Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider

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Zeit, in der uns vielleicht schwere Stürme bevorstehen.«

      Vier Presbyter aus Hochelheim beschwerten sich wegen des Vorgehens ihres Pfarrers in der Frage der Abendmahlssitte beim Konsistorium in Koblenz.103 Sie schilderten die Sitzung des Presbyteriums, die eine Stunde vor der Gemeindeversammlung stattgefunden habe. Der Pfarrer habe sie mit seinen Argumenten nicht überzeugt. Er sei plötzlich von ihnen weggeeilt. Er achte seine neuen Presbyter nicht, habe einen eigensinnigen Charakter. »Wir, die Unterzeichneten, erklären, dass unter solchen Umständen unsere Mitarbeit unmöglich erscheint, und bitten um schleunigste Abhilfe.«

      Hier einige Sätze aus der Stellungnahme, die P. S. auf dem Dienstweg dem Konsistorium zukommen ließ:104 Er schreibt, die Vorschriften der Kirchenordnung seien ihm wohl bewusst gewesen, es müssten doch aber auch nach der Meinung der Kirchenordnung Herkommen und Sitte nicht unabänderliches Recht sein. »Es muss in einer evangelischen Gemeinde das Recht bestehen, eine offenbar zur Unsitte gewordene Sitte, die Gottes Anspruch und Forderung nicht mehr deutlich werden lässt, nach dem höheren Recht eines in Gott gebundenen Gewissens und an die Schrift gebundenen Handelns zu brechen.« Er habe »der Heiligkeit der Abendmahlsfeier, der Möglichkeit ernster Selbstprüfung für alle Abendmahlsgäste, zu der uns die Schrift ermahnt, und dem Abendmahl als einem freiwilligen Bekenntnisakt zu unserem Herrn … Geltung verschaffen wollen. Das christliche Gemeinwesen und die rechte Auffassung vom heiligen Abendmahl muss zerstört werden, wenn unversöhnliche Nachbarn und solche Gemeindeglieder, die in argen Gerichtshändeln liegen, wenn diejenigen, die sich grober Unsittlichkeit schuldig gemacht haben und dafür bekannt sind, ohne Einspruch des Presbyteriums und ohne Kirchenbuße zum heiligen Abendmahl zugelassen werden.« Die Dorfsitte ersticke den Ernst der Verantwortung und die Freiwilligkeit, die doch jedes Bekenntnis bei sich haben müsse, vollkommen. Dass Jesus sein Mahl auch mit Judas gefeiert habe, das überzeuge ihn nicht als Rechtfertigung der Jahrgangsabendmahle. Denn Jesus habe beim Mahl ja doch den Verräter bezeichnet. »Höchstens könnten wir uns schuldig machen, dass wir durch diese der Sitte folgende, aber schriftwidrige Art der Abendmahlsfeier noch Judasse großziehen, und das will unser Heiland sicher nicht.«

      Da er wohl weiß, dass dieser Konflikt die Frage aufrollen wird, ob er in der Gemeinde als Pfarrer noch tragbar sei, weist er zum Schluss darauf hin, »dass das gottesdienstliche und kirchliche Leben der Gemeinde durchaus nicht gestört erscheint, Gottesdienste und Frauenhilfe sind besser besucht als früher, ein Mütterschulungskurs in der kommenden Woche wird voll besetzt sein und eine Volksmissionswoche Mitte Februar erwarten wir mit Freuden. Ich habe die Überzeugung, dass ohne Eingriffe von außen unser Gemeindeleben sich aufs Beste ordnen wird.«

      Die rechte Stellung zu den Sakramenten nicht ohne Kirchenzucht!

      Während des Kampfes der Bekennenden Kirche (BK) im Dritten Reich bekam die Kirchenzucht, besonders als »Lehrzucht«, bei den Auseinandersetzungen mit den Irrlehren der Deutschen Christen (DC) neue Bedeutung. Aber auch die Frage, ob bei mutwilliger Zerstörung der Bekennenden Gemeinden oder bei brutalem, menschenverachtendem Lebenswandel von Kirchenmitgliedern nicht Kirchenzucht geübt werden müsse, hat da und dort bekennende Christen beschäftigt. Oft unterblieb die Diskussion aber auch, weil Pfarrer und Gemeindeälteste den Konflikt mit den Parteigewaltigen scheuten.

      In P. S.s pfarramtlicher Praxis spielte die Kirchenzucht durchaus eine Rolle. Seine Ausübung der Kirchenzucht hat sowohl in Hochelheim als auch besonders später in Dickenschied und Womrath die Konflikte verschärft, die seinen ferneren Lebensweg bestimmen sollten. Umso wichtiger ist es, dass der Leser sich mit der Frage befasst, was Kirchenzucht in den evangelischen Kirchen bedeutet und wie P. S. sie verstanden hat.105

