Kusshand haben können! Aber ich dachte, eine Freundin der Skiddaws wäre mit Sicherheit amüsant. Erinnerst du dich, was für einen Spaß wir mit Lady Skiddaw hatten? Es gab Augenblicke, da musste ich die Mädchen einfach aus dem Zimmer schicken. Außerdem ist Lady Cressida die Schwester der Herzogin von Beltshire, und ich hatte natürlich angenommen, sie wäre ihr ähnlich, aber mit diesen englischen Familien weiß man ja nie. Sie sind so groß, dass sie für alle möglichen Charaktere Platz haben, und jetzt zeigt sich, dass Lady Cressida von der moralischen Sorte ist, einen Pfarrer geheiratet hat und Missionsarbeit im East End leistet. Stell dir vor, ich mache mir die ganze Mühe wegen einer Pfarrersfrau, die indischen Schmuck trägt und sich für Botanik interessiert! Sie hat Gus gestern dazu gebracht, sie durch die ganzen Treibhäuser zu führen, und hat ihn dann zu Tode gelangweilt, indem sie ihn andauernd nach den Namen der Pflanzen gefragt hat. Denk nur, behandelt die Gus, als wäre er der Gärtner!«
Mrs. Trenor brachte all das in einem Crescendo der Entrüstung vor.
»Nun ja, vielleicht wird Lady Cressida die Wetheralls mit Carry Fishers Anwesenheit versöhnen«, sagte Miss Bart friedfertig.
»Das kann ich nur hoffen! Aber sie langweilt die Männer so schrecklich, und wenn sie auch noch anfängt, Traktate zu verteilen, was sie, wie ich höre, tut, wird es wirklich gar zu deprimierend. Das Schlimmste ist,