Gänseblut. Wolfgang Santjer
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Читать онлайн книгу Gänseblut - Wolfgang Santjer страница 3
Plötzlich hörte er das Schnattern von Enten. Lautlos steckte er den Spaten ins Watt, legte das Gewehr auf den Spatengriff und entsicherte die Waffe. Der Zeigefinger suchte den Druckpunkt des Abzugs. Der Nebelvorhang riss für einen Moment auf und gab die Sicht auf mehrere Enten frei. Der Schuss traf die Ente am Boden. Kurz darauf hatte er wieder Glück, diesmal war es eine schöne fette Gans. Er hängte sich sein Gewehr um, denn für heute reichte es. Seine Jagdbeute in der linken, den Spaten in der rechten Hand marschierte er weiter durch das einsame Watt.
Endlich hatte er die Stelle mit den Steinen gefunden. Das Gewehr konnte er nirgends ablegen, also blieb es, wo es war. Die Jagdbeute legte er neben sich.
Der Spaten drang leicht in den Schlick ein.
Einer der Jäger hatte die Schüsse gehört und beschleunigte seine Schritte. Der Nebel hüllte ihn ein und er war froh, dass er den Kompass mitgenommen hatte. Ab und zu hörte er ein rhythmisch klatschendes Geräusch, waren das Schritte oder grub da jemand?
Dann war wieder alles still. Zwecklos, der Nebel war zu dicht und die Geräusche hatten aufgehört. So konnte er den Wilderer nicht finden.
Der alte Mann konnte kaum glauben, was er gerade ausgegraben hatte – eine kleine Glocke. Teufel auch, wenn die nicht aus Gold war! Ob sie noch funktionierte? Vorsichtig entfernte er den Schlick aus dem Gehäuse und bewegte die Glocke hin und her. Kling-Klong … Das schönste Geräusch, das er je gehört hatte.
Der Jäger hatte sich schon umgedreht und wollte die Suche aufgeben, als er plötzlich das Klingeln einer Glocke hörte. Da, schon wieder. Kling-Klong … Dieses Geräusch passte nun gar nicht in diese verlassene Gegend. Spukte es hier im Dollart, oder wollte ihn jemand verarschen? Er folgte dem Geräusch.
Die Welt um ihn herum hatte der Wilderer vergessen, deshalb sah er den Jäger zu spät. Der hatte das Gewehr auf ihn angelegt. Im nächsten Moment verschwand er wie eine Spukerscheinung in einer Nebelschwade. »Wirf dein Gewehr weg!«, klang es dumpf aus dem Nebel. Der Alte legte die Glocke ins Watt und griff nach seinem Gewehr, um es abzulegen.
In diesem Moment entstand wieder ein Loch in der dichten Nebelwand und die Kontrahenten hatten Blickkontakt. Der Jäger sah, dass der Wilderer sein Gewehr in der Hand hielt. Er fühlte sich bedroht und feuerte sofort. Der Schuss hallte dumpf nach und der Alte wurde nach hinten ins Watt geworfen. Der Jäger lief zu ihm und bückte sich. »Verflucht, warum hast du das Scheißgewehr nicht weggeworfen?«
Der Mann am Boden konnte keine Antwort mehr geben. Seine toten Augen waren weit aufgerissen.
Der Jäger konnte den Anblick kaum ertragen. Was sollte er tun? Würde man ihm glauben? Der Tote war ein armes Schwein, ein Hungerleider, und er selbst ein geachteter Mann. Das bedeutete jede Menge Ärger und Gerüchte, weil viele an der Notwehrsituation zweifeln würden. All seine Hoffnungen auf die angestrebten Ämter könnte er vergessen. Sein Blick fiel auf die Glocke im Watt. Als er sie aufhob, schlug der Klöppel an das Gehäuse. Kling-Klong.
Diese Glocke würde er niemals hergeben.
Nun wusste er, was er zu tun hatte. Der arme Sack hatte ja die Schaufel für sein eigenes Begräbnis gleich mitgebracht. Er durchsuchte den Toten. Das Einzige, was der bei sich trug, war eine alte Taschenuhr. Er nahm sie an sich und legte die Uhr zur Glocke. Dann zog er den Toten zurück in Richtung der Salzwiesen. Dort bedeckte er ihn und die Ausrüstung mit Treibsel aus abgestorbenen Schilfhalmen, das sich an der Flutkante angesammelt hatte. Danach ging er zurück zur Bohrinsel.
