BERLIN. Eugen Szatmari

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BERLIN - Eugen Szatmari

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hier wohnen Reichspräsident und Reichskanzler, hier werden die Gesetzesentwürfe ausgearbeitet, hier wird der Etat geboren. Das Reichsfinanzministerium befindet sich allerdings an der anderen Ecke des Wilhelmplatzes, die noch nicht vor Lastkraftwagen geschützt ist. Offenbar glaubt die Verkehrspolizei, dass das Finanzministerium eben mehr vertragen kann als die anderen Ministerien. Dem Fremden soll es aber gesagt werden – es ist das Haus Wilhelmstraße 61, wo der Herr Reichsfinanzminister als oberster Kriegsherr aller Steuererklärungen thront, während an der gegenüberliegenden Ecke sich das Haus der Reichsbahngesellschaft erhebt. Das Hotel Kaiserhof ist nun doch Hotel geblieben, obwohl die Geheimräte im Reichsfinanzministerium mit ihren geistigen Augen schon die Seufzerbrücke gesehen haben, die sie aus dem alten Haus des Ministeriums zum Hotel umbauen wollten. Sonst steht von Nichtregierungsgebäuden nur noch eine Bank und das Palais der amerikanischen Botschaft auf diesem Platz. Das Übrige gehört dem Reich und Preußen.

      Pressekonferenzen

      Im ehemaligen PALAIS LEOPOLD an der Ecke der Wilhelmstraße haust die Presseabteilung der Reichsregierung. Hier versammeln sich jeden Mittag die politischen Redakteure der deutschen Presse, um die Ereignisse der Tagespolitik mit den Vertretern der Reichsregierung zu besprechen. Diese Versammlung ist eine Art Vizeparlament. Auch hier kann man erregte Debatten erleben, auch hier werden manchmal unangenehme Fragen gestellt, und auch hier kann man Ministerreden hören, denn es gibt Minister, die es sich nicht nehmen lassen, die Presse selbst zu informieren. Der wesentlichste Unterschied zwischen der Pressekonferenz und dem Reichstag soll darin bestehen, dass es in der Pressekonferenz kein Restaurant gibt und auch keine Diäten. Aber das kann ja noch einmal nachgeholt werden.

      Hier wohnt der Reichskanzler

      Gegenüber diesem Palais Nr. 77 wohnt der Reichskanzler in einem schönen Hause, dessen Garten sich bis zur Friedrich-Ebert-Straße erstreckt. Hier hat schon Bismarck gewohnt, die Räume sind groß, geräumig, luftig, die weißen Türen mit Gold verziert, und die Diener tragen stets weiße Handschuhe.

      Hier wohnt der Außenminister

      Daneben wird in drei Häusern die auswärtige Politik des Reichs gemacht und hier wohnt auch der Außenminister Dr. Stresemann, aber nicht in einem der Palais, sondern in einer Villa, die sich mitten im großen Garten des Ministeriums befindet. Findet bei ihm ein Empfang statt, so fahren die Gäste in der Friedrich-Ebert-Straße vor, wo eine hohe rote Mauer darüber wacht, dass gewöhnliche Sterbliche keinen Einblick in diesen Garten Eden der diplomatischen Genüsse bekommen.

      Hier wohnt der Reichspräsident

      Im Hause Nr. 73 wohnt der Reichspräsident. Vor dem Gartentor stehen zwei Schupoleute, während am inneren Eingang des Palais zwei Soldaten Wache halten. Hier sind auch die Büros des Reichspräsidenten, die sein treuer Adlatus, Staatssekretär Meißner, verwaltet.

      In den gegenüberliegenden Häusern sind verschiedene Reichsbehörden untergebracht, an der Ecke Unter den Linden steht das Haus des Preußischen Ministeriums für Kultur und Unterricht, während einige Schritte weiter, in einem Palais von gelber Farbe, der Botschafter Seiner britischen Majestät zu Hause ist. Der Reichsminister des Innern haust mit seinem Beamtenstab in dem großen roten Gebäudekomplex des ehemaligen Großen Generalstabs am Platze der Republik, das Reichswehrministerium in der Bendlerstraße, das Postministerium in der Leipziger Straße, die preußische Landwirtschaft und Handel werden ebenfalls aus der Leipziger Straße regiert, während sich das Reichsjustizministerium in der Voßstraße befindet. Trotzdem die meisten Ministerien nicht in der Wilhelmstraße liegen, schlägt aber das politische Herz Deutschlands doch hier. Hier werden die Entscheidungen getroffen.

      Besprochen – und zwar ausgiebig – werden sie allerdings am Platz der Republik, in dem großen Bau mit der goldenen Kuppel, der die stolze Aufschrift »Dem deutschen Volke« trägt: im Reichstag. Wer ein Interesse an dem politischen Leben Deutschlands hat, wird gewiss neugierig sein, wie es in diesem Hause aussieht.

