Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider

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Reichspräsident von Hindenburg den Reichstag auflöste und seine Neuwahl auf den 5. März 1933 festsetzte.

      Am 1. Februar versicherte Hitler in einem Aufruf, dass das Christentum »die Basis unserer gesamten Moral« sei. Er schloss seinen Aufruf mit den Worten: »Möge der allmächtige Gott unsere Arbeit in seine Gnade nehmen, unseren Willen recht gestalten, unsere Einsicht segnen und uns mit dem Vertrauen unseres Volkes beglücken.«135 Punkt 24 des Parteiprogramms der NSDAP lautete: »Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, dass eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz vor Eigennutz.«136

      Bewusst wählte Hitler die christlich-nationale Tarnung, berief sich immer neu auf christliche Werte; SA137-Formationen marschierten geschlossen in Kirchen, es gab Massentrauungen von SA-Leuten. Gern stellte sich Hitler mit hohen Kirchenführern oder kaiserlichen Feldmarschällen zur Schau. Ein nationalistischer Trance-Zustand ergriff sehr viele Deutsche, in den auch viele Christen jedes Bildungsstandes verfielen. Es wuchs in den Protestanten die Genugtuung, Reichspräsident von Hindenburg habe gegen das Eindringen des atheistischen Bolschewismus eine christlich-konservative Regierung zustande gebracht. Nur wenige Christen sahen die Verbrechen, die von Anfang an Hitlers Machtergreifung begleiteten.

      Einstweilen brachte Hitler den alten Reichspräsidenten von Hindenburg dazu, in einer ersten Notverordnung »Zum Schutz des deutschen Volkes« die Presse-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit erheblich zu beschränken. Der Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 gab Hermann Göring138 den Vorwand, in der Nacht zum 28. Februar mehr als viertausend kommunistische Funktionäre und Abgeordnete zu verhaften. Viele wurden gefoltert, zahlreiche ermordet. Die Kirchen schwiegen dazu. Schon am 28. Februar erfolgte – von langer Hand vorbereitet – die Zweite Notverordnung Hindenburgs, in deren Paragraf 1 es heißt: »Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkung des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.« Der Reichstagsbrand – wer immer ihn gelegt haben mag – war für die Nationalsozialisten die große Gelegenheit, die individuellen Freiheitsrechte der Bürger deutlich einzuschränken.

      Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 erhielten die Nationalsozialisten 43 Prozent der Stimmen. Unmittelbar danach wurde die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) verboten. Nun hatte die NSDAP zusammen mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und den bürgerlichen Parteien wie dem Zentrum die Zweidrittelmehrheit im Reichstag. Beim Festakt zur Eröffnung des Reichstages, am großen »Tag von Potsdam«, 21. März, in der Potsdamer Garnisonskirche am Grab Friedrichs des Großen vollzog der neue Reichskanzler zusammen mit dem greisen Feldmarschall von Hindenburg eine spektakuläre Inszenierung, mit der er sich als der legitime Erneuerer preußischer Tradition in Szene setzte. Kanonen schossen Salut, Glocken läuteten, das Glockenspiel der Garnisonskirche intonierte »Üb immer Treu und Redlichkeit«.

      Auch die Abgeordneten des Zentrums, der DNVP und der kleineren Parteien stimmten in der ersten Sitzung des neugewählten Reichstages, am 23. März, für das Ermächtigungsgesetz, mit dem Hitler die alleinige Macht erhielt und das bald darauf die Auflösung oder das Verbot ihrer eigenen Parteien besiegelte. Lediglich die SPD stimmte dagegen.

      Nun vollzog sich in atemberaubender Geschwindigkeit die »Gleichschaltung«: Am 21. März wurde das »Heimtückegesetz« beschlossen, das jeden bedrohte, der »vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reiches oder eines Landes oder das Ansehen der Reichsregierung oder einer Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbände schwer zu beschädigen.« Ein Gesetz, das künftig wie ein Damoklesschwert über jedem hing, der an Staat oder Partei Kritik übte. Reichskommissare oder Reichsstatthalter wurden in verschiedenen Ländern wie Bayern, Baden und Württemberg eingesetzt. Die Beamtenschaft wurde von nichtarischen139 oder regimekritischen Leuten gesäubert. Göring wurde preußischer Ministerpräsident. Studentenschaft, Universitäten, die Presse, alle Kulturtreibenden wurden gleichgeschaltet. Die SS (Schutzstaffel) und die Gestapo (Geheime Staatspolizei) wurden gegründet, die Gewerkschaften wurden aufgelöst. Mit dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 wurde das Volk auf den Antisemitismus140 der Nationalsozialisten eingeschworen. Bei der öffentlichen Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 wurde ein Zeichen des Terrors gegen missliebige Schriftsteller gesetzt. Auch hierzu schwiegen die Kirchen.

