Initiation. Frank Krause
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In das göttliche Königtum und die ewige Priesterschaft muss man eingeweiht werden, sonst ist das alles nur graue Theorie, die im Alltag keinen Niederschlag findet. Alle genannten Begriffe: bereitgemacht werden, überwinden, sich einlassen, Einweihung … das alles sind Dimensionen und weitere typische Aspekte von Initiation.
In früheren Zeiten war es allgemein üblich, dass ein junger Mann Mentoren hatte; er wurde zur Ausbildung zu Meistern seines Fachs geschickt, bei denen er ganz praktisch in deren Kunstfertigkeiten unterwiesen wurde. Aber mehr noch, lebte er eine Zeit lang mit ihnen zusammen. Er studierte dabei ihr ganzes Sein und besuchte nicht nur ihren Unterricht in Werkkunde. Bis in die Neuzeit hinein war das Ausbildungs-Modell von Jesus allgemein verbreitet: Der Meister und die Schüler, die sich um ihn scharten. Die Schüler wurden dabei vom Meister nicht nur informiert, sondern initiiert. Sie nahmen Teil an seinem Leben und Dienst, seiner Sicht und Handhabung der Dinge, seiner Reife und seinem Geist. Nicht ein Lehrpensum und das Absolvieren von Prüfungen entschieden darüber, ob ein Schüler so weit war, als tauglich und bewährt eingestuft zu werden, fähig, auch andere zu unterweisen, sondern der Meister beurteilte die Qualität und Reife des Schülers. Dabei umfasste die Beurteilung den ganzen Menschen und nicht nur ein Fach.
Denn der Mensch sieht auf das, was vor Augen ist, aber der Herr sieht auf das Herz (1 Sam 16,7).
Gott prüft das HERZ des Menschen, er schaut hinter die Fassade und in die Tiefe, wo wir die sind, die wir wirklich sind – und wovon wir häufig herzlich wenig wissen. „Herzensbildung“ (Stichwort: „emotionale Intelligenz“) ist heute kein Fach in der Schule, entsprechend haben wir kluge Köpfe mit verkümmerten Herzen.
Das Ziel initiatischer Bildung ist es, einen Menschen an sein tiefes Inneres heranzuführen, ihm einen Spiegel vorzuhalten und zu Selbsterkenntnis und Selbstreflektion zu befähigen. Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis gehen Hand in Hand und sind vorwiegend eine Herzensangelegenheit. Dabei spricht das Herz seine eigene Sprache, die nicht dem Intellekt entspricht und darum auch nicht allein mittels Lehrbuch und Seminar vermittelt werden kann.
Das Herz eines Menschen zu erkennen, seine einmalige Art, wie es wahrnimmt, empfindet und die Dinge betrachtet, das ist eine Aufgabe, der unsere verkopften Schulen nicht gerecht werden können; dafür braucht es eine ganz andere Qualität von Lehrern, die natürlich selbst durch Prozesse der Herzensbildung gegangen und darin gereift sein müssen, um nun anderen damit zu dienen. Es braucht „Väter“.
Seelsorge
In dieser Hinsicht hat die Bedeutung der Seelsorge in den Gemeinden zugenommen. Der Begriff der Seelsorge ist in den letzten Jahren immer breiter und ganzheitlicher formuliert worden, und zahllose neue Bücher sind erschienen. Jede Seele braucht Sorge, jeder Mensch einen Raum, in dem er sein kann, und ein Gegenüber, welches ihm Zeit und Gelegenheit gibt, sein Herz auszuschütten und über seine tieferen Beweggründe zu reflektieren und sich selbst auf die Schliche zu kommen. Wir sind der Überzeugung, dass es heute gerade die Seelsorge oder Supervision ist, wo eine Menge initiatischer Elemente zum Tragen kommen, auch wenn das dort vielleicht anders genannt wird.
