Yoga und Religion. Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter
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Ist es dein Ziel, frei zu sein mit der Freiheit des Geistes, musst du dich von allen Banden lösen, die nicht zur inneren Wahrheit deines Wesens gehören, sondern unterbewussten Gewohnheiten entstammen. Willst du dich vollständig, absolut und ausschließlich dem Göttlichen weihen, tue es ganz und aufrichtig. Lass nicht Teile von dir hier und da verkettet bleiben. Du magst einwenden, es sei nicht leicht, mit allen Bindungen radikal zu brechen. Aber hast du in deinem Leben zurückgeblickt und die Veränderungen bemerkt, die in dir im Laufe weniger Jahre stattgefunden haben? Tust du dies, so fragst du dich fast immer, wie du nur so fühlen und handeln konntest, wie du es unter gewissen Umständen getan hast, und manchmal erkennst du dich in der Person, die du noch vor zehn Jahren warst, nicht mehr wieder. Wie willst du dich also an das binden, was war oder ist? Und wie willst du im Voraus festlegen, was in Zukunft sein kann oder nicht?
All deine Beziehungen müssen auf innerer Freiheit und Wahl neu begründet werden. Die Überlieferungen, in denen du lebst oder erzogen worden bist, sind dir durch den Druck der Umgebung, die allgemeine Vorstellung oder die Wahl anderer auferlegt worden. Da ist unweigerlich ein Zwangselement in deiner Zustimmung. Auch die Religion ist den Menschen auferlegt worden. Meist wird sie durch religiöse Furcht, spirituelle oder sonstige Bedrohung aufrechterhalten. Es darf aber in deiner Beziehung mit dem Göttlichen keinerlei Nötigung dieser Art geben. Sie muss frei sein, Ergebnis der Wahl deines Mentals oder Herzens, voll Enthusiasmus und Freude. Was für eine Verbindung ist das, von der man schaudernd sagt: „Ich bin dazu verpflichtet, ich darf nicht anders.“? Die Wahrheit leuchtet von selbst ein und braucht der Welt nicht auferlegt zu werden. Sie hat es durchaus nicht nötig, von den Menschen akzeptiert zu werden, denn sie besteht aus sich selbst. Sie hängt nicht davon ab, was die Leute sagen, bedarf keiner Zustimmung. Wer hingegen eine Religion gründet, braucht viele Anhänger. Macht und Größe einer Religion wird von den Menschen nach ihrer zahlenmäßigen Stärke bemessen, obwohl es darauf bei wahrer Größe nicht ankommt. Die Größe des spirituellen Lebens liegt nicht in der Zahl. Ich habe das Haupt einer neuen Religion gekannt, den Sohn ihres Gründers, und ihn sagen hören, dass die und die Religion soundso viele Jahrhunderte zu ihrer Errichtung gebraucht habe, während seine, erst 50 Jahre alt, schon über vier Millionen Anhänger habe. „Daran sehen Sie“, fügte er hinzu, „wie groß unsere Religion ist!“ Religionen mögen zwar ihre Größe nach der Zahl ihrer Anhänger berechnen, die Wahrheit aber bleibt immer die Wahrheit, auch wenn sie keinen einzigen Jünger hätte. Der Durchschnittsmensch wird von denen angelockt, die groß angeben. Er geht nicht dahin, wo die Wahrheit sich leise offenbart. Jene, die Großes vorgeben, müssen es laut proklamieren, denn wie könnten sie sonst die Menge anziehen? Die Arbeit, die unbekümmert um das getan wird, was die Leute davon halten, ist nicht sehr bekannt und zieht nicht so leicht Massen an. Allein die Wahrheit braucht keine Reklame. Sie verbirgt sich nicht, aber sie drängt sich auch nicht auf. Es genügt ihr, sich zu offenbaren, ohne sich um die Ergebnisse zu kümmern, ohne Beifall zu suchen oder Ablehnung zu meiden, weder verlockt noch verstört von der Billigung oder Missbilligung der Welt.
