Die Leiche im Hühnermoor. Gisela Garnschröder

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Die Leiche im Hühnermoor - Gisela Garnschröder

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und lief im Zimmer herum. »Du hast recht, ich habe dich belogen. Weißt du eigentlich, wie schwer es ist, jemandem zu erklären, dass man seine Eltern verloren hat, und vor allem, wie sie gestorben sind? Ich kann diese Mitleidsbekundungen nicht mehr ertragen!«

      »Setz dich bitte wieder«, sagte ich mit unterdrücktem Zorn und meine Schultern bebten.

      Er sah wohl meine innere Anspannung und tat mir den Gefallen. Ich sammelte die Scherben seiner Untertasse ein, brachte sie in die Küche und kam mit einer neuen zurück.

      »Vor fast achtzehn Jahren«, fuhr er fort, »hatten wir wirklich ein Haus mit einem großen Garten in Heidelberg, die Straße kennst du. Als ich zwölf war, starb mein Vater, er hat sich umgebracht, das erfuhr ich erst viel später. Meine Mutter in ihrer Verzweiflung brachte sich ebenfalls um. Erspare mir bitte die Einzelheiten. Man brachte mich in ein Heim und ein Vormund wurde Verwalter meines Vermögens.«

      Ich sah ihn zweifelnd mit großen Augen an.

      »Du hast richtig verstanden«, versicherte er gereizt. »Es war nach dem Verkauf des Hauses und der Firma meines Vaters ein Restvermögen vorhanden, das mein Vormund, der leider mittlerweile auch verstorben ist, für mich so geschickt angelegt hatte, dass ich mir nach dem Abitur das Studium finanzieren konnte.«

      Plötzlich konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten und schluchzte: »Warum hast du mir das nicht vorher erzählt? Ich hätte dich trotzdem geheiratet.«

      Er trat zu mir und legte mir den Arm um die Schulter. »Es ist noch nicht zu spät. Elisabeth, lass uns einfach von vorn anfangen. Ich liebe dich.«

      Ich wischte energisch die Tränen ab und schüttelte den Kopf. »Nein! Was ist mit den Morden?«

      Seine Faust knallte auf den Tisch, bevor ich geendet hatte und das Geschirr begann bedrohlich zu wackeln.

      »Verdammt! Ich habe nichts damit zu tun!«, brüllte er.

      »Und warum sucht dich dann die Polizei?«, herrschte ich ihn an.

      »Es gibt jemanden, der meinen Namen missbraucht. Er ist vor zwei Jahren bei mir zu Hause eingebrochen und hat meinen Pass gestohlen. Seitdem verfolgt er mich und hinterlässt Spuren, die auf mich hinweisen.«

      »Das soll ich dir glauben?«, zischte ich verächtlich und versuchte, die erneut strömenden Tränen zu unterdrücken. »Die Polizei würde so etwas doch merken!«

      »Dein Wort in Gottes Ohr!«, stöhnte er und fuhr sich mit den Händen durch das dunkle, wellige Haar. »Er verfolgt mich und ist immer ausgerechnet in der Gegend, in der ich mich gerade aufhalte. Sogar die Wohnung in Heidelberg hat er gefunden. Wenn ich wüsste, wer es ist, ich könnte ihn umbringen!«

      »Das erledigst du dann lieber bei den Frauen«, warf ich entrüstet ein, schrak augenblicklich zusammen, weil er mit zornig zusammengekniffenen Augen abrupt vor mir stehen geblieben war. Instinktiv hielt ich einen Arm vors Gesicht und wich ängstlich zurück, mir erst jetzt meiner eigenen Worte bewusst werdend.

      Sein Zorn war schneller erloschen, als er aufgekeimt war. Er ließ die Arme sinken und murmelte mit müder Stimme: »Wenn sogar du Angst vor mir hast, dann bin ich wirklich verloren.«

      Er trat ans Fenster, während ich mit hastigen Bewegungen den Tisch abräumte und in die Küche eilte. Ohne auf mich zu achten, stand er da, sah hinaus und seufzte tief. Ich kam herein, setzte mich wortlos und überlegte, ob ich ihm glauben konnte.

      »Warum gehst du nicht zur Polizei und erklärst alles?«

      »Das ist unmöglich. Sie würden mir genauso wenig glauben wie du.«

      Er kramte in seiner Tasche, holte etwas zum Vorschein und legte es auf den Tisch. Es war ein Ohrring mit einer kleinen Kette, an der ein Kreuz hing.