Dennoch hält Karlfried Graf Dürckheim treffend fest:
Mit dem Wort „initiatisch“ ist eine Dimension des menschlichen Seins angesprochen, die sich sowohl von dem unterscheidet, was man gewöhnlich unter „Religion“ versteht, wie auch von aller „Therapie.“
Das Initiatische betrifft eine Dimension menschlichen Seins, die zu einer bestimmten Stufe des Menschseins gehört. Das Wesen dieser Stufe besteht darin, dass dem Menschen auf ihr zum Bewusstsein kommt, dass die eigentliche Wirklichkeit, sowohl seiner selbst wie seiner Welt, nicht die ist, die das natürliche Ich als solche begreift. Das natürliche Ich versteht darunter die Realität, die ihm als eine raumzeitlich bestimmte Wirklichkeit sinnenhaft begegnet und seinem rationalen Bewusstsein mehr oder weniger zur Erkenntnis und Meisterung zugänglich ist, und als „objektive“ Wirklichkeit seinen „subjektiven“, von Trieben und Gefühlen bestimmten „inneren“ Zuständen gegenständlich gegenübersteht. Auf der zum initiatischen Weg befähigten Stufe erkennt der Mensch, dass diese Weltsicht nur einen Aspekt … einer anderen, eigentlichen, überweltlichen Wirklichkeit darstellt …
Es gibt das Erlebnis einer Wirklichkeit, die das natürliche Ich und sein Begriffsvermögen überschreitet, ja, sogar paradox zu ihm steht. Diese Erfahrung nimmt die in ihr aufgehende übernatürliche Wirklichkeit aus dem Bereich bloßen Glaubens heraus und fügt sie dem Wissen des Menschen hinzu … Der Mensch einer bestimmten Stufe hat nicht nur gelegentlich solche Erlebnisse, sondern fühlt sich in ihnen beheimatet und der in ihnen aufgehenden Wirklichkeit verpflichtet.3
Erwachsenwerden
Das Wort „Initiation“ kommt uns heute so weit weg, mythisch und mystisch vor, weil wir diese Art des Lehrens und Lernens weit hinter uns gelassen haben. Wir beschränken die Wirklichkeit doch weitgehend auf die „raumzeitlich bestimmte Wirklichkeit“, wie Dürckheim sagt, der wir einen objektiven Gehalt beimessen. Heute muss ein Mensch nur gut auswendig lernen, um sich Fachwissen anzueignen und die entsprechenden Examen zu bestehen. Dann bekommt er einen Titel. Ob er wirklich „ein Händchen“ für die Sache hat, ob er einer Berufung folgt und Reife gewonnen hat, die ihn zu einem Meister machen, das interessiert gemeinhin nicht. Clinton Calahan sagt:
Ein initiatorischer Prozess ist der Aktivierungsprozess, der eine Person in die authentische Weisheit von Verantwortung und Konsequenz bringt … Die moderne Kultur erklärt, dass wir automatisch mit 18 oder 21 Jahren erwachsen sind. Doch das ist nicht der Fall. Unser Irrtum ergibt sich aus unserem mangelnden Verständnis darüber, was einen Erwachsenen ausmacht.4
Menschen generell mit 18 Jahren als „mündig“ zu bezeichnen, lässt einen vermuten, dass dahinter eine Art maschinelles und industrielles Denken steckt, welches Menschen gleichschaltet und nach Kriterien für „erwachsen“ erklärt, die gar nichts mit ihrem Menschsein zu tun haben können, denn dieses ist individuell.
Das Problem der Unklarheit, was Erwachsensein, Reife und Mündigkeit eigentlich bedeuten und wie wir sie definieren wollen, ist im Bereich der Spiritualität noch viel größer bzw. diffuser als auf der weltlichen Ebene. Um heute ein Pastor bzw. Gemeindeleiter zu sein, muss einer nicht einmal bekehrt, geschweige denn wiedergeboren sein. Er kann den „Job“ nach den Vorgaben der theologischen Fakultät studieren und dann nach den Anforderungen seiner jeweiligen kirchlichen Institution ausführen, die ihm aufgrund bestandener Prüfungen den Titel „Pastor“ o. Ä. verleiht. Was seine menschliche und geistliche Reife betrifft, so ist das „Privatsache“. Er muss nur nach Vorgabe funktionieren und alle sind zufrieden. Heute gibt es entsprechend immer weniger Berufe und immer mehr Jobs. Selbst Geistliche sehen ihre Arbeit inzwischen zusehend als „Job“ an, d. h. sie definieren ihre Arbeit funktional.
Ursprünglich geht es in der Religion um die „Rückverbindung zum Heiligen, Transzendenten und Absoluten“ (Wikipedia). Ohne eine solche Verbindung, also ohne eine spirituelle Anbindung, ist Religion nur ein frommes Regelwerk, eine Ideologie oder Tradition. Was damit gemacht werden kann, ist uns aus der Religionsgeschichte hinreichend bekannt. Predigt ein nicht initiierter Mensch – also einer, der „das Heilige“ nicht selbst gesehen und erfahren hat, den Weg der Hingabe daran (der Heiligung) nicht gegangen ist und die Hand des Herrn nicht berufend und bestimmend auf sich gespürt hat – über eine Bibelstelle wie Offenbarung 1,4-6 im Gottesdienst, dann