Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider

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Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald - Margarete Schneider

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Ich weiß auch, wie schwer Ihr Pastoren auf dem satten, harten Boden des Bauerntums es habt, wenn es gewiss auch dort hungernde und dürstende Seelen gibt.«

      Am 6. Juni 1924 schreibt P. S. an den Schwiegervater, am ersten Pfingsttag sei bei ihnen in Berlin »Hofmission. Es wäre wohl lockender, in die Kirche zu gehen, wie ich es auch tue, wenn ich irgend frei bin – aber da, wo man den Herrn Jesus nicht kennt, und in der Gottesfeindschaft für ihn zu zeugen und zu singen, ist doch schöner.«

      Bald klang es dann ziemlich anders. Was er zu Hause in Hochelheim antraf, hat ihm zu neuen Erkenntnissen verholfen, durch welche die Weichen seines Lebensweges in eine andere Richtung gestellt wurden.

      Als er im Sommer 192471 im Urlaub daheim ist, sieht Paul, dass der Vater der Hilfe bedarf, und bleibt nun als dessen persönlicher Vikar vier Monate in Hochelheim. »Ich bin also nicht mehr nach Berlin gekommen, wie ich zuerst vorhatte. Es kam eine Bewerbung um Pferdsfeld und meine Probepredigt dort dazwischen, und da ich zum kirchlichen Dienst entschlossen war, hätte ich Vater nur unnötige Kopfschmerzen verursacht, wie ich es ohnedies schon genug getan hatte. Hier kann ich nun die Kunst der Kanzelpredigt üben und habe das fast sonntäglich getan und gewinne dabei allmählich die Zucht über mein Denken wieder. Auf meine Predigt am letzten Sonntag habe ich mich eigentlich seit Langem wieder recht gefreut. Es ist mir klar geworden, wie nötig gründliches Durchdenken und Studieren der Texte ist und dass die Bekehrung allein keinen Prediger macht. Ich wundere mich jetzt selbst, wie ich mich in das Bekehrungsdogma72 und die Evangelisationsmethode so hatte verrennen können« (Brief vom November 1924 an die Schwiegereltern).

      Ende Januar 1925 wird Paul, ehe er eine Hilfspredigerstelle in Essen-Altstadt antritt, in Hochelheim durch den Superintendenten ordiniert. Der Text ist Römer 1,16: »Ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.« Nachbarliche Pfarrleute helfen Sophie, dem Tag einen guten festlichen Rahmen zu geben. Die »Schwaben« waren leider zur Reise zu schwerfällig und haben Paul alleingelassen.

      Es ist Paul nicht leicht geworden, sich in Essen in den kirchlichen Großstadtbetrieb einzufügen. Das Amt bedrückt ihn, seelische und körperliche Hemmungen bringen ihn oft zur Überlegung der Flucht aus dem Amt. Er meint sogar, in dieser Konsequenz auch seine Verlobung zum Opfer bringen zu müssen: »Ich habe das allerliebste Mädchen, das sich denken lässt, und kann es nicht heimführen. Gott, das ist deine gerechte Strafe. Ich stehe in dem höchsten Beruf und kann ihn schlecht, schlecht, fast nicht ausüben. Habe ich meine Zeit benutzt, oder war ich ein ungetreuer Haushalter? Mir scheint alles heute wie in einer großen Täuschung und Lüge gelebt. Ist dieser mein jetziger Zustand die endliche Auswirkung der Lüge von 1910 im Pfarrgarten in Pferdsfeld? Nun kommt das große Nichtaufgenommenwerden, das große Sitzenbleiben, vor dem ich damals Bange hatte. O hätte ich dem Vater damals gesagt: Vater, ich habe dich belogen. Vielleicht wäre alles anders gekommen. Mit der Lüge vor dem irdischen Vater begann auch die Lüge vor dem himmlischen, den ich nun nicht finden kann. Gott, du verbirgst dein Antlitz vor mir, vor meiner großen Lüge. Was war mein Dichten und Trachten bisher anderes, als dieses Leben zu gewinnen? Mein Lebensglück aufzubauen band ich Gretel an mich. Nun willst du mir in deiner Gnade ein ›Halt‹ zurufen. Ich erwäge, ob du mich zum Bauernknecht machen willst. Du, mein Gott, hast mich ganz zerschlagen. An deine Gnade und Barmherzigkeit wende ich mich, verwirf mich nicht von deinem Angesicht und zeige mir den Weg, den ich gehen soll. Wo dein Geist mich nicht immer wieder aufgerichtet hätte, wäre ich lange vergangen. Oder war es nicht dein Geist, war es ein Lügengeist, der mich täuschte über meine Kraft? – Aber nun, was anfangen?! Es zieht mich in die Landwirtschaft und Siedlung, unserem armen Volk möchte ich Wege weisen helfen, an Leib und Seele zu gesunden. Dafür gelte es zuerst, am eigenen Leibe die neue Lebensweise auszuprobieren. Vergesse ich nun nicht, nach dem Reiche Gottes zu trachten, wenn ich Gesundung und Freiheit suche? Erhebe ich nicht neue Götzen auf den Thron? Gott, sieh’, wie ich allein auf deine Gnade geworfen und gewiesen bin. Erbarm dich meiner!« (aus dem Tagebuch 1925).