      Im Reichstag

      Hat man Glück, so flattern die schwarz-rot-goldenen Fahnen auf den Masten des Parlaments – die Sitzung ist im Gange. Hat man noch mehr Glück, so gibt es auch eine kleine Regierungskrise, was ja nicht allzu selten ist. Und hat man sehr viel Glück und einen Bekannten, der in diesem Palast als M. d. R. oder als Journalist zu Hause ist, so kann man auch eine Tribünenkarte bekommen, ja sogar einen Blick in die Wandelgänge werfen.

      Vor dem Portal in der Simsonstraße, wo sich der Eingang für die Abgeordneten und für die Presse befindet (gewöhnliche Sterbliche können das Haus nur vom Reichstagsufer aus betreten), halten eine Menge Autos, Schupoleute patrouillieren herum und auch ein paar Dutzend Neugierige stehen da, die im Mittagsblatt gelesen haben, dass der Reichstag einen großen Tag habe. Das Thermometer des Reichstags ist aber die Kleiderablage. Sind alle Kleiderhaken besetzt, so muss etwas Wichtiges vorgehen. Denn sonst sieht die Garderobe des Reichstags ungefähr so aus wie die eines Sommertheaters bei gutem Wetter.

      Es geht also etwas vor. Die große Wandelhalle, die mit einem purpurroten Teppich bedeckt ist, wimmelt von Menschen. Ob das alles Abgeordnete sind? Nein, nein – es sind auch welche darunter, die erst Abgeordnete werden wollen, es sind ferner Journalisten darunter, die für die Abgeordneten unentbehrlich sind, da sie zumeist von ihnen erfahren, was eigentlich los ist, es sind Amateurpolitiker darunter, die alle einen fertigen Kompromissplan oder ein Koalitionsprogramm in der Tasche tragen, und es sind schließlich auch politikbegeisterte Damen darunter, die gerade an solchen schicksalsschweren Tagen mit Vorliebe auftauchen. Überall stehen kleine Gruppen beisammen. Man debattiert, man fängt einzelne Worte auf, Namen, Fetzen einer Unterhaltung. Die Stimmung wechselt alle fünf Minuten. Bald ist alles zerschlagen, bald ist wieder alles »in Butter«. Hat man den Topf zerschlagen, so eilt man mit dem Leim, um ihn wieder zusammenzuleimen. Was machen die Sozis? Sie sitzen beisammen. So viel wie im Reichstag wird vielleicht nirgends beisammengesessen.

      Was geschieht? Wird man ablehnen, oder gibt man nach?

      Man kann es nicht wissen. Hier kann man es nie wissen.

      Ein Journalist flitzt durch die Wandelhalle und verkündet eine Neuigkeit: In dem Fraktionszimmer der Demokraten hat soeben ein Kompromissvorschlag das Licht des parlamentarischen Tages erblickt. Bis er aber zum Telefon stürzt, um die Sensation zu melden, ist die Sache nicht mehr wahr. Der Vorschlag ist nämlich schon abgelehnt.

      Lord Breitscheid

      Dr. Breitscheid – neuerdings kurzweg »Lord Breitscheid« genannt – promeniert in der Wandelhalle mit einer jungen Journalistin. Es ist ein sehr ungleiches Paar, denn Breitscheid ist unangefochtenerweise der »größte« Abgeordnete, wogegen besagte Dame ebenso unangefochtenerweise das »kleinste« Mitglied der Reportergarde ist. In einer anderen Ecke sieht man die salbungsvolle Gestalt des Domkapitulars Dr. Leicht von der Bayerischen Volkspartei inmitten einer großen Gruppe. Dr. Dernburg, massig und kraftvoll, versucht einige Volksparteiler umzustimmen. Baron von Lersners schlanke schwarze Gestalt eilt durch die Halle, und Erich Koch, der Chef der Demokraten, zieht sich mit einigen seiner Parteifreunde in eine Ecke zurück. Was mag dort nur vorgehen?

      Nicht weniger reges Leben herrscht in den inneren Wandelgängen, zu denen eigentlich nur die Abgeordneten Zutritt haben sollen. Aber in Krisentagen nimmt man es nicht so ernst mit den Vorschriften, und so schwirren im linken Wandelgang, wo die Sozialisten auf den Plüschsofas beraten, ausländische Korrespondenten herum, die wissen wollen, was sie nach Paris und London, nach Rom und New York melden sollen. Scheidemanns Spitzbart taucht auf und verschwindet wieder im Restaurant …

      Im Restaurant

      Dieses Restaurant! Es ist das Hauptquartier aller Gerüchte und Vermutungen, aller Kombinationen, die niemals wahr sind, aller Aufregungen und Beschwichtigungen. Da sitzt man in aller Ruhe – hübsch nach Parteien getrennt, lässt sich von seinem Stammkellner bedienen,

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