Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider

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Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald - Margarete Schneider

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Freuden Pastor bin, auch in der Großstadt. Gott gibt mir mit den wachsenden Aufgaben wachsende Kraft. Am Sonntag hatte ich fünf Amtshandlungen. Das soll mir mein Trost und meine Zuversicht sein, wie Wichern76 es einmal ausspricht: ›Du, Gott, lässt nichts unvollendet und hast in mir das Wollen geweckt; du wirst auch des Vollbringens Kraft mir schenken nach deiner Gnade und Liebe um Jesu willen‹« (Brief). – Der letzte Eintrag im Tagebuch der Lehrjahre ist vom 8. Juli 1926: »Der Wurm des Todes ist die Sünde, aber Gott sei Dank, der dem Tode die Macht genommen hat.77 Wie sind die vorigen Zeilen wieder ein Dokument meines Unglaubens! Aus wie mancher und wie großer Not hat nicht mein Gott mir schon geholfen, und immer wieder weiß ich so schlecht, dass seine Hand zu helfen hat kein Ziel, wie groß auch sei der Schade.78 Ich darf meinem Gott nun wieder Loblieder singen. Es ist der Geist von oben stärker, viel stärker als alle naturhaften Mächte. Nun sind wir auch nicht mehr Knechte der Natur. Gott, zu dir zieht alles Leben, und was nicht zu dir gegangen kommt, wird krank.«

      Hochelheim

      »Anfechtung lehrt auf das Wort merken.«

      Jesaja 28,19

      Um eine Probepredigt im Kreise Wetzlar zu halten, kommt Paul im Januar 1926 heim und findet einen sterbenden Vater. Ein Schlaganfall hat ihn beim Gottesdienst im Filial getroffen, und nach drei Tagen ist sein Ende da. Paul wird einstimmig in Hochelheim als Nachfolger gewählt; er nimmt an, wohl wissend, dass er kein leichtes Erbe antritt und dass die Gründe seiner Wahl nicht ganz geistlicher Natur sind. Viele Häuser sind dem »Paul«, der nun der »Herr Pfarrer« wird, herzlich zugetan, vielerlei Erwartungen knüpfen sich daher auch an sein Pfarramt. Die einen wollen »alles beim Alten« haben, wie es beim alten Pfarrer war, d. h., sie wollen außerhalb der Predigt in Ruhe gelassen sein; die andern denken an die Zeit, als Paul im Turnverein einen liberalen Vortrag hielt und zuzeiten aktiv dort mitmachte; die »Stillen im Land« hoffen auf ein volles Mitgehen in ihrem Gemeinschaftsleben, kurz, jeder möchte gern seinen Stempel auf ihn drücken. Was Wunder, dass es von den ersten Tagen an Spannungen gab? – Im Pfarrhaus wird aber nun zuerst geräumt und geordnet, gestrichen und tapeziert, und darüber wird es Sommer. Paul ist in der Zwischenzeit Hilfsprediger in Rotthausen bei Essen. Das Weilheimer Pfarrhaus richtet seiner Jüngsten die Hochzeit. Der Vater ruft seinen Kindern nach Rut 1,1679 zu: »Seid einig, einig, einig – in Glaube, Liebe, Hoffnung.«

      Vor dem Einzug ins neue-alte Heim – es ist eine ganz glückliche Mischung – wandern die beiden, wie sie es in Brautzeiten so gerne getan, und dieses Mal erschließt sich ihnen ein Stück schönstes Neuland: Bodensee und Oberstdorf. Brauche ich zu sagen, dass es Wochen fröhlicher, erfüllter Zweisamkeit waren, wie sie uns in ihrer Unbeschwertheit und äußeren Freiheit nie mehr geschenkt waren? – Im Hochelheimer Pfarrhaus erwarten sie der jüngere Bruder80 cand. ing.81 und Sophie, die nun auch der jungen Frau die Treue hält über alle Jahre hin. Superintendent Wieber führt Paul sehr feierlich und väterlich am 4. September 1926 ein. Er hat 1. Chronik 28,20 zum Text gewählt: »Und David sprach zu seinem Sohn Salomo: Sei getrost und unverzagt und mache es; fürchte dich nicht und zage nicht! Gott der Herr, mein Gott, wird mit dir sein und wird die Hand nicht abziehen noch dich verlassen, bis du alle Werke zum Amt im Hause des Herrn vollendest.« Pauls Predigttext ist 1. Timotheus 3,1 und 2. Timotheus 3,14-17.82 Wie sehr Paul ein »Herz« für seine Gemeinde hatte, geht aus einem Gemeindebrief, den er im Urlaub in Pferdsfeld 1931 schrieb, hervor: »Nun sollt Ihr aber nicht denken, meine lieben Gemeinden, dass ich Euch jetzt nicht als meine Heimat betrachte, zumal Ihr mich durch Eure Wahl ja in meinem Elternhause in Hochelheim und an der Stätte meiner Jugendjahre habt bleiben heißen. Ihr seid nun die Heimat meiner Arbeit, meine Mannesheimat und meine Pfarrerheimat, die ich als Pfarrer mit der ganzen Kraft und Liebe, die mir gegeben sind, zu einer rechten, wohligen, warmen, kirchlichen Heimat für Euch alle ausgestalten helfen möchte. Aber gerade darum, weil Ihr wisst, dass ich als Pfarrer gerne bei Euch bin und bleiben will, werdet Ihr es mir gerne gönnen, dass ich mich nun auch in der Arbeitspause der Heimat meiner Kindheit freue und hier neue Kräfte für die Arbeit sammle.«

      Wie sah nun diese Gemeinde Hochelheim aus? Zwei stattliche Dörfer83 mit tausend und fünfhundert Einwohnern, von denen nur das Filial rein bäuerlich ist. In Hochelheim ist fast jeder neben seiner kleinen Landwirtschaft erwerbstätig.

