Hannah von Bredow. Reiner Möckelmann

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Hannah von Bredow - Reiner Möckelmann

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ihr genügend Zeit für ihre Kinder und deren Sorgen. Selbst nach Abendeinladungen beschloss sie den Tag am Schreibtisch und erledigte die anfallenden Rechnungen, häuslichen Angelegenheiten, Listen, Krankenkassen- und Steuersachen.

      Die Seelenverwandtschaft mit Sydney Jessen, sichtbar in ihren bis in die Morgenstunden geschriebenen regelmäßigen Briefen, beruhigte und kräftigte Hannah von Bredow. Beim Schreiben über Gespräche mit Familienangehörigen, Freunden und Bekannten, über jüngst gelesene Zeitungsartikel und Bücher, über Theateraufführungen, Konzerte und Vorträge, erinnerte sie sich nicht nur an die Geschehnisse eines Tages oder eine Woche. Aus der Reflexion der Ereignisse und ihrer Gedanken gewann sie Selbstvergewisserung. Belastendes oder traurige Erlebnisse in Worte zu fassen, war für sie eine Art Selbsthilfe, um Seele und Körper zu stärken.3

      In depressiven Phasen konnte sie die Lust an der puren Beschreibung von Situationen oder die treffsichere Benennung von Details aus gesellschaftlichen Dialogen von Grübelei ablenken. Im schriftlichen Dialog mit dem verständnisvollen und einfühlsamen Sydney Jessen vermochte sie die Intensität ihrer Empfindungen sowie aufkommende Ängste zu zähmen. Der über vier Jahrzehnte geführte ununterbrochene Dialog erlaubte ihr trotz häuslicher Beanspruchung und wiederholter ernsthafter Erkrankungen die für sie besonders belastendenden zwölf Jahre des „Tausendjährigen Reichs“ weitgehend unbeschadet zu überstehen.

      Wie wichtig Hannah von Bredow ihre Brieffreundschaft mit Sydney Jessen war, äußert sie schon nach wenigen Jahren der Bekanntschaft im Jahre 1931 in Form einer Bitte an ihn: „Es wäre netter denn je von Ihnen, wenn Sie mir, so oft es Ihre Arbeitslast gestattet, schreiben würden. Es ist ungeheuer wohltuend, mit jemand reden zu können, wenn man alles, was man sieht und hört, verschlucken muss.“ Zu ihren eigenen Briefen erklärt sie Jessen zu dessen 39. Geburtstag am 24. April 1931, sie werde sich, „was Briefeschreiben anbelangt, nicht bessern“, sondern habe die Absicht, „Sie weiter – auch einseitig – mit Episteln von allzu großer Länge zu ‚erfreuen‘“.

      Den Umfang ihrer Briefe nennt Hannah von Bredow „kleinere Heftchen, denn Briefe sind die vielen Bogen wohl kaum mehr.“ Mit Beginn der NS-Zeit gewinnt der Schriftwechsel erheblich an Bedeutung, und Hannah schreibt Jessen im April 1933: „Wenn Sie nur ahnten, was für eine Erleichterung darin liegt, mit Ihnen korrespondieren zu können, wenn’s auch das Reden nimmermehr ersetzt.“ Zweieinhalb Jahre später bekennt sie ihm, „was für eine Hilfe es ist, an jemand, der noch denken kann, schreiben zu können, und zwar so schreiben zu können, dass man sich – bis auf gewisse Gestapohemmungen – nicht jedes Wort auf seine Möglichkeit hin, verstanden zu werden, überlegen muss. Dass ich mir unter solchen Umständen beneidenswert vorkomme, brauche ich nicht zu betonen.“

      Hannah von Bredow verfasste die große Zahl ihrer umfangreichen Briefe an Sydney Jessen, die sie bisweilen mit seitenlangen Dialogen in Englisch und Französisch anreicherte, in einer eleganten, anregenden Sprache und in einem plastischen, oft erheiternden Stil, selbst bei Anweisungen an ihren Vertrauten: „Was ich Ihnen erzählen werde, ist derartig erstaunlich, dass ich’s Ihnen nicht vorenthalten mag, aber ich bitte Sie, diesen Brief zu all den anderen im W.C. oder wo sonst zu vernichten. Nicht im Meer, denn das speit sie bekanntlich aus.“

      Im demselben Brief ermahnt Hannah von Bredow ihren Briefpartner Jessen im August 1933: „Sie haben doch meine sämtlichen Elaborate vernichtet, hoffe ich. Erstens sind sie wert, zu sterben (wie die Schreiberin selber übrigens) und zweitens plagt mich nicht die Ambition, als ‚Sévigné II‘ der Nachwelt überliefert zu werden. Denn ich schreibe wie ich rede, nicht für die Ewigkeit.“4

      Selbst wenn Hannah von Bredow ihre Selbsteinschätzung und das von ihr erwartete Rollenverständnis einen Vergleich mit ihrem Großvater Otto von Bismarck verboten, wusste sie, dass dieser seine Privatbriefe auch für die Nachwelt schrieb. Hannahs Haltung zu den eigenen Briefen dagegen wurde durch die Veröffentlichung der sehr privaten Briefe ihres Vaters Herbert von Bismarck im Nachlass seines Freundes Fürst Eulenburg-Hertefeld im Jahre 1923 bestimmt.

