Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen. Martin Heipertz

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Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen - Martin Heipertz

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      Während dieser Unterhaltung ließen wir die Ausläufer Prištinas hinter uns und kamen an das Stadtzentrum heran. Bis dahin war die deutsche Panzerkolonne vor uns gefahren. Nun rückte sie rechterhand in ein militärisch gesichertes Lager der Vereinten Nationen ein, und der Bayernwimpel verschwand hinter einer hohen Betonmauer mit Stacheldraht, Steinbarrieren und Wachttürmen. Vermutlich wurden in diesen Stunden vielerorts hinter solchen Mauern Truppen im Vorfeld der Unabhängigkeitserklärung zusammengezogen – für alle Fälle, denn die Lage galt zwar als ruhig, aber nicht als stabil.

      Die Straße führte an dem Militärlager vorbei in eine weite Senke und gab einen grandiosen Blick auf den Kern von Priština frei… Grundgütiger, durchfuhr es mich, das ist ja wohl die häßlichste Stadt, die ich je gesehen habe!

      3 Staatsgeburt

      Pristina lautet im Lateinischen »die Frühe«, und pristine bedeutet im Englischen gar »makellos«. Das war angesichts der sich mir nun darbietenden Stadt nicht wenig erheiternd, als wir an einem gigantischen Poster von Bill Clinton vorbei durch ihre Hauptstraße einfuhren. God’s own shithole wurde Priština schon mal zu später, berauschter Stunde unter uns Internationalen genannt: Gottes Drecksloch. Zwar gab es hier und da noch ein sehenswertes Gebäude der osmanischen Epoche aus weiß verputztem Stein und mit hölzernen Türen und Fenstern, aber die allenthalben ins Auge springende Häßlichkeit der sozialistischen Bauweise aus der jüngeren, jugoslawischen Vergangenheit und die hilflosen Versuche zeitgenössischer Konstruktion in ihrer vielfachen Geschmacksverirrung dominierten den Eindruck vollkommen. Auch die Hochsicherheitskomplexe der internationalen Präsenz im Stadtzentrum waren nicht auf Ästhetik, sondern allein auf Schutz ausgerichtet und folglich hinter unansehnlichen Betonelementen und waffenstarrenden Sicherheitsschleusen verschanzt. Mehrere große Bauruinen aus den 1970er Jahren waren wie zu Stein gewordene Anklagen im Stadtkern versammelt: Ein gräßliches Hochhaus mit hohlen Fensteröffnungen, das zu nichts anderem mehr taugte als der Aufhängung eines gewaltigen Werbeplakates mit einer Flasche Peja-Beer, das im übrigen gut trinkbar war und damit beworben wurde, daß man es in einer aus Deutschland importierten Anlage gemäß dem deutschen Reinheitsgebot braue. Neben diesem hohläugigen Betonquader stand ein bei Regen sogleich im Schlamm versinkendes, ehemaliges Fußballstadion, dessen durchfurchtes Gelände bei Trockenheit als wilder, verstaubter Parkplatz und Flohmarkt genutzt wurde. Ende März 1999 hatte der damalige Bundesverteidigungsminister Scharping suggeriert, aber nie belegt, daß die Serben in diesem Fußballstadion ein Konzentrationslager betrieben.

      Neben dem KZ-Stadion stand eine Art Kulturzentrum in gewagter Betonkonstruktion, die als Kulisse für einen apokalyptischen Weltraumfilm getaugt hätte. Ein unglaubliches Violinkonzert sollte ich wenig später in diesem Gebäude erleben: Die Geiger des Zürcher Opernhauses spielten gratis vor einheimischem Publikum, das ganz überwiegend jung und noch nie im Leben in direkte Berührung mit klassischer Musik gekommen war. Spätestens als das Programm bei Paganini angelangt war, brach sich Begeisterung bei den einfachen, unschuldigen Jungen und Mädchen Bahn. Bei einer abschließenden Fuge von Bartók schließlich fiedelte der Erste Geiger mit einem derartigen Engagement, daß er einen Krampf in seiner Hand erlitt. Der Schmerz verzerrte sein Gesicht, als die Musik schlagartig abbrach und seine Finger zuckten wie die Scheren einer sterbenden Krabbe. Das Publikum war schockiert, aber explodierte nach einigen Augenblicken voller Sympathie und verzweifelter Begeisterung über den verwundeten Musiker und seine geradezu überirdische Kunst. Der Krampf ließ nach, die Fuge wurde grandios vollendet, und es gab niemandem im Saal, dessen Augen vor Beseelung nicht tränenerfüllt waren. Wie ein Mann riß es alle von ihren Sitzen, und der Saal brach in Toben und Stampfen aus – dies in einem der häßlichsten Gebäude Europas, dessen Betonstelen gleich dem bleichen Gerippe eines Tierkadavers im Zentrum Prištinas verwesten. Daraufhin spielten die Schweizer noch in herzrührender Seligkeit Guten Abend, Gute Nacht von Johannes Brahms, und spätestens da wurde auch mir, dem am liebsten unbeteiligten Beobachter, blümerant zumute.

