The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart
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Das blubbernde Ideal von ewiger Sonne, Freiheit und Einfachheit des Erdenlebens, das die Surfmusik jedem verhieß, ob er nun tatsächlich über den kalifornischen Ozean ritt wie der sonnengebräunte Modellathlet Dennis Wilson, oder ob er wie dessen sensibler, unsportlicher Bruder Brian, der zum genialen Komponisten der Beach Boys wurde, lieber an der Matratze lauschte als an brausenden Wellen – dieses Ideal der Surfmusik wirkte auf Keith wie ein Elixier aus den Händen eines Mephistopheles. Ihre Traumwelt feuerte ihn an, seinen eigenen Traum nicht aufzugeben, an sich selbst zu glauben und in seiner Gipsvertriebsabteilung dem trüben Alltag zu entkommen.
Und nicht zuletzt sicherten ihm sein Bekenntnis und seine Begeisterung für Surfmusik weitere Aufmerksamkeit. Er konnte damit auch in seinem Fachgebiet, in der Musik, den Paradiesvogel geben, das Unikum der Szene; denn wer außer Keith kannte in London 1962 schon Surfmusik? Man mochte ein Mod sein und damit den Trend vorwegnehmen, der zwei Jahre später in den Medien hochgekocht wurde. Oder man war ein Rocker. Oder ein später Teddyboy. Aber ein Surfer?
The Beachcombers jedenfalls, die ob ihres Namens eigentlich davon gehört hatten sollten, waren, bevor Keith in die Band eintrat, alles andere als britische Pioniere des amerikanischen Westcoastsounds, auch wenn diese Vermutung im Rückblick nahe liegt und das immer wieder geschrieben und gelesen wird.
Zwei Nachbarjungen aus Harrow im Nordwesten von London – Norman Mitchener, der Leadgitarre spielte, und Bassist Tony Brind – hatten die Gruppe als reine Skiffleband in den späten fünfziger Jahren gegründet. Ein weiterer Freund, John Schollar, bediente die Rhythmusgitarre, und Ron Chenery, der schon vierundzwanzigjährige Sänger, stand unter dem Namen Clyde Burns am Mikro.
Mit den Jahren hatten sie sich als eingespielte Formation im Tourzirkus von Bob Druce etabliert und verfügten über eine treue Anhängerschaft. Sie bezeichneten sich selbst als „Shadows of The Shadows“, was damals durchaus als Auszeichnung verstanden wurde, was aber eher bedeutete, dass sie einen musikalischen Abklatsch der britischen Elvis-Kopie Cliff Richard & The Shadows darstellten.
Drummer Alan Roberts hatte den Anschluss an den Rock’n’Roll zuletzt ein wenig verpasst und war deswegen geschasst worden. Ersatzmann Ricky Winters, ein erfahrener Mann, der seiner frisch angetrauten Frau zuliebe die Karriere bei den erfolgreichen Rebel Rousers aufgegeben hatte, erhielt auch für eine weniger zeitaufwendige Beschäftigung mit den Beachcombers keine Freigabe von seiner Gattin.
So kam es, dass das Quintett eine Suchanzeige in der Lokalzeitung aufgab und die örtliche Conservative Hall anmietete, um sich aus einer Reihe von Aspiranten, die sich auf die Annonce hin gemeldet hatten, den richtigen auszusuchen.
Unter den sechs oder sieben jungen Männern, die mit ihren Drumkits zum Vorspielen erschienen waren, war auch ein mondgesichtiger Junge, der peinlicherweise von seinem Vater begleitet wurde. „Wir sind eine Männerband“, erklärten die Beachcombers dem nichtsdestotrotz euphorischen Teenie. „Du bist zu jung. Du würdest zu den Örtlichkeiten, an denen wir auftreten, nicht mal Zutritt kriegen. Komm in ein paar Jahren wieder.“
Doch Keith Moon ließ sich nicht abwimmeln. Er wartete ab, bis der erste Drummer, der optisch den Ansprüchen der Gruppe zusagte, sein Schlagzeug in der Halle aufgebaut hatte – der Band gegenüber, damit man sich gegenseitig genau begutachten konnte. Nach den ersten Takten war klar, dass man nicht zusammenpasste.
