Operation Terra 2.0. Andrea Ross
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Sie durchquerten den Vorgarten ihrer neuen Behausung. Philipp hielt seinen rechten Daumen auf das Identifikationsfeld neben der Schiebetür aus Aluminium, die augenblicklich zur Seite glitt. Neugierig lugten er und seine Frau ins Innere des quadratischen Hauses.
Weißer Kunststoff, soweit das Auge reichte. Das gesamte Gebäude, einschließlich des mit leistungsfähigen Solarkollektoren verkleideten Daches, schien aus einem Guss gefertigt worden zu sein. Das galt auch für die wichtigsten Möbel.
Schränke, Esstisch, Küchenzeile – alles war fest eingebaut, verschmolz nahtlos mit den Wänden und dem Fußboden. Das Doppelbett im Elternschlafzimmer hatte man in eine Mulde des Bodens eingelassen.
Neben jeder Tür gab es ein Glasfeld in Regenbogenfarben. Philipp wischte vorsichtig mit der flachen Hand über eines davon. Das Pad reagierte, summte leise. Gedimmtes, indirektes Licht schaltete sich ein. Je nachdem, auf welchem Teilbereich des Feldes man sich mit den Fingern befand, erstrahlten die Plastikmodule in unterschiedlichsten Pastellfarben. Man hatte diese Technik einst von der Versammlungshalle in der CydoniaRegion abgeschaut. Mit einer Innovation: Die Helligkeit des Lichtspektakels ließ sich über den jeweiligen Fingerabstand vom Pad steuern.
»Klasse Idee! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass uns das sterile Weiß bald in den Wahnsinn treiben könnte«, freute sich Philipp und spielte ein wenig mit dem Pad. Er entschied sich im Wohnzimmer für einen warmen Orangeton, der bestens mit den hellgrauen Auflagen der Couchlandschaft harmonierte.
»Auf der Erde hätten wir uns eine solche Spielerei niemals leisten können. Hier hingegen gehört sie offensichtlich zum Standard«, stellte er begeistert fest.
Das Badezimmer konnte durchaus als spektakulär bezeichnet werden. Der türkisblaue Kunststoff war hier mit glitzernden, sandfarbenen Körnchen durchsetzt, die dezent vor sich hin funkelten und den Raum größer erscheinen ließen. Der Anblick erinnerte angenehm ans Meer. An der Zimmerdecke strahlte eine stilisierte Sonne gelbliches Licht ab, während die Beleuchtung von Badewanne und Boden in sanften Wellen bläulich pulsierte. Die Optik suggerierte Bewegung, als befände man sich mit den Füßen im seichten Wasser eines Strandes.
Erfreut stellte Swetlana bei ihrem weiteren Rundgang fest, dass man bereits für zwei Kinder vorgesorgt hatte. Es gab ein relativ großes Zimmer, in dem zwei Betten frei schwingend von der Decke hingen, die sich rundum mit Plexiglas gegen Herausfallen absichern ließen. Man erreichte sie bequem über eine kunterbunte, elektrisch betriebene Aufzugkapsel an der Wand. Mehrfach probierte die künftige Mutter aus, wie man die Betten mittels einer Fernbedienung an die Kapsel andockte, so dass Kinder gefahrlos in ihre hängenden Betten umsteigen konnten. Dank dieser intelligenten Lösung blieb am Boden genügend Platz zum Spielen und Toben.
»Dann kann der erste kleine Marsmensch ja bald kommen«. Swetlana schmiegte sich glücklich in Philipps Arme.
*
Schon am folgenden Tag mussten die Emmersons feststellen, wie festgefügt und überreguliert in der Marsexklave Phönix 1 der Tagesablauf war. Es gab Schulungen in Gartenbau und Haushaltsführung, dazu einen Kurs mit albernen Rollenspielen über Konfliktbewältigung, Kommunikation und den allgemeinen zwischenmenschlichen Umgang; Teilnahme war Pflicht. Man musste feste Tageszeiten für die Gartenarbeit einhalten und durfte seine Behausung ansonsten nur nachts verlassen. Dabei hatten die Leute jedoch innerhalb des mit einer zwei Meter fünfzig hohen Mauer befriedeten Siedlungsgebietes zu bleiben.
Das Freizeitangebot umfasste ein 5D-Kino, ein hochmodernes Schwimmbad und diverse Tanzveranstaltungen, die jedoch nicht täglich stattfanden. Die Organisation wirkte reichlich chaotisch, hatte sich noch nicht eingependelt.
