Das Haus der Freude. Edith Wharton

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Das Haus der Freude - Edith Wharton Reclam Taschenbuch

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Platz besorgen! Kann nicht jemand woanders hingesetzt werden? Ich will bei meinen Freunden sitzen. Oh, wie geht es Ihnen, Mr. Gryce? Versuchen Sie doch ihm begreiflich zu machen, dass ich einen Sitzplatz bei Ihnen und Lily haben muss!«

      Mrs. George Dorset stand in der Mitte des Ganges, ohne auf den schüchternen Versuch eines Reisenden mit einer Reisetasche zu achten, der sein Bestes tat, ihr Platz zu machen, indem er ausstieg; sie verbreitete um sich jene allgemeine Irritation, die gutaussehende Frauen auf Reisen nicht selten verursachen.

      Sie war kleiner und schlanker als Lily Bart, mit einer ruhelosen Biegsamkeit in ihrer Haltung, so als ob man sie hätte zusammenknüllen und durch einen Ring ziehen können, wie die wallenden Stoffe, an denen sie Gefallen fand. Ihr kleines blasses Gesicht schien nur die Fassung für ein Paar dunkler unglaublicher Augen zu sein, deren träumerischer Blick in sonderbarem Kontrast zu der Selbstsicherheit ihrer Stimme und Gestik stand, so dass einer ihrer Freunde bemerkte, sie gleiche einem körperlosen Geist, der eine Menge Raum einnahm.

      Nachdem sie schließlich doch entdeckt hatte, dass der Sitzplatz neben Miss Bart zu ihrer Verfügung stand, nahm sie ihn mit einer weiteren Verdrängung ihrer Umgebung in Besitz, während sie erklärte, dass sie am Morgen in ihrem Wagen von Mount Kisko gekommen sei und sich in Garrisons eine Stunde lang die Beine in den Bauch habe stehen müssen, noch dazu ohne den Trost einer Zigarette, weil der Rohling von Ehemann vergessen hatte, ihr Etui aufzufüllen, bevor sie am Morgen weggefahren war.

      »Und um diese Tageszeit hast du, nehme ich an, keine einzige mehr übrig, oder Lily?«, schloss sie mit klagender Stimme.

      Miss Bart fing den erstaunten Blick von Mr. Percy Gryce auf, dessen Lippen nie von Tabak besudelt wurden.

      »Was für eine absurde Frage, Bertha!«, rief sie und errötete bei dem Gedanken an den Vorrat, den sie bei Lawrence Selden angelegt hatte.

      »Wieso, rauchst du nicht? Seit wann hast du es denn aufgegeben? Was – du hast nie – und Sie auch nicht, Mr. Gryce? Ah, natürlich – wie dumm von mir – ich verstehe.«

      Und Mrs. Dorset lehnte sich zurück in ihre Reisepolster mit einem Lächeln, das Lily wünschen ließ, es wäre kein Platz neben ihrem frei gewesen.

      III

      Bridge dauerte auf Bellomont meist bis in die frühen Morgenstunden; und als Lily in dieser Nacht zu Bett ging, hatte sie länger gespielt, als sie sich leisten konnte.

      Weil sie kein Bedürfnis verspürte, in ihr Zimmer zu gehen, wo sie sich für ihr Verhalten würde Rechenschaft ablegen müssen, verweilte sie noch ein wenig auf der breiten Treppe und schaute in den Saal hinunter, wo die letzten Kartenspieler um ein Tablett mit hohen Gläsern und silberummantelten Karaffen gruppiert saßen, das der Butler gerade auf einem niedrigen Tisch neben dem Kamin abgesetzt hatte.

      Der Saal war mit Arkaden versehen und mit einer Galerie, die von Säulen aus blassgelbem Marmor getragen wurde. Hohe Büsche blühender Pflanzen hatte man vor dem Hintergrund dunklen Blattwerks in den Ecken arrangiert. Auf dem karmesinroten Teppich dösten ein Jagdhund und einige Spaniels wohlig vor dem Feuer, und das Licht der großen Deckenlampe in der Mitte des Raumes gab dem Haar der Frauen strahlenden Glanz und ließ ihre Juwelen Funken sprühen, wenn sie sich bewegten.

      Es gab Augenblicke, in denen solche Szenen Lily viel Freude bereiteten, in denen sie ihrem Sinn für Schönheit und ihrem Verlangen nach der äußerlichen Vollendung des Lebens entgegenkamen; es gab aber auch solche, in denen sie ihr noch verschärft vor Augen führten, wie dürftig ihre eigenen Möglichkeiten waren. Jetzt war gerade ein Moment, in dem sie vornehmlich diesen letzten Gegensatz empfand, und sie wandte sich ungeduldig ab, als Mrs. George Dorset Percy Gryce hinter sich her in ein vertrauliches Eckchen unter der Galerie zog, wobei der Flitter, der sich auf ihrem Kleid schlängelte, im Licht glitzerte.

