Initiation. Frank Krause
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Die Volksmengen waren über diese „Herzens-Predigt“ überrascht. Auf einmal ging es nicht um „Richtig und Falsch“, sondern um ein Leben in Wahrheit und Freiheit. Die alte Botschaft der Gebote kam in einem völlig neuen Gewand daher und erschien darin so ganz anders, als sie es je gehört und verstanden hatten. Für die Pharisäer, die in ihrer Gesetzlichkeit eher Gefängniswärtern glichen als Wegweisern zur Freiheit, war das ganz unerhört.
Für jeden von uns muss der gesetzliche und gefängnisartige Rahmen, den die Religiosität gerne und schnell annimmt, von Zeit zu Zeit aufbrechen, denn das Reich Gottes ist lebendig und der Geist beweglich. Einseitige Auslegungen sind dafür untauglich und wir sind mit göttlichen Worten und deren Interpretation niemals fertig.
Der Geist wendet die Gebote sehr persönlich auf uns an und offenbart uns ihre eigentliche Absicht und Kraft. Tatsächlich halten nicht wir sie, sondern sie uns. In Wahrheit sind wir nicht dadurch gute Christen, dass wir die Gebote halten, sondern dadurch, dass die Worte Gottes uns verwandeln in sein Bild – in der Kraft des Heiligen Geistes.
Die Volksmengen wunderten sich über die Kraft des Heiligen Geistes (die Salbung) auf Jesu andersartiger Predigt bzw. seine Vollmacht. Seine Worte brachten die Kraft, sich auf sie einzulassen und von ihnen in richtige, Gott wohlgefällige Menschen verwandelt zu werden, gleich mit!
Eine höchst beeindruckende Erfahrung mit dem Berg Gottes machten drei seiner Jünger auf dem sogenannten Berg der Verklärung (Mt 17), dem „Tabor“. Eine sagenhafte Geschichte, in der unglaublich viele geistliche Prinzipien stecken.
Auf dem Berg offenbarte sich Jesus den drei Jüngern, die er beiseite genommen und mit denen er aufgestiegen war auf den Gipfel. Das Gesicht Jesu wurde dort oben leuchtend wie die Sonne und seine Kleidung durchscheinend, so hell war das Licht. Für die Jünger war es wahrhaftig ein dramatisches Erleuchtungserlebnis: Erst wurden sie sprachlos, dann ohnmächtig und schließlich „erwachten sie völlig“ und „sahen seine Herrlichkeit“ (Lk 9,32).
Damit nicht genug: Jesus erschienen „in der Herrlichkeit“ (hier wurden die natürlichen Gesetze aufgehoben, Raum und Zeit übersprungen bzw. beweglich) Mose und Elia, die mit ihm „seinen Ausgang, den er in Jerusalem nehmen sollte“, besprachen (Lk 9,31). Dadurch wurde den Jüngern gezeigt, dass Jesus Teil der Heiligen Geschichte war.