      Gleichermaßen mit ihrem Vater wie mit ihrem Großvater teilte Hannah von Bredow andererseits eine Eigenschaft, die für ihr Schreiben bestimmend war und die sie für ihre ständige innere Unruhe verantwortlich machte: „Genau zu wissen, was kommt“. Viele ihrer Briefe und Tagebucheintragungen belegen Hannahs ausgeprägte Fähigkeit zur Vorhersage von Ereignissen, zur Prognose. Ihre damit verbundene Unruhe bemühte sie sich, in den Schreiben an Jessen endgültig loszuwerden. Dies erklärte Hannah ihm im Sommer 1931 und ergänzte: „So flüchte ich mich nicht in die Öffentlichkeit, sondern ins Tintenfass und von da ins Feuer, wofür Sie bitte Sorge tragen werden.“

      Zum Glück für die Nachwelt kam Sydney Jessen dem Wunsch Hannah von Bredows nicht nach. Ihre erhalten gebliebenen Briefe an ihn, an ihre Freunde und Familienangehörigen sowie ihre Tagebuchaufzeichnungen vermitteln dank der darin enthaltenen detaillierten gesellschaftlichen und politischen Beobachtungen und Reflexionen einen tiefen Einblick in die ausgehende Monarchie, in den Todeskampf der Weimarer Republik und in die Willkürherrschaft des Nationalsozialismus. Das Privileg einer „höheren“ Geburt, mehr aber noch ihre breite Bildung, ihr scharfer Verstand und ihr außergewöhnliches Gedächtnis verschafften Hannah von Bredow den Zugang zu den Elitekreisen ihrer Zeit. Bereits früh hatte sie eine enge geistige Verbindung zu ihrem Vater und Großvater verspürt und entwickelte ein ausgeprägtes Interesse an Geschichte und Politik, welches sie durch ausgiebige Lektüre und intensive Gespräche stillte.

      Die schriftlichen Selbstzeugnisse aus den letzten Jahren der Weimarer Republik sowie der gesamten Zeit der NS-Diktatur weisen Hannah von Bredow als ebenso scharfsinnige wie scharfzüngige Chronistin der Jahre von Unsicherheit und folgender Tyrannei als eine „Femina Politica“, aus. So traf sie mit dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zusammen und führte wiederholt Gespräche mit den letzten Weimarer Kanzlern Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher. Ihr ständiger Gesprächspartner und Informant war von Januar 1931 bis Januar 1933 der enge Vertraute der Reichskanzler, die „graue Eminenz“ Erwin Planck.

      Früh machten die Brüder Otto und Gottfried von Bismarck ihre Schwester Hannah von Bredow auch mit Adolf Hitler, Hermann Göring sowie mit anderen NS-Größen und Wirtschaftsführern bekannt. Im Auswärtigen Amt unterhielt sie Kontakte zu Ministern und Staatssekretären sowie in verschiedenen deutschen Auslandsvertretungen zu Botschaftern. Regelmäßig erhielt sie Einladungen zu Empfängen und Essen von ausländischen Botschaften in Berlin und hatte Mitarbeiter von diesen bei sich zu Gast.

      Von den verschiedenen Treffen mit Prominenten schildert Hannah von Bredow ihrem Vertrauten Sydney Jessen zeitnah und minutiös ihre Eindrücke und bemerkt hierzu: „Wenn ich so schnell aufschreibe, was ich gesehen und gehört habe, so versuche ich nur eines, die Situation möglichst wahrheitsgetreu wiederzugeben und die in Anführungsstrichen stehenden Reden möglichst im Wortlaut.“ Hannah von Bredows durch ihre Sehschwäche entwickelte außergewöhnliche Hörfähigkeit und ihr von dritter Seite immer wieder bestätigtes ausgezeichnetes Gedächtnis sprechen für eine hohe Authentizität ihrer schriftlichen Selbstzeugnisse.

      Femina Politica

       „Ich bin in diesen Tagen doch zu der Überzeugung gelangt, dass es ein Fehler ist, als Frau geboren zu sein, wenn man geistige Interessen hat.“

      (Hannah von Bredow an Sydney Jessen, Nr. 670 – Potsdam, Sonntag, den 6. Februar 1938)

      Hannah von Bredow verstand sich selbst nicht als eine politische Frau. Mitte des Jahres 1931 erklärt sie Sydney Jessen: „Sie wissen, dass ich weder Interesse, noch Verständnis, noch Flair für Politik in irgendeinem Sinn habe, und dass ich sowieso ein lebhaftes Grauen vor politisch tätigen Frauen empfinde. Politics are essentially mens’work – dass die Sache bei uns so häufig schiefgeht, ändert an der Wahrheit meiner Behauptung nichts.“ Auch bei ihr ging die Sache schief, denn, anders als behauptet, zeigte

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