      Vor dem Hintergrund dieser Betonrippen richtete die deutsche Botschaft dann im Sommer unter freiem Himmel das obligatorische Public Viewing der Fußballeuropameisterschaft aus. Dem bierseligen, von Stromausfällen durchbrochenen deutschen Sieg im Halbfinale ausgerechnet über die Türkei war die dankbare Jugend Prištinas nicht minder gewogen als zuvor den Geigern aus der Schweiz.

      Die Straße, der Aidan folgte, eröffnete zum ersten Mal diese drei Höhepunkte architektonischer Augenweide in ihrer ganzen Scheußlichkeit: das Hochhaus mit dem Peja-Bier, das Stadion und das Kulturzentrum. Ich war über mich selbst überrascht, daß dieser beklagenswerte Anblick meiner hervorragenden Stimmung mitnichten abträglich war. Im Gegenteil, ich fand ihn kurios und auf besondere Weise anziehend.

      Rasch und unbewußt nahm ich von diesem Moment an angesichts des noch im Vergleich mit der traurigsten mitteldeutschen Plattenbausiedlung beklagenswerten Anblicks Prištinas gleichsam instinktiv die Haltung des Zynismus ein. Dieser Zynismus wurde mir und vielen meiner Kollegen über die Monate hinweg zur zweiten Natur und erlaubte es mir, auch noch den größten staatspolitischen Unfug, den zu verhindern ich die Macht nicht hatte, hinzunehmen, ohne darüber sogleich in Verzweiflung zu geraten. Es ist eine Haltung, für die ich mich im nachhinein schäme, und nur das Schreiben ermöglicht mir, den Aufenthalt im Kosovo ohne Verhärmung zu überstehen. Es ist ja nicht mein Land, sagte der Zynismus in mir, als ich zum ersten Mal auf Priština blickte, und dann hörte ich es immer wieder, wenn mir etwas im Grunde Unerträgliches unterkam: Es ist ja nicht mein Land. Und so entschloß ich mich, auch traurige und aufwühlende Umstände in einem Lichte zu betrachten, das sie einfach nur unterhaltsam, kurios oder intellektuell anregend erscheinen ließ.

      Aidan steuerte den Wagen einen Hügel hinan. Das war Dragodan, das Diplomatenviertel. Der Weg war weniger befahren als die Straßen im Zentrum, hieß Street Ahmed Krasniqi und führte über einen kurzen, erst spärlich bebauten Höhenzug zu dem sogenannten Blue Building, meiner zukünftigen Wirkungsstätte, Heimstatt des International Civilian Office, kurz ICO. Die Erhebung erlaubte wiederum, diesmal aus entgegengesetzter Richtung, einen weiten Blick über die gesamte Stadt und – gottlob – bis in die Ferne zu den schneebedeckten Bergen der Šar Planina weit im Süden. Der höchste von hier aus zu sehende Gipfel hieß Ljuboten. Dies war der Blick aus meinem Büro. Da ich die Berge liebe, erfreuten mich die Leichtigkeit und der Kontrast immer wieder, wenn ich mit einer winzigen Bewegung meiner Augen den Blick von meinem Rechner hinweg über die Ebene und ihre steinerne Unwürde kläglichen Menschentums über das Amselfeld hinweg in die unberührte, zeitlose Erhabenheit des Ljuboten erheben konnte. Er war gleichmäßig wie eine Pyramide geformt und ragte mit seinen knapp zweitausendfünfhundert Metern ehrfurchtgebietend in den Himmel. Gut war die horizontal wie mit Lineal gezogene Baumgrenze zu erkennen, oberhalb derer nur noch das Grau des Gesteins und das Weiß von Eis und Schnee zu sehen waren.

      Auf der meinem Büro gegenüberliegenden Straßenseite jedoch sollte im Frühsommer ein Bauvorhaben beginnen, das in der ortsüblichen Vorgehensweise als Betonskelett gegossen und dann stockweise mit Ziegelsteinen ausgefüllt wurde. Es versprach, ein weiteres Monstrum an Geschmacklosigkeit zu werden, wuchs langsam Stock um Stock. Mit auf dem Gebäude errichteten Seilwinden wurden per Hand immer neue Paletten der importierten roten Backsteine auf die jeweils oberste Betonplattform gehievt. Anstelle von Baukränen gab es nur diese mittelalterliche Methode. Gelegentlich fielen einige dieser Steine, etwas Schutt oder auch einmal ein Balken hinab, und bei einer solchen Gelegenheit wurde ein Bauarbeiter vor meinen Augen erschlagen. Das Gebäude aber wuchs unbeirrt weiter, und bald schon war dank der anschwellenden Sichtbarriere nur mehr die entfernter gelegene Hälfte der Stadt zu erblicken. Ich beschloß in diesem Sommer, meine Zeit im Kosovo exakt dann als beendet zu betrachten, wenn schließlich der Ljuboten hinter diesem monströsen Blickfang versunken sein würde. Dann, spätestens, wäre es Zeit zu gehen.

      Bis dahin aber war es noch lange hin, denn soeben betrat ich das blaue Bürohaus zum allerersten Mal. Wir erreichten die Sicherheitsschleuse, die als Öffnung mitsamt einem kleinen Wachhäuschen zwischen die

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