Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren. A. F. Morland
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Als es Abend war, hatte Eva-Maria natürlich nicht bei Hermann Mittler angerufen.
In der Nacht waren die irrsinnigen Schmerzen zweimal gekommen. Als schließlich der Wecker ging, hatte sie sich wie gerädert gefühlt. Da hatte sie sich geschworen, heute wirklich zu telefonieren und nichts dazwischenkommen zu lassen.
Walter rührte versunken in der leeren Tasse und blieb ins Studium der Zeitung vertieft. Die Unsitte des Zeitunglesens beim Frühstück hatte er sich in all den Jahren nicht abgewöhnt.
Jetzt merkte er, dass sein Löffel keinen Widerstand in der Tasse fand und das leise Klirren ganz anders als sonst klang. Er blickte hoch, abwesend und noch ganz bei den Schlagzeilen von Wirtschaft und Politik, und hörte Tina in kindlich mitfühlendem Ton sagen: „Jetzt kneift’s die Mami aber wieder tüchtig im Bauch!“
Sein abwesender Blick kehrte in die Wirklichkeit und an den Frühstückstisch ihrer kleinen Familie zurück.
„Kneift? Im Bauch?“ Er sah die abgestellte Kanne, die leere Tasse und dahinter seine Frau in unnatürlicher Haltung. Eva-Marias Gesicht war schmerzverzerrt und bleich, auf der Stirn perlte feiner Schweiß.
Mit einer jähen, fast wilden Behändigkeit kam er vom Stuhl hoch, den Ausdruck größter Besorgnis im Blick. Achtlos flog die Zeitung zu Boden.
„Seit wann hast du das?“ Seine Hand legte sich behutsam auf ihre Stirn. „Eine Erkältung vielleicht? Letzte Woche hast du doch im Steingarten gearbeitet, da ging ein ziemlich kühler Wind.“ Die Stirn war kühl. Verwundert nahm er die Hand weg. „Wo sitzt der Schmerz?“ Das war wieder seine besorgte Stimme, wie sie sie schon lange nicht mehr gehört hatte. Ja, damals, als sie mit Martina schwanger war. Aber das war lange her.
Seine plötzliche Fürsorge tat ihr gut. Zaghaft sagte sie: „Im Leib. Und im Rücken.“
„Seit wann?“, wiederholte er.
„Ein paar Tage schon. Ich dachte, es ginge so vorbei. Nachher rufe ich Hermann an. Das habe ich mir fest vorgenommen.“
„Wozu Hermann, mein Schatz? Der ist in Bonn, und das ist ein bisschen weit, meine ich. Du willst dich doch von ihm untersuchen lassen. Nicht?“ Er sah, dass sie die Arme um den Leib gepresst hielt und bemüht war, das vor ihm zu verbergen. „Dann rufe ich Scharnitz an. Besser noch, ich bringe dich gleich runter zu ihm.“
Sie lächelte tapfer und schüttelte den Kopf. „Es ist gleich vorbei, ich kenne das schon. Es kommt und geht.“
„Seit ein paar Tagen!“, hielt er ihr die eigenen Worte vor. „Das kann kein Dauerzustand werden. Bitte, mache dich fertig. Ich nehme dich mit runter in die Stadt.“
Der grässliche Schmerz ließ allmählich nach. Eva-Maria richtete sich auf. „Siehst du, es geht schon wieder.“ Sie brachte die Arme zum Vorschein, griff nach der Kanne und schenkte ein. „Außerdem kommst du zu spät. Und zu Doktor Scharnitz will ich nicht.“
Er hörte den Unterton. „Was hast du gegen ihn? Er hat unser Tina Mäuschen geholt, und du warst sehr zufrieden mit ihm.“
„Vor acht, vor neun Jahren, ja. Bitte, lass mich erst mit Hermann sprechen. Ich lege Wert auf seinen Rat.“
Ihre Abneigung gegen einen Besuch bei Dr. Scharnitz war nicht zu übersehen. Er machte gar nicht erst den Versuch, sie umzustimmen. Dunkel erinnerte er sich an alten Klatsch, der Jahre zurücklag. Scharnitz wurde eine Liaison mit einer Kollegin nachgesagt. Genaues war nie herausgekommen. Der Mann galt weiterhin als ausgezeichneter Frauenarzt.