      Nicht, dass Miss Bart gefürchtet hätte, sie könnte den eben erst erworbenen Einfluss auf Mr. Gryce verlieren. Mrs. Dorset würde ihn vielleicht in Erstaunen versetzen oder blenden können, aber sie hatte weder das Geschick noch die Geduld, ihn wirklich zu erobern. Sie war zu ichbezogen, um die Tiefen seiner Schüchternheit zu ergründen, und außerdem, warum sollte sie sich die Mühe machen? Höchstens einen Abend lang konnte es sie amüsieren, sich über seine einfache Art lustig zu machen – danach würde er ihr nur zur Last fallen, und weil sie das wusste, würde sie ihn, erfahren, wie sie war, nicht ermutigen. Aber allein der Gedanke an diese andere Frau, die sich einen Mann nehmen und ihn beiseite schieben konnte, wie sie wollte, ohne ihn als möglichen Faktor in ihren Plänen ansehen zu müssen, erfüllte Lily mit Neid. Percy Gryce hatte sie den ganzen Nachmittag über gelangweilt – schon der Gedanke an ihn schien ein Echo seiner eintönigen Stimme in ihr wachzurufen –, aber sie konnte ihn am andern Morgen nicht einfach unbeachtet lassen, sie musste ihren Erfolg ausnutzen, musste sich weiterer Langeweile unterwerfen, musste ihm von neuem entgegenkommen und ihr Anpassungsvermögen unter Beweis stellen, und all das allein in der Hoffnung, dass er ihr schließlich und endlich die Ehre geben würde, sie für den Rest ihres Lebens zu langweilen.

      Ihr Schicksal war hassenswert, aber wie konnte man ihm entrinnen? Welche Wahl hatte sie denn? Sie konnte nur sie selbst sein oder eine Gerty Farish. Als sie ihr Schlafzimmer betrat mit seinem weich abgedunkelten Licht, den Morgenrock aus Spitze über die seidene Bettdecke gebreitet, ihren bestickten Pantöffelchen vor dem Kamin, mit einer Vase voller Nelken, welche die Luft mit ihrem Duft erfüllten, und den neuesten Romanen und Magazinen, die noch unaufgeschnitten auf einem Tisch neben der Leselampe lagen, kam ihr Miss Farishs beengte Wohnung in den Sinn, deren billige Annehmlichkeiten und hässliche Tapeten. Nein, für vulgäre und schäbige Umgebungen, für die elenden Kompromisse der Armut, war sie einfach nicht gemacht. Ihr ganzes Wesen entfaltete sich erst in einer Atmosphäre von Luxus; das war der Hintergrund, den sie brauchte, das einzige Klima, in dem sie zu atmen vermochte. Aber der Luxus anderer war nicht das, was sie wollte. Vor wenigen Jahren hatte er ihr noch genügt: Sie hatte ihre tägliche Zuteilung an Vergnügen angenommen, ohne sich darum zu kümmern, wer sie ihr gab. Jetzt fing sie an, die Verpflichtungen, die daraus erwuchsen, als aufreibend zu empfinden; sie fühlte sich wie jemand, der den Glanz nur als Leihgabe erhält, den sie einmal als ihren eigenen betrachtet hatte. Es gab sogar Augenblicke, in denen ihr bewusst wurde, dass sie für ihren Lebensstil bezahlen musste.

      Lange Zeit hatte sie sich geweigert, Bridge zu spielen. Sie wusste, dass sie es sich nicht leisten konnte, und sie fürchtete sich davor, Geschmack an etwas so Kostspieligem zu finden. Sie hatte die Gefahr am Beispiel von mehr als einem ihrer Bekannten erkannt; einer war Ned Silverton, der liebenswerte blonde junge Mann, der jetzt mit völliger Hingabe dicht neben Mrs. Fisher saß, einer auffälligen, geschiedenen Dame mit Augen und Gewändern, die ebenso aufdringlich wirkten wie die Schlagzeilen, die ihrem »Fall« gewidmet worden waren. Lily konnte sich noch erinnern, wie der junge Silverton in ihren Kreis gestolpert war, mit dem Auftreten des verirrten Arkadiers, der entzückende Sonette in der Zeitschrift seines Colleges veröffentlicht hatte. Seither hatte er eine Vorliebe für Mrs. Fisher und Bridge entwickelt, und Letzteres zumindest hatte ihn in Unkosten gestürzt, aus denen ihn mehr als einmal gequälte, unverheiratete Schwestern gerettet hatten, die seine Sonette wie einen Schatz hüteten und ihren Tee ohne Zucker tranken, um ihren Liebling weiterhin über Wasser zu halten. Neds Fall war Lily vertraut: Sie hatte gesehen, wie der Ausdruck seiner bezaubernden Augen – die viel mehr Poesie in sich hatten als seine Sonette – sich veränderte, zunächst von Überraschung in Vergnügen und dann von Vergnügen in Angst, als er nach und nach den Verlockungen des schrecklichen Glücksgottes erlag, und sie hatte Angst davor, dieselben Symptome an sich zu entdecken.

      In den letzten Jahren hatte sie nämlich gemerkt, dass ihre Gastgeberinnen von ihr erwarteten, am Spieltisch Platz zu nehmen. Das gehörte zu dem Tribut, den sie für deren ausgedehnte Gastfreundschaft zu entrichten hatte, ebenso wie für die Kleider und die kleinen Schmucksachen, mit denen ihre unzulängliche Garderobe ab und an aufgebessert wurde. Und seit sie

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