Sein Jagdkumpan wartete dort schon auf ihn. »Mann, wo bleibst du denn, ich steh hier schon eine Ewigkeit!«
Er zwang sich, ruhig zu bleiben. »Ich hab mich wohl ein bisschen verlaufen, aber von dem Wilderer keine Spur … Hast du was gesehen?«
»Nein, aber mehrere Schüsse habe ich gehört.« Sein Freund sah ihn misstrauisch an.
»Ja, ich auch. Ich dachte, du hättest sie abgegeben. Ist ja auch egal, die Suche im Nebel war sowieso sinnlos – lass uns nach Hause fahren.«
Als sie sich ins Auto setzten, sah er noch einmal Richtung Norden zurück. Später würde er alleine wiederkommen und den Toten in den Salzwiesen begraben.
Seine Hand streichelte unbewusst die Glocke in seiner Manteltasche.
Frühjahr 2009, Weener im Rheiderland, Haus der Familie Alting
(Karte Nr. 8)
Er saß in seinem Auto und beobachtete das Haus von diesem Alting. Das kleine Überraschungspaket lag im Fußraum vor dem Beifahrersitz. Vier Uhr morgens, die schwache Zeit der Menschen, Tiefschlafzeit und genau der richtige Zeitpunkt für sein Vorhaben. Vorsichtig öffnete er die Tür, nahm das Paket und schlich sich zum Haus.
Alting hing sicher sehr an dem Modell der Marker Mühle in seinem Vorgarten. Der Mann lächelte grimmig, als er sich vorstellte, wie viel Handarbeit darin steckte. Das Paket passte genau durch das kleine Tor der Modellmühle. Er befestigte es im Innenraum des Modells und wickelte die Angelschnur ab, die aus dem Paket hing. Mit dem anderen Ende der Schnur ging er zur Eingangstür und befestigte es an der Klinke. Vorsichtig prüfte er die Spannung. Optimal, nicht zu fest und nicht zu lose.
Er schlich zurück zu seinem Auto. Das gemeine Grinsen auf seinem Gesicht wollte einfach nicht verschwinden.
Menno Alting hatte schlecht geschlafen. Seine Tochter Gretje hatte ihn noch gewarnt. »Reg dich doch nicht so auf, Papa, das ist nicht gut für deine Nerven.«
Natürlich hatte sie wieder recht gehabt, aber dieses letzte Zusammentreffen mit den Jägern … Seine Wut kochte noch einmal hoch, als er daran dachte.
Vorgestern hatte er zusammen mit Naturschützern aus den Niederlanden eine große Anzahl verschiedener Gänse auf einer Wiese beobachtet. Alting wies seine Kollegen gerade auf zwei seltene Gänse hin, als ein Geländewagen auf ihren Standort zufuhr war und circa 200 Meter entfernt auf dem Seitenstreifen anhielt. Alting beobachtete mit dem Fernglas, wie das Seitenfenster des Autos heruntergelassen wurde. Der Fahrer streckte einen Arm aus dem Seitenfenster und warf einen Gegenstand in Richtung der Gänse. Der laute Knall eines Silvesterböllers ließ die Naturschützer zusammenzucken und die Gänse flogen in Panik davon. Gleichzeitig heulte der Motor des Geländewagens auf, der Fahrer fuhr rückwärts auf eine Grundstücksauffahrt und wendete dort. Alting rannte und stieß dabei das Stativ mit dem Fernglas eines niederländischen Kollegen um. Als er sich dem Wagen näherte, gab der Fahrer langsam Gas und beschleunigte immer etwas, sobald Alting wieder näher an ihn herankam. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male. Schließlich war Alting völlig außer Atem stehengeblieben und hatte nur noch den ausgestreckten Stinkefinger aus dem Seitenfenster des davonfahrenden Geländewagens gesehen.
Besonders ärgerte ihn, dass dies ausgerechnet vor den Augen der niederländischen Kollegen geschehen war. Das teure Fernglas musste er dem niederländischen Naturschützer auch noch ersetzen. Außerdem war das Autokennzeichen des Geländewagens so verschmutzt gewesen, dass er es nicht hatte lesen können. Es war ihm auch nicht gelungen, den Fahrer zu identifizieren, aber natürlich war das einer der Jäger gewesen.
Direkt nach dem Vorfall hatte Alting voller Wut einen Leserbrief per Internet an den Redakteur des Rheiderlandkuriers geschickt. Der war gestern in der Zeitung erschienen. Jetzt war er gespannt auf die Gegenreaktion. Alting war sich