Kubinke im Spinnennetz: Kriminalroman. Alfred Bekker
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„Und wenn da jemand einen Tipp gekriegt hat?”
„Ausschließen können wir das nicht, Harry.”
„Wir werden die Kollegen vor Ort mal danach fragen.”
„Dieses Königreich der letzten Tage soll bei seinen Drogengeschäften mit der Bande von Benny Drago zusammenarbeiten”, sagte Rudi. „Zumindest wird das vermutet, ohne dass dafür bisher gerichtsverwertbare Beweise vorgelegen haben.”
„Wir haben noch nicht einmal gerichtsverwertbare Beweise, dass die Bande von Benny Drago überhaupt existiert”, gab ich zu bedenken. „Offiziell ist dieser Benny Drago ein ehrenwerter Geschäftsmann, der sein Geld durch Finanzgeschäfte verdient und mit dem organisierten Verbrechen nichts zu tun hat.”
„Wie so oft: Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass Drago der Kopf einer Organisation ist, die den Drogenhandel im Norden von Deutschland beherrscht, und man kommt an diesen Kerl einfach nicht heran.”
„Solange Spatzen vor Gericht nicht als Zeugen anerkannt werden, wird das wohl auch so bleiben”, meinte ich. „Wahrscheinlich haben die Kollegen gehofft, durch ihre Aktion gegen das Königreich der letzten Tage auch etwas zu finden, mit dem sich gegen Benny Drago und seine Organisation vorgehen ließe ...”
„Du musst dir mal die Fotos vom Explosionsort ansehen”, sagte ich. „Da gibt es ein paar verkohlte Objekte, von denen man vielleicht vermuten kann, dass es sich mal um Rechner und Festplatten gehandelt haben könnte.”
„Ja, ja, ich verstehe schon, was du meinst.”
„Ich will es mal auf den Punkt bringen: Benny Drago und seine Bande haben mindestens ein genauso großes Interesse daran, dass die bei der Durchsuchung des Sektenzentrums des Königreichs der letzten Tage sichergestellten Beweismittel jetzt nichts mehr sind als verkohlte Artefakte unklarer Herkunft.”
„Und trotzdem ist es nach Lage der Dinge natürlich am naheliegendsten, dass Christian Timmer unser Mann ist, Rudi.”
„Ein irrer Sektenkrieger, der seine verhafteten Glaubensbrüder gegenüber einem BKA rächen will, das für ihn nichts weiter als ein Terror-Instrument eines verhassten Staates namens Deutschland ist”, formulierte Rudi den Gedanken noch etwas schärfer, der auch mir im Kopf herumschwirrte. „Leute mit Timmers sehr speziellen Fähigkeiten dürften selten sein. Insofern gebe ich dir recht.”
„Über einen Punkt komme ich noch nicht so ganz hinweg.”
Rudi hob die Augenbrauen. „Und welchen?”, fragte er.
„Es gab drei Anschläge – jedes Mal so verheerend, dass quasi kein Stein auf dem anderen blieb: In Rostock, Lübeck und Neubrandenburg.”
„Richtig.”
„Also liegt es nahe, dass das Ganze etwas mit irgendeinem Problem im Norden zu tun hat.”
„Weswegen wir ja das Königreich der letzten Tage und diesen Christian Timmer im Auge haben. Worauf willst du hinaus, Harry?”
„Darauf, dass es - für den Fall, dass es um die Vernichtung von Beweisen ging - tatsächlich ausgereicht hätte, eines der Büros in die Luft zu sprengen. Nämlich das in Rostock. Wieso Lübeck und Neubrandenburg?”
„Vielleicht wussten der Täter und seine mutmaßlichen Hintermänner nicht, wo sich die Beweise zurzeit befanden?”
„Unwahrscheinlich, Rudi.”
„Ach, ja?”
„Über die bevorstehenden Prozesse gegen die verhafteten Mitglieder des Königreichs der letzten Tage wurde man unter anderem in der örtlichen Presse ausführlich informiert. Das heißt, dass man schon wusste, dass die Beweismittel in Rostock gelagert werden, und nicht etwa in der Asservatenkammer der örtlichen Polizei.”
„Okay, eins zu null für dich.”
„Und wenn man sich in dem Punkt nicht so ganz sicher gewesen wäre, hätte es mehr Sinn gemacht, die örtliche Polizeizentrale auf diese Weise anzugreifen - aber nicht die Büros in Lübeck und Neubrandenburg.”
Rudi zuckte mit den Schultern.
„Hast du eine Theorie, was diesen Punkt angeht?”
„Keine, die schlüssig wäre. Es sei denn ...”
„Ja?”
„Es ging gar nicht um die Vernichtung von Beweisen.”
„Was beinahe noch mehr für diesen Christian Timmer als Täter sprechen würde. Nach allem, was wir über ihn wissen, würde für ihn der pure Hass auf den Staat und dessen Behörden schon ausreichen, um dem BKA quasi eine Art Privatkrieg zu erklären.”
„Oder es steckt noch etwas anderes dahinter.”
„Ich denke, zu diesem frühen Zeitpunkt können wir in dieser Hinsicht nur im Nebel stochern, Harry.”
„Es gibt noch einen zweiten Punkt, der mich bisher an dem Fall irritiert, Rudi.”
„Immer raus damit!”, verlangte mein Kollege. „Ich nehme an, du sprichst von dem Anschlag in Potsdam.”
Ich hob die Augenbrauen. „Kannst du Gedanken lesen?”
„Deine schon.“
„Aha.“
„Wenn ich Verdächtige verhöre, klappt das leider nicht.”
„Du hast recht, der Anschlag in Potsdam passt irgendwie nicht zu den anderen drei.”
„Anderes Bundesland, andere Vorgehensweise”, fasste Rudi die Punkte zusammen, die natürlich auch mir durch den Kopf gegangen waren. „Wobei bislang alles dafür spricht, dass derselbe Sprengstoff verwendet wurde und die Methode auch identisch war. Wir müssen natürlich die genaueren Untersuchungen abwarten.”
„Wieso wurde nur ein Fahrzeug in die Luft gesprengt - und nicht die Büros?”, brachte ich den Punkt zur Sprache, über den ich schon die ganze Zeit nachgegrübelt hatte.
„Die Kollegen gehen davon aus, dass die Büros gemeint waren. Schließlich stand der Wagen direkt davor.”
„Der Schaden in Potsdam ist relativ gering”, gab ich zu bedenken.
„Vielleicht wurden die Auswirkungen der Detonation überschätzt.”
„Jemand wie unser Sprengstoffspezialist Timmer sollte sich da so sehr vertan haben?”, gab ich zurück.
„Wir werden der Sache nachgehen, Harry - und dabei diesen Punkt im Auge behalten.”
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