Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider

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Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald - Margarete Schneider

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er werde sich in Marburg der »Sozialen Arbeitsgemeinschaft« anschließen.

      Im Dezember 1920 finden wir in P. S.s Tagebuch »Gedanken für Gießener Kneipe«. Offenbar war er trotz seines Austritts doch bei der »Weihnachtskneipe« des Wingolf dabei. Er wollte dabei folgende Gedanken vortragen: Er habe den Marburger Wingolf verlassen müssen, weil dort die Korporation »Alleinherr und Tyrann« und das Christliche zur Farce geworden sei. Das sei wohl nicht nur in Marburg so. »Was gilt uns höher? Christentum oder Korporation? Ist das Christentum uns nur das Kleid, um unserer Korporation Form damit zu umfangen?« Erst wenn sie durch den Heiligen Geist zu lebendiger Gemeinschaft gelangen wollten, hätten sie das Recht, sich »christliche Verbindung Wingolf« zu nennen. P. S. bot dem Wingolf seinen Wiedereintritt an. Er fügte hinzu: »Je mehr wir zu einer Bruderschaft von Christen zusammenwachsen, umso unwesentlicher wird uns das Korporationskleid.«

      Am 16. Januar 1921 teilt P. S. dem Wingolf-Konvent in Gießen mit, dass er wieder in Marburg aktiver Wingolfit sei. Ausführlich begründet er, was ihn damals zum Austritt veranlasst habe: Er habe die strenge korporative Zucht als zu freiheitsverkürzend empfunden und habe in ihr »das menschliche und das christliche Moment« vermisst. Auch habe er darin das »Züchten von Klassengeist und ein Hemmnis unserer sozialen Entwicklung« gesehen.

      Er sehe jetzt aber in der korporativen Freiheitsbeschränkung eine Erziehung zur Selbstüberwindung und zu gemeinschaftlicher Arbeit. Er stehe durchaus auf dem Boden der Korporation. Dass ihm »eine persönliche Vorliebe für gewisse freideutsche und Wandervogelgepflogenheiten« bleibe, für die er sich auch künftig – natürlich ganz im korporativen Rahmen – »aus Gründen der Vernunft und der Gesundheit einsetzen werde«, das stehe auf einem anderen Blatt. Solange die Korporation sich keine Übergriffe in ihr fremde Gebiete wie z. B. »in allgemeinmenschliche, auch allgemeinstudentische Fragen, und vollends auf das religiöse Gebiet« leiste (P. S. meint wohl: solange sie das Gewissen des Einzelnen achte), bejahe er durchaus die Unterordnung. Er fügt hinzu: »Gesundheit und gesunde Grenzen der Korporation scheinen mir überall da gewährleistet zu sein, wo der Religion, bei dem christlichen Wingolf dem Christentum, der erste Platz eingeräumt wird.«

      Den Gießenern teilt er mit, auf ungefähr die gleiche Erklärung hin habe ihn der Marburger Wingolf wieder aktiviert. Offenbar wurden aber in Marburg P. S.s kritische Auffassungen über das Verbindungsleben bald nicht mehr akzeptiert. Am 14. Juni 1921 schreibt er an seine Mutterverbindung in Gießen: »Liebe Brüder! Herzlichen Gruß zuvor! Ich teile Euch hierdurch mit, dass der Marburger Wingolf mir den Rat zum Austritt erteilt hat mit der Begründung, dass er andere Ansichten habe als ich. Es handelt sich um meine Stellungnahme gegen den Trinkkomment und Bierkonsum des Marburger Wingolf. … Ich bemerke noch, dass ich selbst mein Bleiben im M. W.38 durchaus für möglich gehalten habe. Ich hoffe, dass durch den Zwischenfall mein Verhältnis zu meiner Mutterverbindung keine Beeinträchtigung erleidet. Mit Brudergruß, Euer Paul Schneider.«

      Gretel Schneider hat 1979 diesen freundlichen »Hinauswurf« ihres späteren Mannes aus dem Marburger Wingolf so erklärt: »Die Wingolfiten hatten sich in einem Dorf, in welchem ein Wingolfit Pfarrer war, unmöglich aufgeführt, sodass der Pfarrer selbst sie aufgesucht und sie um anständiges Benehmen gebeten hatte. P. S. hat dieses Benehmen später bei einer Wingolf-Sitzung kritisiert. Er kritisierte auch den Trinkzwang, der ihm teils wegen seiner freiheitsberaubenden, teils wegen seiner krankmachenden Wirkung zuwider war. Darauf hat ihn der Marburger Wingolf – höflich, aber bestimmt – vor die Tür gesetzt.«

      P. S.s Geschichte mit dem Wingolf zeigt, wie schwer er sich mit einer christlichen Gemeinschaft tat, in der – nach seinem Empfinden – das Leben im Geist Jesu Christi nicht den Vorrang hatte. Auch, dass er als Christ keine freiheitsberaubenden Zwänge und kein Herren-Gehabe ertragen wollte.39

