Die Leiche im Hühnermoor. Gisela Garnschröder
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Читать онлайн книгу Die Leiche im Hühnermoor - Gisela Garnschröder страница 7
Marita wohnte in einem Penthouse mitten in der Stadt mit einem reizvollen Dachbalkon, der durch üppige Bepflanzung wirkte wie ein Garten über den Dächern. Marita war fünfundvierzig Jahre alt, dunkelhaarig und von biegsamer, sportlicher Figur, die sie wesentlich jünger erscheinen ließ.
Wir saßen auf dem Balkon und ich genoss den herrlichen Ausblick über die Stadt. Marita deckte den Kaffeetisch und als sie sich endlich zu mir setzte, plauderten wir angeregt. Sie beobachtete mich prüfend und nach einiger Zeit belanglosen Geschwätzes brachte sie mich mit einer gezielten Frage in Verlegenheit.
»Was ist los, Elisabeth? Du bist nicht gekommen, um mit mir zu plaudern. Es muss etwas passiert sein.«
Ich führte langsam meine Kaffeetasse zum Mund, um Zeit zu gewinnen. Ihre gespannte Aufmerksamkeit verfolgte jede meiner Bewegungen und ließ eine Ausrede nicht zu.
»Es gibt wieder eine Leiche mit nur einem Ohrring.«
»Nein!« Entsetzen stand in ihrem Gesicht.
Mein Blick glitt über die Dächer der Häuser und blieb weit hinten am makellos blauen Horizont hängen. Ohne Marita anzusehen, erzählte ich ihr von dem Fund im Moor.
»Du bist nicht zur Polizei gegangen?«, fragte sie verständnislos.
Ich schüttelte stumm den Kopf. »Der Ohrring rechts fehlte und da fiel mir alles von früher ein. Ich habe die Tote wieder versenkt und bin auf und davon. Ich muss wissen, ob Alfred entlassen ist«, brachte ich heraus.
Marita war aufgestanden und ging langsam hin und her. »Du musst die Polizei informieren!«, drängte sie.
Ich seufzte tief. »Ich weiß. Die Frau ist tot, ob sie zwei Tage eher oder später gefunden wird, ist für sie egal.«
Marita lachte hart auf. »Das mach mal der Polizei klar! Die werden anderer Meinung sein. Fahr zurück, geh zur Polizei und vergiss das Ganze. Der fehlende Ohrring kann Zufall sein.«
»Und wenn es Alfred war?« Ich war unentschlossen und unsicher.
»Himmel, Elisabeth, du bist kein Kind mehr! Wenn Alfred wirklich seinerzeit des Mordes überführt wurde, dann hat er bestimmt lebenslänglich bekommen. Möglicherweise ist er inzwischen aus dem Gefängnis entlassen. Aber bitte sag mir, warum sollte er - vorausgesetzt, er hat die Morde damals tatsächlich begangen - nach über zwanzig Jahren plötzlich das gleiche Verbrechen wiederholen?«
Verzweifelt fuhr ich mir durchs Haar. »Ich weiß es nicht.«
Marita blieb vor mir stehen und sah mich durchdringend an. »Du hast es nicht nachgeprüft, ob er es war? Du wolltest es gar nicht wissen, oder?«
Ohne zu antworten, stand ich auf. Ich hatte mir meinen Besuch bei ihr anders vorgestellt. Ich griff nach meiner Handtasche. Marita hielt mich nicht zurück. Wortlos begleitete sie mich zur Tür. Wir verabschiedeten uns mit einem Händedruck.
Ich war schon am Treppenabsatz, als ich ihre leise Stimme hörte. »Du hast nie aufgehört, ihn zu lieben, nicht wahr?«
Ertappt drehte ich mich um und sah ein schwaches Lächeln auf ihrem sympathischen Gesicht.
»Quatsch!«, winkte ich ab, aber meine plötzlich brennenden Wangen straften mich Lügen.
Ich hastete die Treppe hinunter und lief auf die Straße. Fast eine Stunde lang streifte ich durch die Stadt, ohne auch nur annähernd etwas von der Umgebung mitzubekommen. Irgendwann setzte ich mich erschöpft in ein Café, bestellte mir ein Kännchen Kaffee und ein Stück Kirschkuchen und überlegte. Endlich wurde ich ruhiger und mein Zorn auf Marita war verraucht. Ich hatte gehofft, sie würde mich unterstützen, um etwas über Alfred zu erfahren, aber sie hatte mit ihrem scharfen Verstand wieder einmal voll ins Schwarze getroffen. Eigentlich sollte ich ihr dankbar sein.
