Kein Lord wie alle anderen. Inka Loreen Minden
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Kapitel 4 – Keine Frau für Henry
Henry unterhielt sich am Rande der Tanzfläche mit Daniel Appleton, dem Earl of Hastings, der etwas älter war als er selbst, und beobachtete möglichst unauffällig die anderen Gäste. So sah das also aus, wenn Adlige eine Feier gaben. Es wurde tagelang getanzt, gegessen, noch mehr getrunken und vor allem geredet. Henry wusste jetzt schon mehr über jeden hier im Raum, als ihm lieb war. Zum Glück konnte er mit Lord Hastings normale Gespräche führen. Der wohnte nicht allzu weit weg von Rochester und hatte Henry angeboten, dass er ihn und seine Familie jederzeit auf Hastings Hall besuchen könne.
Vielleicht würde Henry das sogar machen, doch nun war er erst einmal hier, im Trenton House. Allerdings hatte er sich von der Einladung mehr versprochen, nämlich schnellstmöglich eine Gattin zu finden, damit dieses eine Thema bereits abgehakt war. Miss Norwood – Izzy – war die erste Frau, die ihn seit seiner Rückkehr aus Indien halbwegs interessierte. Nach der schrecklichen Geschichte mit Edith hatte er ein Jahr lang überhaupt keine Frauen mehr angesehen. Doch nun wurde es Zeit, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen, um völlig neu anzufangen. Ja, er könnte sich durchaus vorstellen, Izzy zu heiraten. Aber sie hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie keinen Ehemann wollte. Zumindest keinen, den sie nicht liebte.
Was für eine Träumerin.
Obwohl sie beide in dieser Sache nicht einer Meinung waren, hatte er ihre Unterhaltung sehr genossen. Izzy hatte ihm ein paar unbeschwerte Momente bereitet, ihn von seinen trüben Gedanken abgelenkt und ihn Indien für einen Moment vergessen lassen. Seine Narben schienen sie auch nicht abzuschrecken, wie die meisten anderen, zumindest vermittelte sie ihm nicht dieses Gefühl. So gut hatte er sich schon ewig nicht mehr amüsiert. Und auch wenn er hier keine potenzielle Heiratskandidatin fand, wie zuerst erhofft, konnte er wenigstens erste Kontakte zu anderen Adeligen knüpfen. Sowohl der Marquess of Rochford als auch der Earl of Hastings erschienen ihm recht bodenständig und sympathisch, genau wie Izzys Vater. Ihre Stiefmutter, Rowena Norwood, war ihm hingegen viel zu laut, zu künstlich und zu aufdringlich. Wie die meisten Adligen lebte auch sie in einer völlig anderen Welt. Derart überheblich und versnobt wollte er niemals werden.
Izzy war völlig anders, doch sie schien sich auch gerade in ihrer eigenen Welt zu befinden. Sie tanzte mit Lord Rutherford und hatte offensichtlich Spaß, denn sie lächelte den Mann ständig an. Henry unterdrückte ein Schnauben. Der Kerl war zwar noch recht agil, aber viel zu alt für Izzy. Ihre Stiefmutter hatte wirklich jeden verfügbaren Junggesellen eingeladen, egal ob er zu Izzy passte oder nicht. Henry wünschte der jungen Frau, dass sie eines Tages ihr Glück fand.
Er selbst glaubte nicht mehr an die wahre Liebe. Allerdings hatte er auch nicht erwartet, dass es so anstrengend sein würde, sich eine Ehefrau zu angeln. Jetzt würde er wohl doch warten müssen, bis die neue Saison in London begann, um sich dort umzusehen. Dabei hasste er nichts mehr, als sich unter Leute zu begeben. Sie alle starrten ihn an, wollten wissen, woher er die schreckliche Narbe in seinem Gesicht hatte, und verdächtigten ihn sogar, den früheren Marquess umgebracht zu haben. Da wäre er lieber beim Militär geblieben. Zwar war hinter dem Schreibtisch zu sitzen nicht so aufregend und abwechslungsreich, wie eine Truppe zu befehligen, doch es hätte ihm ausgereicht.
Izzys Lachen riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. Leichtfüßig wirbelte sie über das Parkett und amüsierte sich prächtig mit Lord Rutherford.
In Henrys Magen rumorte es. Er war viel jünger und dennoch nicht mehr so beweglich wie dieser alte Mann. Ob Rutherford es tatsächlich ernst mit Izzy meinte?
Henry hatte zuvor mitbekommen, wie einige Herren sich darüber mokierten, dass Miss Norwood gerne Hosen trug und Dinge tat, die für gewöhnlich nur Männer machten. Diese Widerlinge hatten mit einem schmierigen Grinsen erzählt, ihr diese Flausen auszutreiben, sobald sie verheiratet wären.