      Hitler begann eine systematische Aufrüstungspolitik und tarnte sie mit pathetischen Friedensreden. Am 20. Juli 1933 gelang es ihm, mit der römisch-katholischen Kirche ein »Reichskonkordat«, d. h. eine vertragliche Sicherung der Rechte der Kirche, zu schließen, mit welcher Papst Pius XI. und sein Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., glaubten, die Freiheits- und Einflussrechte der katholischen Kirche im deutschen Reichsgebiet zu sichern. Sie erreichten damit vorerst vielmehr, dass die NS-kritischen deutschen Kardinäle ihre Kritik am Dritten Reich zurückstellten.

      Am 14. Oktober trat Deutschland aus dem Völkerbund aus. Am 12. November ließ Hitler seine Politik durch eine Volksbefragung bestätigen. 96 Prozent der Wähler stimmten mit Ja. Im Reichstag saßen nun 639 Abgeordnete der NSDAP und 22 Gäste. Die Demokratie war gründlich beseitigt. Die Abgeordneten hatten nur noch die Regierungserklärungen anzuhören, die vorgelegten Gesetzesentwürfe einstimmig anzunehmen und am Schluss der kurzen Sitzung – als »teuerster Gesangverein der Welt« – »Deutschland, Deutschland, über alles« und das Horst-Wessel-Lied »Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen« zu singen.

      Im Dorf zieht der Nationalsozialismus langsam ein, viele stehen noch abwartend, die neuen politischen Machthaber des Dorfes werden kritisch betrachtet. Ein Handwerker spricht aus: »Der einzige National-Sozialist ist hier der Pfarrer, und der ist keiner!«141 – Dass aber der 1. Mai 1933 das ganze Völkchen mit all ihren Gaben und Verschiedenheiten vereint und alles beim Feldgottesdienst142 und den Kundgebungen durchs Radio zugegen ist, das erfüllt Paul nun doch mit Freude. Er fängt an, dem »sozialen Wollen Hitlers Vertrauen zu schenken«. – »Wenn wir nur auch als Kirche den positiven Beitrag zum inneren Aufbau unseres Volkes leisten können, den wir ihm schuldig sind in unserer eigentlichen Amtsarbeit!« – Dass aber der Stützpunktleiter alle Augenblicke sich der Kirchenglocken zum nationalen Festläuten bemächtigen will, 143 den kirchlichen Jugendgruppen das Existenzrecht streitig macht, von den kirchlichen Körperschaften Reverse144, die er nur bedingt unterschreibt, gefordert werden, das und noch viel mehr erfüllte ihn immer wieder mit Misstrauen. – Den »deutschen Gruß« hat er nie über seine Lippen gebracht, er konnte die »fromme Auslegung« 145 desselben nicht leiden. – Den Arierparagrafen als solchen, und im Besonderen im Raum der Kirche, lehnte er ab.146 Nur mit allergrößtem Missbehagen stellte er von nun an die arischen Nachweise147 aus, die im Dritten Reich jedem Dorfpfarrer so viel Zeit nahmen. Es bedurfte manchen Zuredens, dass er nicht einfach ablehnte, sie auszustellen, und sie gingen manchmal mit Zusätzen ab, z. B. der »Arier« solle seine ersten Eltern148 nicht vergessen!

      Um P. S.s Verhalten einordnen zu können, ist es nötig, an einige Vorgänge zu erinnern, die im Frühjahr und Sommer des Jahres 1933 die evangelische Kirche in Deutschland und im Rheinland erschüttert haben. Das gilt auch für Ereignisse, die nicht sofort und direkt in sein Leben eingriffen. Sie sind der Hintergrund, aus dem heraus bald auch die Entwicklung seiner persönlichen Haltung zu verstehen ist.

      Der Ruf nach starken Kirchenführern, unter deren Einfluss die Kirche sich erneuern würde, wurde immer lauter.

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