Es war weit nach Mitternacht, als ich zu Hause ankam. Meine Schwägerin hatte die Zeitungen und meine Post auf dem Esszimmertisch gestapelt. Ich warf einen flüchtigen Blick darauf, fand nichts Besonderes und ging gleich zu Bett.
Nach nur drei Stunden Schlaf wachte ich auf und stolperte zum Kühlschrank, um einen kleinen Imbiss zu nehmen. Ich machte mir einen starken Kaffee, holte die neue Zeitung aus dem Briefkasten und vertiefte mich darin. Es war gerade sieben Uhr, als ich mich anzog und zu einem Ausgang startete. Leichter Nebel lag über den Wiesen und es war kühl, es würde ein schöner Tag werden. Im Hühnermoor angekommen, fand ich alles so vor, wie ich es verlassen hatte. Nach einem Moment des Zögerns, setzte ich all meine Kräfte ein, zog an dem Ast und mit klopfendem Herzen beobachtete ich, wie das morastige Wasser nach und nach das Bündel mit der Toten freigab. Erschöpft sank ich neben dem Fang zu Boden, riss daran und obwohl ich wusste, was mich erwartete, erfasste mich ein würgendes Gefühl der Übelkeit, als ich plötzlich das fast bis zur Unkenntlichkeit verquollene Gesicht vor mir sah. Mit zitternden Gliedern erhob ich mich, registrierte im Unterbewusstsein, dass wirklich nur ein Ohrring da war, entfernte mich ein Stück vom Fundort und holte mein Handy aus der Tasche.
Bis zum Eintreffen der Polizei hockte ich mich etwas abseits auf den Boden und überlegte, wie der grausige Fund ins Moor gelangt war. Der Bulli, der vor einigen Tagen etwa fünfzig Meter von hier abgestellt war, konnte damit in Zusammenhang stehen. Ich ging zu der Stelle, an der das Fahrzeug gestanden hatte, aber es waren keine Reifenspuren mehr zu sehen, schließlich waren drei Tage vergangen. Gerade als ich zurückging, rollte langsam ein Polizeiwagen heran und blieb direkt vor mir stehen.
Himmel, dachte ich, sie sind nur zu zweit gekommen, als hätte ich ihnen einen Bären aufgebunden.
Eine junge Frau mit perfekt sitzender Uniform und ebenso perfektem Make-up, sprang aus dem Wagen.
»Guten Morgen«, grüßte sie freundlich. »Sind Sie die Dame, die uns angerufen hat?«
»Allerdings«, gestand ich leicht gereizt und ging ohne Umschweife durchs Gebüsch, den schmalen Weg entlang, bis an den Rand des Moores.
»Hier liegt sie«, sagte ich trocken und zeigte auf den feuchten Stoffballen.
Die Polizistin strebte darauf zu, zog mit spitzen Fingern den bunten Stoff zur Seite und wurde augenblicklich kalkweiß im Gesicht. Sie trat entsetzt einen Schritt zurück, wandte sich angewidert ab und wankte zitternd zum Wagen zurück. Ihr Kollege stand in der offenen Fahrertür, beobachtete sie grinsend und empfing sie mit den Worten: »Sieht aus, als könntest du einen Schnaps vertragen!«
Sie antwortete nicht, griff an ihm vorbei ins Wageninnere, holte das Mikro heraus und forderte mit belegter Stimme die Kriminalpolizei und einen Polizeiarzt an.
»Sieh zu, dass du in die Gänge kommst«, pfiff sie ihren Kollegen an. »Sperr den Weg ab, damit wir keinen unerwünschten Besuch bekommen.«
Der Kollege machte sich immer noch grinsend an die Arbeit, holte rot-weißes Band und Stäbe aus dem Kofferraum, sicherte die Fundstelle ab und erst danach wagte auch er einen Blick auf die Tote und das Grinsen in seinem Gesicht wich einer vom Schreck geprägten Grimasse. Im Nu wechselte seine frische Farbe in einen grünlich blassen Ton. Mit einer plötzlichen Drehung erbrach er sich hinter einem Strauch und kam verzagt wieder hervor. Seine Kollegin eilte mit versteinerter Miene hinzu und bedeckte die Leiche mit einer grauen Decke.
Ich