Danach sahen die Beachcombers, dass sich der Knabe und sein Vater nicht vom Platz gerührt hatten. Die Prozedur wiederholte sich, Keith wurde aufgefordert, in einigen Jahren wieder zu kommen, während der nächste Drummer sein Instrumentarium installierte, beim Probespielen dann vergeblich versuchte, mit der Band Schritt zu halten, und schließlich abzog. Keith blieb weiter vor Ort. Vater Moon sagte: „Wir sind den ganzen Weg hergekommen, da könnt ihr es ihn wenigstens mal probieren lassen.“
„Er ist nicht alt genug fürs Autofahren“, wandte einer der Beachcombers ein. „In einer Profiband braucht man ein Auto.“
„Kein Problem“, meinte Vater Moon, „ich fahre ihn. Ich kann euch alle fahren. Ich habe einen Transporter.“
Das war nun allerdings das letzte, was sich die Mitglieder der Beachcombers, alle schon über zwanzig, gewünscht hätten: einen besorgten Daddy, der bei ihren Auftritten in Armeeklubs, Kneipen und verrauchten Tanzhallen ihren halbwüchsigen Drummer eskortierte. Doch als sich der letzte neben Moon verbliebene Kandidat ebenfalls als untauglich erwies, ließen sich die Musiker erweichen und gaben Keith seine Chance.
Er baute sein glitzerndes silberblaues Schlagzeug, immerhin ein professionelles Premier, so schnell auf, dass alle staunten. Vor allem aber baute er es nicht der Band gegenüber auf wie alle Konkurrenten zuvor, sondern hinter der Band, als würde er schon dazu gehören.
Mut hatte der Kleine, das musste man ihm lassen. Mal sehen, was er so draufhatte. Norman Mitchener schlug eine Rock’n’Roll-Nummer vor, die ein Bürschlein in Keiths Alter wohl kennen mochte, und zählte die Vier vor: „Es war, als würde eine Bombe hinter uns explodieren“, erzählt John Schollar, nach all den Jahren immer noch verblüfft. „Wir konnten kaum glauben, wie viel Lärm von diesem Knirps hinter den Trommeln ausging.“
Die Gruppe rockte mit Keith durch den ersten Standard, durch den zweiten, den dritten, Chuck Berry, Elvis, Buddy Holly, die neueste Shadows-Single – Keith kannte alles. „Er sagte, ja, klar, kenne ich, und dann legte er los, vollkommen sicher und ohne zu patzen“, wundert sich Tony, der Bassist.
Und Norman, der Bandleader, bestätigt: „Er war gut, und er war laut. Sein Spiel war irgendwie etwas Besonderes. Vor allem wie er die Snaredrum bearbeitete, sehr hart, sehr treibend.“
„Wir kamen zu dem Schluss, dass er der Beste war“, sagt Ron. Und das war’s.
Vater Moon fragte, ob er das Schlagzeug mit nach Hause nehmen sollte; aber die Musiker meinten, sie würden Keith später selbst heimbringen, und nach einer ausgiebigen Probe stand endgültig fest, dass Keith bei einer der bekanntesten Profibands von Nord-London die Schlagzeugstöcke übernehmen sollte.
Die vielen Übungsstunden zuhause, mit Carlo, mit den Escorts und den Strangers hatten sich endlich ausgezahlt. Keith war in einer Band angekommen, die regelmäßig auftrat und ein eigenes Publikum hatte. Gleichwohl hatten alle Beachcombers gute Jobs und praktizierten ihr Musikerleben nur nach Feierabend. Ron Chenery, der Älteste, arbeitete als Ingenieur, die anderen drei waren Bauzeichner in der Ausbildung. Mit seinen sechzehn Jahren war Keith wieder einmal mit Abstand der Jüngste; aber die gefestigten Beachcombers stabilisierten auch sein Leben. Er behielt den Job bei British Gypsum länger als erwartet, bis in die Anfangszeit mit den Who sogar, und stieg zu einem ordentlichen Außendienstmitarbeiter auf.
Wie bei allen Bands, in denen Keith mitspielte, wurde er auch für die Beachcombers bald so etwas wie das Maskottchen. Seine Kollegen konnten kaum fassen, wieviel Energie in diesem kleinen Kerl steckte. Es schien, als sei sein Leben eine bloße Verlängerung seines Schlagzeugspiels – genauso vital, unberechenbar, explosiv und kommunikativ. Ständig schnitt er Grimassen, blödelte, hüpfte, sprudelte, flitzte umher, und seine Neugier war sprichwörtlich. Wenn jemand einen Schrank aufmachte, stand er schon da und wollte wissen, was sich darin befand.
Ron, der Sänger, war es schließlich, der Keith mit einem neuen Spitznamen ausstattete: „Schaut ihn euch an, wie ein verrücktes Wiesel.“
Ein Wiesel in einem goldenen Anzug. Die Beachcombers