      Vater Schneider hielt in seiner Amtszeit streng gesetzlich darauf, dass der Rest von Kirchenzucht, der sich durch die Jahrhunderte erhalten hatte, geübt wurde. Es handelte sich dabei um Verstöße gegen das sechste Gebot. Brautpaare, die ein Kind erwarteten, wurden ohne Brautschmuck und ohne jede Feierlichkeit in der Studierstube getraut. Eine große häusliche Feier war nicht erwünscht. Stille Trauungen106 waren am Werktag, festliche Hochzeiten immer am Sonntag. Es kam auch vor, dass der Pfarrer vor der Taufe eines Kindes sagte: »Die Eltern dieses Kindes haben Gott und die Menschen belogen«107, u. a. m. – Paul war von den ersten Tagen seines Pfarramts an gezwungen, sich um die rechte Ausübung der Kirchenzucht zu mühen. Er wurde förmlich unter Druck gesetzt – durch Unterschriften des Presbyteriums, durch einen »Streik« eines Brautpaares – am Vortag seiner Amtseinführung! –, die alte Form zu lockern. Er konnte auch aus eigener Überzeugung des Vaters Kurs nicht halten. – »Zu meinem Empfang warteten statt der Kutsche am Bahnhof gleich vier Amtshandlungen, darunter zwei nicht ganz erquickliche: eine Trauung, bei der ich den letzten Rest von Kirchenzucht in Gestalt der Stilltrauung einstweilen fahren ließ, indem ich sie am Sonntag feierlich in der Kirche vornahm, was mir in Anbetracht des darauffolgenden lärmenden Festes wieder leidtun wollte, und dann die Beerdigung eines Selbstmörders aus unserem Studentenkreis, bei der ich nun umgekehrt mich an die kirchliche Ordnung bindend – gegen alle Bitten der Gemeinde – nur im schwarzen Rock auf dem Friedhof amtierte, 108 Text Jesaja 48,17.18 109. Recht gemacht werde ich es auch diesmal nicht haben« (Brief vom 6. September 1926 an Marie und Karl Dieterich). – »Der Kampf um die Kirchenzucht in den Gemeinden ist noch nicht ganz ausgetragen und wird wohl noch mit meiner Niederlage enden, die mir selbst am Ende nicht so unlieb ist.110 Da bleibt nachher nur noch der Kranz und die Krone (Tracht) als Ehrenzeichen und die stille Trauung für die, die guten Willens sind« (Brief vom 21. Oktober 1926). – Von nun an rang Paul während seiner ganzen Amtszeit um das Verständnis der reformatorischen Kirchenzucht. Über Kirchenzucht sagt Calvin: »Sie ist die Sehne der Kirche. Wenn man diese Sehne zerschneidet, dann ist der ganze Leib kraftlos.«111 In seinem Filial versuchte er in Einheit mit seinem Presbyterium, sie im Glaubensgehorsam auszuüben, wo immer ein öffentlicher Verstoß gegen Gottes heilige Zehn Gebote der christlichen Gemeinde Ärgernis112 gab. Diese Kirchenzucht wurde von einem großen Teil der Gemeinde im Glauben angenommen, von anderen mit heftigstem Widerspruch abgelehnt. Ein Beispiel:

      Da hat der Streit zweier Nachbarn ein solches Ausmaß angenommen, dass der Pfarrer einschreitet und beide vor dem Abendmahlsgang vors Presbyterium lädt, um ihnen Gelegenheit zur Versöhnung zu geben. Der eine kommt, der andere nicht, ist aber dann dennoch beim Abendmahlsgottesdienst. Der Pfarrer lässt ihn vor der Beichte durch den Küster bitten, die Kirche zu verlassen. Er bleibt. Da wendet sich nach der allgemeinen Beichtfrage der Pfarrer ganz persönlich an ihn, den im Dorf einflussreichen Mann. Nun steht er auf und geht hinaus. Erst später, nach einem Unfall und langem Krankenlager des Betreffenden, kommt diese Geschichte zu einem guten Ende. – Wer dreimal unentschuldigt in der Christenlehre fehlte, wurde ein Jahr lang nicht zum Patenamt113 zugelassen. Da dort die jungen Paten sehr beliebt waren und man bis zu sechs Paten hatte, musste man schon aufpassen! Getauft wurde nur in der Kirche im Gemeindegottesdienst114 und nur in Gegenwart des Vaters bzw. der Eltern. – In Hochelheim hielt das Presbyterium im Wesentlichen nur an der sehr gelockerten Trauzucht fest. In der Seelsorge ging Paul persönlich ratend und mahnend darüber hinaus. Er hat sich dadurch manche Feindschaft zugezogen, wie z. B. die des Stützpunktleiters der NSDAP115, der Pauls Stellung zum NS-Staat darum doppelt scharf unter die Lupe nahm.116

      Unser großes Anliegen war die Erfassung der Gemeindejugend. Das gelang wohl im Filial etwas besser als im Hauptdorf. »In Dornholzhausen sind die Verhältnisse anders als hier, ich möchte sagen alttestamentlicher! Geiz, Alkohol und Unsittlichkeit unter der Jugend sind auch dort mächtig. Aber in der Evangelisation vor Totenfest 117 durch einen Berliner Freund wurde das Wort im Ganzen willig aufgenommen, und es bietet sich dem missionarischen Willen der Kirche weit mehr Einflussmöglichkeit auf das ganze Dorf.« – »In Hochelheim trafen wir einen Jungfrauenverein und Jünglingsverein an, und da es kaum gelang, aus der Dorfjugend neue Glieder dazuzugewinnen, hielten wir auch offene Abende. Wie oft stand aber die Tür des Pfarrhauses umsonst offen!« Auch durch Freizeiten suchten wir Eingang zu gewinnen. Paul konnte mit der Jugend von Herzen froh sein. Spielen, Basteln, Turnen, Wandern und besonders Singen waren ja auch seine Freude! Selbstverständlich aber

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