      Wie sehr Paul, im Idealismus und Liberalismus40 steckend, von Glaubens- und Lebensnot umgetrieben war, können wir nur ahnen. Er war dem Abgrund nahe genug, das erzählte er. »Das unbegreifliche, unfassbare Leben ist größer als wir, und aller Trotz und alle Kraft hilft nicht dagegen. Es ruht nicht eher, als bis es uns niedergeworfen und zusammengebrochen hat. Das Leben sagt: Nicht wie du, sondern wie ich will. Und so bekommt der Mensch mit der Zeit eine ganz andere Orientierung. Durch Zusammenbruch und Tod und Leere muss es hindurchgehen, durch Verzweiflung und bittern Schmerz … Aber das Neubauen, das macht den Menschen dann selig und froh, und erst allmählich muss er sich an diese Freude gewöhnen … Auch zu dieser Freude muss man stark sein, um sie nicht zu verlieren im Überschwang.« So wollen »seine Flügel immer wieder wachsen«. Das eine oder andere Stück seiner Kräfte taucht aus dem »Strudel« wieder hervor, und er hofft zu Gott, »dass er mich noch einmal zusammenleimt zu einem ganzen Kerl«. (Brief an den künftigen Schwiegervater, Juli 1921.)

      Nun begann die »Paukarbeit« für das erste Examen. »Die Kunst des Lebens will täglich neu erlernt sein. Hier gibt es nie ein Fertigsein, ein ›über dem Berg‹. Unser Leben muss sein ein ständiger Kriegsdienst, ein ›Immer-auf-dem-Posten‹. Ohne diese ständige Bereitschaft werden die Anfechtungen Herr über uns, wir verlieren die Orientierung, und unversehens sind wir der Depression erlegen. Wenn du glaubst, du ständest, siehe wohl zu, dass du nicht schon tief gefallen bist.41 – Ich habe vielleicht zu kleingläubig, einseitig die Notwendigkeit der Körperpflege betont. Ich habe Askese42 getrieben und wurde doch nicht Herr über mich und mein Wohlbefinden. Du hast die Gesundheit des Leibes und der Seele noch zu sehr an der Oberfläche gesucht und nicht zuerst im Gebet an der tiefsten, an der Urquelle!« (Tagebuch Februar 1922). Er müht sich um das vernünftige Maß zwischen körperlicher und geistiger Arbeit. »Noch bin ich ein Suchender, noch frage ich, wie viel Zeit darf ich dem Turnen, der Arbeit mit dem Spaten, der Hacke widmen. Eben glaubte ich ein gesundes Maß zu haben, … und schon habe ich dieses Maß wieder verloren. Kann mir Gott nicht Kraft geben, so viel er will, so viel ich bedarf, und jedes vernünftige Maß über den Haufen werfen? So bleibt mir also nur, mein Leben ganz auf Gott, den Übervernünftigen und Wunderbaren, Allmächtigen und Grundgütigen zu legen. Von ihm will ich mir sagen lassen, was ich zu tun, wie ich zu leben habe, und auf alle eigenen Maßstäbe verzichten. Herr Gott, zeige du mir mein Ziel, das Ziel meines Lebens und meiner Arbeit! Für dieses Ziel gilt es dann alle Kräfte einzusetzen, ihm dienstbar zu machen, und so manches jetzt so Dunkle muss dann licht werden. Diese befreiende Ausschau schenke mir, mein Gott und Vater!« (Tagebuch).

      Nach der bestandenen Prüfung lautet die Eintragung: »Ich glaube, ich muss immer treu, fleißig und auch mühevoll arbeiten, aber dann lässt es mir Gott auch gelingen« (Tagebuch).

      P. S. hat – nach Auskunft seiner Frau – mit sogenannten Zwischensemestern acht Semester Theologie studiert. Er hatte also während des Studiums keine Semesterferien. Denn während dieser fanden die »Zwischensemester« statt. Solche hatte man eingeführt, um Weltkriegsteilnehmern ein rasches Studium zu ermöglichen.

      Durch das Erlebnis und den erfreulichen Ausgang des Examens, das Anfang April 1922 in Koblenz stattfand, fühlte sich der nun knapp 25-jährige P. S., wie er an seine künftige Schwiegermutter schrieb, »doch wesentlich erleichtert und auch gestützt.«43 Er fügt hinzu: »Das ist gewiss die Reaktion auf meine frühere Skepsis und Unterschätzung von Kirchenregiment, Amt und Examen als bloß äußerlicher Formen. Ohne diese kritische Verachtung ist mir jetzt wohler. Nun steht man doch nicht mehr ganz so allein, sondern fühlt sich getragen und gehoben von der geschichtlich gewordenen Größe seiner Kirche, auf deren Zeugnis und Befähigung man nun nächst der göttlichen Stimme in der eigenen Brust seinen Dienst am Wort und Reich Gottes aufbauen darf.«

      Lehr- und Wanderjahre

      »Gott, mein Gott! Hältst du mich denn fest?«

      Tagebuch

      Ehe

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