      Auch der Pfarrer hatte für seine und seiner Familie Versorgung Acker- bzw. Wiesenland und eine Kuh. So schreibt P. S. am 23. Juni 1926, also kurz vor der Hochzeit, an den Schwiegervater: »Sophie hat ein junges, schönes Kühchen, das eine milch- und butterweiche Zukunft verspricht, gegen die alte eingetauscht und verwaltet auch sonst aufs Beste Haus und Wirtschaft.« Am 6. September 1926 freilich schreibt P. S. bezüglich der Kuh: »Wir sind schon am Überlegen, ob wir die Kuh behalten sollen oder nicht.« Am 22. September 1926 meldet er, die Landwirtschaft betreffend, vier Morgen Land würden sie zurückgeben, aber die vier Morgen »Pfarrland« wollten sie weiterbehalten »zur Bewirtschaftung, hauptsächlich wegen der Kuh, die wir einstweilen noch nicht abschaffen mögen.«84

      Der Mainzer Käse wird hier hergestellt, zuerst im häuslichen Betrieb, später entstehen maschinelle Käsereien. Sie nehmen zu unserer Zeit einen großen Aufschwung. Die Frauen des Dorfes reisen mit dem Käse auf die Märkte der Großstädte Hessens und des Rheinlandes, und ihre bäuerliche Tracht, die schöne Hüttenberger Tracht, kommt ihnen dabei sehr zustatten. Was früher mühselig im Schubkarren gefahren wurde, kann nun bald mit dem Auto befördert werden! Das Dorf verändert sich dadurch sehr. Der Jugend gefällt die Bauerntracht nicht mehr, sie wird »vornehm«, d. h. städtisch. Großer Fleiß und große Geschäftigkeit herrschen im Dorf. Durch ihren Handel sind sie den Umgang mit Menschen gewöhnt, und das Wort sitzt lose auf der Zunge. Sie haben einen großen Familiensinn, und es ist bezeichnend, dass sie, die so viel unterwegs sind, bei ihren Familienfesten als Lieblingslied singen: »Ich bin so gern, so gern daheim – das ist mein Himmel auf der Erden!«

      Die erste Strophe dieses Liedes, das heute noch vom Hochelheimer Frauenkreis mit Wonne auswendig gesungen wird, lautet: »Ich wär so gern, so gern daheim, / daheim in meiner stillen Klause. / Wie klingt es doch dem Herzen wohl, / das liebe, traute Wort: zu Hause! / Doch nirgends auf der weiten Welt / fühl ich so frei mich von Beschwerden. / Ein braves Weib, ein herzig Kind, / das ist mein Himmel auf der Erden.« Die dritte Strophe: »Des Abends, wenn ich geh zur Ruh / und ich mich leg zum Schlummer nieder, / dann falt ich meine Hände fromm, / es schließen sich die Augenlider. / Dann bete ich zum Herrn der Welt, / zu dem, der einstens sprach: Es werde!: / O großer Gott, erhalte du / mir meinen Himmel auf der Erde.«

      Mehr und mehr wächst Paul in sein Hirtenamt hinein.85 Nur noch einmal, im November 1927, vertraut er sich seinem Tagebüchlein wieder an, aber er weiß nun, wer Herr wird über seiner »Anfechtung«, seinem »Schmerz«. »Ehemann, Vater und Pfarrer bin ich geworden. Wie viele wandeln in solcher Würde doch auf verkehrtem Wege! Kommt doch auch zu mir noch heutigentages die große Unruhe, dass mein Herz nicht alles verlassen, um Jesus zu dienen.86 Sind mir denn auch die weichen Arme, von denen Kierkegaard 87 schreibt, verhängnisvoll geworden? Habe ich in entscheidungsschweren Augenblicken meines Lebens den rechten Entschluss der Entsagung, des Verzichtes nicht gefunden? Darf ich morgen vor die Gemeinde treten mit der Adventsfreude und Adventsbotschaft? Möchte sie doch heller in meinem Herzen brennen! Möchte Gott mich seine Gnadenfülle wieder reichlich erfahren lassen! O. C.88 tröstete mich, ich habe seit Berlin einen großen Schritt vorwärts gemacht. Sein Hiersein bedeutete, wie ich mir erbeten, Stärkung und Segen. O Gott im Himmel, lass mir nicht alles wieder geraubt werden! Schenk mir Glauben und Frieden. In der Spannung stehend, muss ich hinter all mein Tun und Sagen ein Fragezeichen setzen. Du, Gott, kannst deinen Geist der Liebe über mich ausschütten, dass aus dem Fragezeichen ein freudiges Ja werde. Amen.«

      Paul wird ein Beter, einer, den es im Kämmerlein89 auf die Knie zwingt.

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