      Damit deutlich wird, durch welche inneren Nöte und Krisen der später so glaubensstarke P. S. in seiner geistlichen Entwicklung hindurch musste, hier noch ein paar Eindrücke aus Paul Schneiders schwieriger Zeit 1925/26 in Essen. Als Hilfsprediger war er einem Pfarrer zur Seite gestellt, der neben seinem Pfarramt Orgelpfleger der Rheinischen Kirche und deshalb sehr viel unterwegs war. P. S. lebte zunächst im Pfarrhaus. Als jedoch sein Pfarrer ihn, der ja auch Orgel spielen konnte, dazu benutzen wollte, für ihn Noten abzuschreiben, suchte sich Paul Schneider ein Zimmer in der Stadt und zog aus dem Pfarrhaus aus.

      Beim Predigtvorbereiten und Predigen machte er bedrückende Erfahrungen, die ihm nachgingen. »Während der letzten Predigt sah ich mehrere junge Männer gleich im Anfang die Kirche verlassen«, schreibt er am 5. September 1925 in sein Tagebuch. Er sucht die Schuld bei sich und betet schreibend: »Gott, mein Gott. Wache und bete, rufst du mir zu, und ich schlafe immer mehr den Todesschlaf. Mein Leben gleicht immer mehr dem eines Traumwandlers.«

      Er weicht aus, indem er bei lebensreformerischen Gedanken Hilfe und Halt sucht. Bei dieser Suche liest er ein Buch von Werner Zimmermann, der die Devise »rein durch reines Blut!« vertritt. Auf diesem Wege wird er bekannt mit der Mazdaznan-Bewegung, die der Schriftsetzer Otto Hanisch (1844–1936) begründet hatte und die im deutschen Sprachraum nach 1918 von sich reden machte. W. Eilers73 nennt sie eine Verbindung von Naturheilkunde, religiösem Sektierertum und Halbbildung, die mit Berufung auf Zarathustra mit indoiranischen Wortelementen spiele und in Zeugungs- und Geburtshygiene, Atemschulung und Vegetarismus die Reinigung und Höherentwicklung des Menschen suche.

      Bald erkennt P. S. selbst, dass sein Weg in Richtung Mazdaznan ein verzweifelter Irrweg war. »Mein Kopf ist sehr schwach und mein Gewissen, mein Wille ist so schwankend … Ich habe das reine Blut wie ein Evangelium gepredigt und verliere darüber meinen Glauben an Gott und an Christus«, schreibt er am 13. März 1926 in sein Tagebuch. »Morgen soll ich predigen. Werner Zimmermann kann ich nicht predigen. Er will die Höherzüchtung der Menschen.« P. S. kommt sich unwahrhaftig vor, als einer, der nicht hinter dem steht, was er als Pfarrer sagen sollte. »Das Glaubensgut der Kirche ist nicht mein Glaubensgut. Die Freudigkeit beim Predigtmachen und -halten ist mir nach und nach verloren gegangen. Mein Gebetsleben war von je her sehr kümmerlich und ist nun ganz versiegt.« Der Eindruck quält ihn, die Christenheit habe aus Jesus einen Götzen gemacht. »Ich komme mir schon lang vor wie ein Heuchler als Verkündiger ›biblischer‹ Wahrheiten … Die heiligen Handlungen der Sakramente haben mir nichts zu sagen. Was ich sage, sind Phrasen, angelernt, hundertfach wiederholt … Schon fühle ich mich von Gemeindegliedern, mit denen ich zu tun habe, in meiner Unwahrhaftigkeit durchschaut. Diesen inneren Druck kann und will ich nicht länger tragen.«

      Offenbar hat Paul seine schweren Zweifel an sich und an der biblischen Botschaft, auch seinen Entschluss, nicht Pfarrer zu werden, Gretel anvertraut. Sie hat Verständnis gezeigt. »Gretel lässt mir vollkommen freie Hand. Jetzt ist unser Verhältnis so stark und innig geworden, dass es diese durch die Quittierung des Pfarrberufs erwachsende Erschütterung aushalten wird, auch bei den Schwiegereltern. Ihr Nichtverstehen, ihre Bitterkeit gilt es zu tragen.«74

      Paul will zu Menschen gehen, die ähnlich denken wie er, will mit ihnen zusammen mit seiner Hände Arbeit sein Brot verdienen; vielleicht zusammen mit seinem Bruder, in Amerika, in Brasilien oder Argentinien. Vor allem: »Ich will nicht gezwungen sein, geistige und geistliche Wahrheiten zu verkündigen.«75

      Diese Tagebucheinträge zeigen: Gerade weil P. S. in äußerster Selbstkritik wahrhaftig sein wollte, litt er in seinen Glaubenskrisen zwischen Schreibtisch und Kanzel ungeheuer. Dass er in Berlin im Umkreis Erich Schnepels eine neue Jesus-Unmittelbarkeit kennengelernt hatte, das ersparte ihm solche Verzweiflungsphasen nicht.

      Aber auch Freudigkeit zum Amt ist da: »Es ist mir doch seither so gewesen, als ob Gott mich im Pfarramt bestätigen wolle. Er ließ mir meine beiden letzten Predigten ganz leidlich gelingen. – Wenn man Kraft zur Arbeit hat, ist es doch eine Genugtuung besonderer

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