Schlussendlich überschattete auch noch die lichte Wolke Gottes, die Schechina1, die Israel durch das Meer und die Wüste begleitet hatte und aus der heraus Gott mit Mose von Angesicht zu Angesicht wie mit einem Freund gesprochen hatte (vgl. 2 Mose 33,9-11), den Bergesgipfel, und eine Stimme sprach: „Dies ist mein geliebter Sohn, den hört!“
Aus diesen wenigen Hinweisen sollte deutlich geworden sein, wie ausgesprochen initiatorisch diese Geschichte ist. Die Jünger wurden nicht belehrt und unterrichtet, sondern „sahen und erlebten“ die großen Zusammenhänge. Sie wurden davon zutiefst beeindruckt, ja physisch überwältigt und zu Boden geworfen. Es war eine ganzheitliche Erfahrung des Heiligen, welches sich ihnen in seiner Herrlichkeit zeigte. Nach diesem Gipfelerlebnis konnten sie nicht mehr die Gleichen sein wie vorher. Sie waren jetzt „Wissende“. Ihre Idee davon, wer Jesus ist und worum es wirklich geht, wurde in einer unaussprechlichen Art und Weise erweitert, ja gesprengt, sodass sie „schwiegen und niemandem davon erzählten“ (Lk 9,36). Wie auch? Die Jünger hatten etwas von dem erlebt, was T. S. Eliot folgendermaßen beschreibt:
An die jenseitige Wirklichkeit zu glauben, heißt nicht, zu erwarten, dass wir, nachdem wir hier auf Erden ein erfolgreiches, sinnvolles und halbwegs tugendhaftes Leben geführt haben, in einer anderen Welt aufwachen werden, die sozusagen der bestmögliche Ersatz (bzw. Fortsetzung) für diese Welt ist; oder dass wir, wenn wir hier ein entbehrungsreiches Dasein gefristet haben, in der künftigen Welt mit all dem entschädigt werden, was uns hier nicht zuteilwurde. Es ist vielmehr die tiefe Überzeugung, dass die jenseitige Wirklichkeit die eigentliche Realität ist – und zwar hier und heute.2
Unio mystica
Weiter oben wurde schon Offenbarung 21,10 zitiert, wo es heißt, dass der Apostel Johannes „im Geist auf einen großen und hohen Berg geführt wurde“. Von dort aus sah er die Heilige Stadt, das Neue Jerusalem, von Gott herabkommen auf die Erde. Es sind dies die letzten Dinge und die große Erfüllung der Heiligen Geschichte in der Bibel. Himmel und Erde werden vereint, Gott und Mensch werden eine gemeinsame Stadt bewohnen und die Zeit der Zertrennungen (Tod und Sünde) ist vorbei.
Und er (Gott) wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen (Offb 21,4).
Das Ende ist der Anfang. Aus den Trümmern der alten Welt der Sünde und des Todes wird die neue Stadt der Gemeinschaft des Lebens in Liebe geboren. Die Zeit der „unio mystica“3, der Hochzeit des Lammes (Jesus) und der Braut (der Gemeinde), ist gekommen und die Einladung geht hinaus:
Und der Geist und die Braut sprechen: „Komm!“ (Offb 22,17).
Jedes einzelne Element dieser „letzten Dinge“, die zugleich die Wiederherstellung der „ersten Dinge“ bedeuten, ist für die Gläubigen von größter Bedeutung, nur dass viele in keinerlei Beziehung dazu stehen. Sie wurden nur darüber informiert, aber nicht in es hineininitiiert. Eine wirkliche Taufe hinein in diese „Dinge“ hat nicht stattgefunden, eine Offenbarung der Stadt wurde nicht empfangen und die Erfahrung einer Berufung, zu kommen und dazuzugehören, nicht gemacht. Die Identifikation mit der Heiligen Geschichte und noch mehr, ein Träger ihrer Herrlichkeit und Zeuge ihrer Realität zu sein, wurde also nicht verwirklicht. So stehen die Gläubigen weiter draußen vor der Tür und führen ein Leben jenseits dieser Realitäten.
Im Gleichnis von dem „großen Hochzeitsmahl“ (vgl. Mt 22,1 f.; Lk 15,15 f.) wird die Tragik veranschaulicht, dass der König zur Hochzeit seines Sohnes ruft, denn „alles ist bereit“, aber ach, die Geladenen lassen sich entschuldigen: Einer hat geheiratet, der andere einen Acker gekauft, den er begutachten muss, noch ein weiterer hat dringende Erledigungen zu machen … Nachdem der König seine Einladung per Eilboten wiederholt, sich aber an der Reaktion seiner „Freunde“ nichts ändert, stellt er schließlich fest: „Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Geladenen sind nicht würdig … viele sind Berufene (gerufen worden), wenige aber Auserwählte (sind eingetreten).“ Eine Tragödie von schicksalhaftem Ausmaß!
Den Geladenen ist offensichtlich weder bewusst, wer sie da ruft, noch worum es geht. Andersherum könnte man formulieren, dass ihnen auch nicht bewusst ist, wer sie sind und welche Würdigung darin liegt, dass der König nach ihnen schickt.
Sie gehen komplett an ihrer Berufung vorbei und ärgern sich sogar über die Boten des Königs, die