Henry wollte am liebsten jedem von ihnen die Faust ins Gesicht rammen. Izzy hatte es nicht verdient, dass verächtlich über sie gesprochen wurde. Die anderen kannten sie gar nicht richtig und waren nur auf ihre Mitgift aus. Diese Gierhälse konnten nicht genug Geld bekommen, dabei schwammen sie bereits darin.
Henry interessierte ihre Mitgift nicht im Geringsten.
Es war nicht so sehr ihr eher gewöhnliches Aussehen, das ihn anzog, sondern vor allem ihr fröhliches Gemüt, ihre Andersartigkeit und ihre Klugheit. Er hatte sich bisher nicht oft mit solch aufgeweckten Frauen unterhalten. Außerdem mochte er Izzys direkte Art.
Sie hätte wirklich gut zu ihm gepasst. Bei ihm hätte sie sich nicht verstellen müssen und weiterhin ihre Hosen tragen dürfen. Er legte keinen Wert auf perfektes Benehmen, zumindest nicht, solange sie unter sich waren. Im Grunde seines Herzens war er immer noch ein Offizier, ein Mann aus gutbürgerlichem Hause, und kein Marquess. Er hatte für sein Land gekämpft und alles für die Krone gegeben, sogar seine Gesundheit und … sein gutes Aussehen.
Diesmal vermochte es Henry nicht, ein Schnauben zu unterdrücken – was zum Glück wegen der Musik niemand mitbekam. Sein Äußeres hatte die Damen stets beeindruckt. Vor allem, wenn er seine Uniform getragen hatte, waren sie um ihn herumgeschwänzelt wie Hühner um einen aufgeplusterten Hahn.
Henry besaß wohl keine anderen »Waffen« mehr, um auf das weibliche Geschlecht begehrenswert zu wirken, außer sein Geld – und im Grunde wollte er das auch gar nicht. Er suchte einfach nur eine Gattin, mit der er die ehelichen Zwecke erfüllen konnte. Sein Anwesen war groß genug, damit jeder sein eigenes Reich hätte und er nicht in Versuchung käme, mehr für sie zu empfinden als Freundschaft und Respekt. Denn auch wenn er sich nie wieder verlieben wollte, würde er sich seiner Frau gegenüber garantiert nicht wie ein Schuft benehmen. Ihr würde es an nichts fehlen und sie hätte bei ihm durchaus ihre Freiheiten.
Als Izzy erneut an ihm vorbeiwirbelte und er glaubte, ihren weiblich-blumigen Duft wahrzunehmen, versuchte er sie zu ignorieren und sich auf Lord Hastings zu konzentrieren, der ihm gerade etwas über das Bier in seinem Londoner Herrenclub erzählte. Würde Henry in Zukunft auch durch die Clubs streifen, an wichtigen Veranstaltungen teilnehmen und das Parlament besuchen müssen? Darüber hatte er sich noch überhaupt nicht den Kopf zerbrochen. Viel lieber wollte er auf seinem Landsitz bleiben.
Izzys fröhliches Lachen drang durch die Musik bis an seine Ohren, doch Henry blickte bewusst nicht in ihre Richtung. Er hätte gerne mit ihr getanzt, wenn ihr das solche Freude bereitete, obwohl sein Oberschenkel heute mehr schmerzte als sonst. Doch sie hatte wohl Mitleid mit solch einem Krüppel wie ihm und deshalb lieber eine Limonade getrunken.
Seltsame Frauenzimmer. Kein Mann blickte durch, was in deren hübschen Köpfen vor sich ging. Und hübsch war Miss Norwood, zumindest auf ihre eigene Weise, denn mit den Sommersprossen und dem sonnenverwöhnten Teint entsprach sie wohl nicht dem gängigen Schönheitsideal. Henry fand ihre Natürlichkeit hingegen erfrischend. Sie schien auch mehr Ausdauer als andere Frauen zu besitzen, was wohl daran lag, dass sie sich viel draußen aufhielt und mithalf, wo immer sie gebraucht wurde, und nicht nur auf dem Sofa saß und Tee trank.
Er sollte aufhören, sich über sie den Kopf zu zerbrechen, und überlegen, wie er seinen neuen Pflichten gerecht werden konnte. Zuerst wollte er zusehen, wie er zu einer Frau kam, mit der er einen Erben zeugen konnte. Sein neu gewonnenes Vermögen würde ihm dabei bestimmt eine große Hilfe sein. Danach würde er sich um alles andere kümmern.
***
Kurz vor Mitternacht waren die meisten Gäste bereits zu Bett gegangen oder zu nahegelegenen Gasthöfen aufgebrochen, in denen sie eine Unterkunft bezogen hatten, weil es im Trenton House nicht für jeden Besucher ein Zimmer gab. Als der Marquess of Rochford dem harten Kern eine gute