      Voller Entsetzen starrte ich darauf und flüsterte in Panik: »Woher hast du ihn?«

      »Er war in meiner Tasche. Jede der ermordeten Frauen trug nur einen Ohrring.«

      Die Angst kroch in mir hoch. Dieser Mann vor mir war ein Mörder, trotzdem schienen seine Ausführungen glaubhaft, zumindest er selbst glaubte daran. Schizophrenie? Anders konnte ich mir seinen Zustand nicht erklären. Die absolute Verdrängung der Morde aus seinem Gedächtnis und die erstaunte Präsentation eines Beweisstückes ließen keinen anderen Schluss zu. Ich musste sehen, dass ich ihn loswurde, und dann sofort die Polizei einschalten. Alfred hatte sich wieder gefangen und war nun, nachdem er mit mir geredet hatte, ruhiger.

      »Warum heiraten wir nicht, Elisabeth? Ich könnte deinen Namen annehmen und der Mann wäre für mich nicht mehr so bedrohlich.«

      Ich war so verdutzt, dass ich es für einen Scherz gehalten hätte, wäre nicht sein ehrlicher Gesichtsausdruck gewesen. Dieser Mensch war gefährlich und ein guter Schauspieler dazu, ich musste sehr vorsichtig sein mit meiner Antwort.

      »Wenn du mir das alles eher gesagt hättest, jetzt ist es zu spät.« Ich beobachtete ihn kritisch. Außer einem aufrichtigen Bedauern konnte ich nichts aus seiner Mimik herauslesen.

      Er erhob sich und wandte sich zum Gehen. »Ich hatte gehofft, wenigstens du würdest mir glauben, aber ich sehe, ich habe mich geirrt«, bedauerte er resigniert und verabschiedete sich.

      Als ich sicher war, dass er mein Grundstück verlassen hatte, suchte ich mit zitternden Fingern nach der Visitenkarte des Kommissars.

      Einige Monate später las ich in einem Boulevardblatt die Schlagzeile: Wochenendmörder endlich hinter Gittern!

      Mit klopfendem Herzen las ich den Artikel, in dem unter anderem stand, dass der als mutmaßlicher Mörder verhaftete Alfred D. keinerlei Reue zeigte und alle Taten abstritt. Das Foto daneben war schlecht getroffen. Der dunkelhaarige Mann darauf hatte seine Jacke halb über das Gesicht gezogen, und war deshalb kaum zu erkennen. Ich legte die Zeitung beiseite und weinte hemmungslos. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich Alfred noch immer liebte.

      In der nächsten Zeit stürzte ich mich in die Arbeit und nach zwei Jahren heiratete ich einen Kollegen.

      Norbert Vemo kannte ich von meiner Zeit auf dem Gymnasium in Gütersloh. Er hatte mit seinen Eltern einige Jahre in unserer Kreisstadt gewohnt, und wir waren ab und zu miteinander ausgegangen. Kurz bevor ich Alfred kennenlernte, zog seine Familie nach Süddeutschland.

      Es war nicht die große Liebe, wir hatten viele Gemeinsamkeiten und führten ein zufriedenes Leben. Leider blieb unsere Ehe kinderlos, was nach fünf Jahren zur Scheidung führte. Wenn ich ehrlich war, gab es andere wesentlichere Gründe, aber ich wollte und konnte mir unsere Entfremdung, die zum großen Teil in mir selbst begründet war, nicht eingestehen. Ich nahm meinen Mädchennamen an und verlor jeglichen Kontakt zu ihm. Anschließend bewarb ich mich um eine Versetzung zurück nach Nordrhein-Westfalen, was nach weiteren fünf Jahren endlich gelang. Bis zu meinem Ausscheiden aus dem Dienst war ich am Gymnasium in unserer Kreisstadt tätig.

      Und jetzt, nach über zwanzig Jahren holte mich die Vergangenheit wieder ein. Kurzerhand hatte ich meine Koffer gepackt und war nach Süddeutschland gefahren. In meinem Gepäck hatte ich den alten Zeitungsartikel. Wenn Alfred zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, hatte man ihn vielleicht schon vor einigen Jahren entlassen. Ich wollte mich in den umliegenden Haftanstalten nach ihm erkundigen. Noch immer schmerzte mich der Gedanke an ihn. Irgendwie hatte ich seinetwegen Schuldgefühle, obwohl die völlig unbegründet waren. Allerdings musste ich mir heute eingestehen, dass durch die Verbindung

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