»Freiheit habe ich mir ein wenig anders vorgestellt«, lamentierte Philipp nach zwei Wochen Stubenhockerei. »Ich möchte gerne die umliegende Gegend erkunden und meinen Tagesablauf selber bestimmen. Die können uns doch nicht ewig an der kurzen Leine halten! Wenn das so weiter geht, bekomme ich einen Lagerkoller.«
Am Ende der dritten Woche suchte er die Verwaltung auf, um nach Sondererlaubnissen zu fragen. Mittlerweile fehlten nur noch zwei Raumfrachter, also insgesamt zweihundert Personen. Da hätte es nach seiner Ansicht doch möglich sein sollen, allmählich so etwas wie Alltagsnormalität in der Siedlung aufkommen zu lassen.
Aber weit gefehlt. Die unattraktive Dame im Verwaltungsbüro erklärte ihm, dass auf der Erde noch Verhandlungen im Gange seien, wie eventuell anwesenden Außerirdischen zu begegnen wäre. Es gebe Hinweise darauf, dass sich weitere, nicht von der Erde stammende Marsianer auf dem Planeten aufhielten. Bis das vollends geklärt sei, solle man sich ruhig und unauffällig verhalten und die Urbanisation aus Sicherheitsgründen keinesfalls verlassen.
»Das kann lange dauern«, seufzte die dürre Brünette mit dem Nasenhöcker. »Sobald mehrere Nationalitäten an der Entscheidungsfindung beteiligt sind, ist eine Einigung schwer zu erzielen. Soll man sich den Fremden zu erkennen geben, wie soll man zu kommunizieren versuchen, könnten die Anderen uns womöglich feindlich gesinnt sein, wie verteidigen wir im Ernstfall unser Territorium … über solche und andere Dinge redet man sich die Köpfe heiß.
Momentan liegen die USA mit den Osteuropäern im Clinch. In nächster Zeit besteht wohl keine Chance auf eine einheitliche Gangart, tut mir leid. Ich muss Sie also bitten, sich strikt an die bestehenden Regeln zu halten.«
»Super! Und ich habe geglaubt, es gäbe hier die Möglichkeit zu einem echten Neubeginn. Dabei ist alles beim Alten. Wir haben gleich die unangenehmsten Kulturgüter der Erde hier installiert, wie es scheint«, schimpfte Philipp. Er war desillusioniert und musste sich eingestehen, dass er und seine Frau wildromantischen Vorstellungen über ein schönes Leben auf dem Mars aufgesessen waren, die mit der Realität wenig gemein hatten.
»Schlimmer noch«, erwiderte die dürre Krähe sarkastisch.
»Wir hängen trotz der riesigen Entfernung an stählernen Marionettenfäden. Hätte ich das vor meiner Bewerbung geahnt, würde ich jetzt bestimmt nicht hier auf dem Mars sitzen und meinen Mitmenschen unfreiwillig auf die Nerven gehen. Ich hatte es früher so bequem auf meinem Verwaltungsposten im Europäischen Parlament.«
Mars, 12. August 2121 nach Christus, Dienstag
In Phönix 1 war nach und nach so etwas wie Alltag eingekehrt, auch wenn dieser mit den alten Gewohnheiten von der Erde wenig zu tun hatte. Bis auf weiteres galt für den Mars dasselbe Zeitsystem wie auf der Erde, weil die Siedlung als Kolonie und nicht als eigenständiges Land galt. Ein marsianisches SolJahr betrug zwar aufgrund der weiten Entfernung zur Sonne rund 668 Sol, war also annähernd doppelt so lang wie ein irdisches, aber das interessierte auf der Erde niemanden. Somit lag beispielsweise der August in dem einen Jahr im Hochsommer, im nächsten im tiefsten Winter. Manche Einwohner verwirrte das, denn die willkürlich festgelegten Monate wirbelten den natürlichen Rhythmus durcheinander.
Dabei wäre es so einfach gewesen, ein sinnvolleres Zeitsystem einzuführen. Bereits 1985 hatte der Raumfahrtingenieur und Politologe Thomas Gangale einen Marskalender entworfen und diesen nach seinem Sohn Darius Darischer Kalender benannt. Dieser Kalender teilte das SolJahr in 24 Monate auf, wobei der Jahresbeginn zugleich den Frühlingsanfang auf der nördlichen Hemisphäre des Planeten markierte. Aber nein, die Mächtigen der fernen Erde wollten offenbar vermeiden, Umrechnungen vornehmen zu müssen, wenn es um gemeinsame Termine ging. Der Mars duckte sich unter der irdischen Knute.
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