Möglich, dass dieses alte Gerücht den Ausschlag gab. Eva-Maria war in Dingen der Moral konservativ und konsequent. Untreue war etwas, das niemals ihre Billigung fand und das sie auch nicht tolerierte.
Vielleicht war an der Sache damals auch mehr dran. Frauen pflegten meist besser informiert zu sein.
Er betrachtete sie besorgt. Sie gewahrte, wie eine stille, verhaltene Zärtlichkeit in seinen Blick kam.
„Du kannst auch den Wagen haben“, bot er ihr an. „Ich nehme die S-Bahn.“
„Das ist wirklich nicht nötig, Walter. Sobald ich euch zwei aus dem Haus habe, rufe ich in Bonn an.“ Sie schaute auf die Uhr. „Du musst dich beeilen.“
Er ging zu seinem Stuhl und hob die Zeitung auf. „Der Ärger erwischt mich noch früh genug. Und im Büro kennen sie mein Gesicht.“ Prüfend und eindringlich blickte er sie an. „Auf elf Uhr ist eine Konferenz angesetzt, der Etat fürs nächste Jahr soll um dreißig Prozent gekürzt werden. Schwer zu sagen, wann ich da herauskomme. Ich rufe dich besser vorher an.“
„Wozu?“ Ihre ganze Haltung drückte Ablehnung aus. Sie fühlte sich gedrängt. Das mochte sie nicht.
„Um zu hören, was dein Hermann meint. Ich bezweifle allerdings, dass er dir von großem Nutzen ist. Ein Arzt muss seinen Patienten vor sich sehen. Er wird dir raten, hier zum Doktor zu gehen.“
„Ich will ja gar keine Diagnose von ihm gestellt haben. Nur seine Meinung möchte ich hören. Außerdem ist er nicht mein Hermann“, verwahrte sie sich vorsorglich.
„Er hätte es gut werden können, wenn ich mich nicht mehr ins Zeug gelegt hätte als er. Immerhin hat er mir voraus, dass ihr euch schon im Sandkasten geprügelt habt. Das verbindet.“
„Werde nicht kindisch, Walter. Er hat mich nie geprügelt.“
„Aber du ihn. Er hat es mal erzählt, ich entsinne mich.“ Seine Augen blickten vergnügt.
Sie atmete auf. Seine brummige Laune der letzten Tage war wie weggewischt. Diese phänomenale Wandlungsfähigkeit faszinierte sie immer wieder.
Er konnte mit Ausdauer und Sturheit und tiefem Ernst einen Standpunkt im Gespräch vertreten, bis plötzlich ein Stichwort, eine Geste oder eine Entgegnung den Umschwung bei ihm auslöste. War er eben noch ein erbitterter Debattieren zeigte er sich im nächsten Augenblick als unterhaltsamer launiger Plauderer, der auch einem derben Flachs nicht abgeneigt war.
Seine Anspielung auf die Sandkastenabenteuer im zarten Kindesalter ließ sie lächeln. Irgendwie schaffte er es immer, einer Begebenheit eine spaßige Seite abzugewinnen.
Das war wohltuend, und sie wusste nur zu genau, wie oft er sie damit schon ins Gleichgewicht gebracht hatte, wenn sie niedergeschlagen war.
Liebevoll beobachtete sie ihn, wie er Tina den Schulranzen hinhielt, sein Jackett von der Garderobe nahm und den Wagenschlüssel suchte, der wie immer auf der Ablage deponiert war. Er wühlte jedoch immer erst in den Taschen.
Mit einem Lachen voll diebischer Freude schnappte Martina nach dem Schlüssel und hielt ihn triumphierend hoch. „Da ist er doch, Papi!“
Es gab das übliche Gerangel um den Schlüssel. Dann ergriff er den Aktenkoffer und kam noch einmal herein, trank den letzten Schluck Kaffee und gab ihr einen Kuss.
Es war eine Zeremonie, die sich etwas abgenutzt hatte. Dennoch mochte sie diese morgendliche Verabschiedung nicht missen.
Heute kam ihr sein Kuss weniger flüchtig vor.
War das eine liebenswürdige Aufmerksamkeit oder Ausdruck seiner