Wenn du zum Yoga kommst, musst du darauf gefasst sein, all deine mentalen Konstruktionen und alle Gerüste deines Vitals in die Brüche gehen zu sehen. Du musst bereit sein, in der Luft zu hängen, ohne alle Stütze außer deinem Glauben. Du wirst dein vergangenes Selbst mit all seinen Bindungen vollständig vergessen und aus deinem Bewusstsein zu reißen haben, um neu geboren zu werden, von aller Knechtschaft frei. Denke nicht mehr daran, was du einmal warst, sondern daran, was du zu werden strebst. Lebe ganz und gar in dem, was du verwirklichen willst. Wende dich von deiner toten Vergangenheit ab und blicke geradeaus in die Zukunft. Du wirst nur noch eine Religion, eine Heimat, eine Familie haben: das GÖTTLICHE.
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Kapitel 3
Ein fundamentaler Irrtum der Religion
Aus diesem Grund irren sich die Religionen immer – immer –, weil sie den Ausdruck einer Erfahrung standardisieren und als unwiderlegbare Wahrheit allen aufzwingen wollen. Die Erfahrung war echt, vollständig in sich selbst, überzeugend – für den, der sie hatte. Die Formel, die er daraus gemacht hat, war hervorragend für ihn. Aber sie anderen aufzwingen wollen, ist ein fundamentaler Irrtum, der immer ganz verheerende Folgen hat, die stets weit, sehr weit, von der Wahrheit wegführen.
Aus diesem Grund haben alle Religionen, so schön sie auch sein mögen, den Menschen immer zu den schlimmsten Exzessen geführt. Alle Verbrechen, alle Schreckenstaten, die im Namen der Religion verübt worden sind, gehören zu den dunkelsten Flecken in der menschlichen Geschichte, und das nur wegen dieses kleinen Ur-Irrtums: zu wollen, dass das, was für einen Einzelnen wahr ist, auch für die Masse oder für die Gemeinschaft wahr sein soll.
Man muss den Weg zeigen und die Türen öffnen, aber jeder muss dem Weg folgen, durch die Türen hindurch, und auf seine persönliche Verwirklichung zugehen.
Die einzige Hilfe, die man empfangen kann und darf, ist die Gnade, die sich in einem jeden nach seinem eigenen Bedürfnis äußert.
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Du willst „die Wahrheit“ als etwas gut Definiertes, gut Klassifiziertes, gut Begründetes erkennen, und danach ruhst du dich aus: Es gibt keinen Grund mehr, weiter zu suchen! Du greifst sie auf und sagst: „Hier, dies ist die Wahrheit“, und dann wird sie festgelegt. So haben es alle Religionen getan. Sie haben ihre Wahrheit als Dogma festgeschrieben. Aber es ist nicht mehr die Wahrheit.
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Für mich haben diese Dinge keine große Bedeutung. Ich bin an keine Religion gebunden, und wenn man keine Bindung hat, hat man auch keine Abneigung. Für mich sind Religionen allzu menschliche Formen des spirituellen Lebens. Jede dieser Religionen drückt einen Aspekt der einzigen und ewigen Wahrheit aus, doch indem sie diese Wahrheit als die einzig wahre gegenüber den anderen Aspekten ausdrückt, entstellt und mindert sie diese. Keine Religion hat das Recht, sich selbst als die einzig wahre zu bezeichnen, ebenso wenig wie sie das Recht hat, die in den anderen enthaltene Wahrheit zu leugnen. Und alle zusammen würden nicht ausreichen, um die Höchste Wahrheit auszudrücken, die jenseits aller Ausdrucksformen liegt, auch wenn sie in jeder einzelnen gegenwärtig ist.
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Der spirituelle Geist steht nicht im Widerspruch zu einem religiösen Gefühl der Anbetung, Hingabe und Weihung. Aber falsch in den Religionen ist die Fixierung des Mentals, das sich an eine Formel als exklusive Wahrheit klammert. Man muss sich immer daran erinnern, dass Formeln nur ein mentaler Ausdruck der Wahrheit sind und dass diese Wahrheit immer auf viele andere Arten ausgedrückt werden kann.
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Es ist das Recht des Menschen, der Wahrheit frei zu folgen und sich ihr auf seine eigene Weise frei zu nähern. Doch jeder sollte wissen, dass seine Entdeckung gut für ihn allein ist und nicht anderen aufgezwungen werden darf.
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Die Haltung, die wir Religionen gegenüber einnehmen sollten