Schmäh. Edwin Baumgartner

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Schmäh - Edwin Baumgartner

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mit ihm ist der Safaladischmäh. In Safaladi steckt das italienische cervello für Hirn. Denn aus dem cervello machte man seinerzeit die Cervellata, eine billige Wurst aus Innereien, zu denen auch das Hirn gehörte. Die Wurst existiert noch heute in ihrer kalabrischen, Mailänder und apulischen Variante, wenngleich mit anderen Ingredienzen. Die Zervelatwurst soll mit ihr verwandt sein. Einige Quellen behaupten auch, die Bezeichnung ginge auf cervo, Italienisch für Hirsch, zurück; ob Wildingredienzen in der Wurst waren, oder ob sie wie Wild gewürzt wurde, da gehen die Interpretationen auseinander. Jedenfalls war die Cervellata seinerzeit eine billige Wurst. Der Wiener Dialekt benützte den Ausdruck Safaladi für etwas Minderwertiges und Verlogenes, so, wie die Wurst eigentlich billig war, aber durch Gewürze in der Qualität aufgewertet schien. Ein Safaladibruada ist ein Mensch, der kein Vertrauen verdient, und der Safaladischmäh ist ein billiger Schmäh, der sofort als Lüge zu durchschauen ist.

      Apropos Wurst, weil wir gerade bei dem Thema sind: „Mir ist das gleichgültig“ heißt im Wiener Dialekt „des is ma wuascht.“ „Wuascht“ ist „Wurst“, und die Wurst ist der große Gleichmacher unter den Fleischwaren. Sehen Sie, das ist typisch Schmäh: Aus „gleichgültig“ macht er „gleich“, „gleich“ assoziiert er mit „alles gleich gemacht“ und „alles gleich gemacht“ mit der Wurst. Und warum dies? Nun: Um wieviel bildkräftiger ist eine Wurst als das abstrakte „gleichgültig“? Je bildkräftiger, desto schmähfreudiger.

      Nur, bitte, eine vegetarische Wurst sollte es nicht sein, und schon gar nicht bei einem Würstelstand. Den Versuch hat es gegeben, und zwar auf dem Wallensteinplatz im 20. Wiener Gemeindebezirk. Nun ist die Wurst aber dem Wiener heilig. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Artmann seine Sammlung von Wiener Feuilletons „Im Schatten der Burenwurst“ betitelte. Der vegetarische Würstelstand wurde feierlich eröffnet. Am Anfang war er gut besucht, der vegetarische Würstelstand, so ein, zwei Wochen lang. Weil man’s halt kosten wollte. War eigentlich gar nicht übel, wie ich im Selbstversuch erfuhr. Aber dem Wiener macht man kein wurstförmiges Trumm Seitan für eine Burenwurst vor, und ohne die „Eitrige“, also die Käsekrainer, geht sowieso gar nichts. Schließlich war der Strom der Kunden ausgedünnt: Hin und wieder strömte halt ein Kunde vorbei. Dann wurde der Würstelstand längere Zeit renoviert, vielleicht, um den Wiener vergessen zu lassen, welcher besonderen Art diese Würstel waren. Jetzt verkauft der Würstelstand wieder Würstel aus echtem Fleisch.

      Den Würstelstand ist dem Wiener sowieso heilig, so quasi ein Wurstdom ist er ihm, und die Einnahme des Feilgebotenen gleichsam eine Handlung des Glaubens. In der Umgebung eines Würstelstands geschehen demnach auch Wunder. Zum Beispiel eines des Geruchs. Wer immer von den höheren Mächten über die Wiener Würstelstände wacht: Er hat beschlossen, einen der besten ans Eck von Tuchlauben und Hohem Markt im Ersten Wiener Gemeindebezirk zu stellen. Die Kreuzung ist durch eine Ampel geregelt, die den Verkehrsteilnehmern in regelmäßigen Abständen Wartezeiten auferlegt. Zu den Verkehrsteilnehmern gehören daselbst, neben Fußgängern, Radfahrern, Autos und Autobussen, auch Fiaker, also die speziell bei Wien-Touristen beliebten Pferdekutschen. Weshalb die Pferde ausgerechnet diesen Ort erwählt haben, um mit breitem Strahl zu urinieren, weiß ich nicht. Aber es ist so. Diese Stelle ist ein Pferde-Pissoir. Dementsprechend riecht sie, speziell an heißen Tagen. Aufgrund dessen sollte man annehmen, dass der geruchsnahe Würstelstand unter dem betäubenden Duft leidet. Aber nun geschieht das Wiener Würstelstandgeruchswunder: Dieses lässt die Kunden des Würstelstands über den Pferdegeruch hinwegschnuppern, und was in die Nase steigt, ist nicht Pferd, sondern Bratgeruch von Burenwurst und Käsekrainer. Zu manchen Tageszeiten muss man sich anstellen, um zur Wurst zu kommen. Dann erlebt man es selbst, das Würstelstandsgeruchswunder, wenn man, aus dem Pferdegruch kommend, langsam eintaucht in den Duft der Wurst, zuerst noch in befremdlicher Mischung, dann verliert sich das Pferd, je näher man dem Würstelstand kommt, immer mehr und schließlich ganz, und man riecht nur noch die Wurst. Was könnte appetitanregender sein?

      Bin ich jetzt wirklich von der Herkunft des Wortes Schmäh auf die Wurst gekommen? – Ja, so kann’s gehen beim Schmähführen. Beim einen beginnt man, beim ganz anderen landet man, und der rote Faden dazwischen sind nur die Untiefen der Wiener Seele.

      Was ich selbst nun zur Herkunft des Wortes Schmäh meine? Klingt feig, aber ich kann mich nicht festlegen. Die Herkunft aus dem Rotwelsch scheint mir nächstliegend. Die aus dem Jiddischen hätte Charme, denn das Wienerische hat zahlreiche jiddische Wörter aufgesogen, „Haberer“ etwa, „Hawara“ gesprochen (und uns durch den Hinweis auf Teuschls „Da Jesus und seine Hawara“ ein Begriff) ist ein jiddisches Wort für Kumpel und gehört zum Standardwortschatz des Wieners, etwa, wenn er sagt: „I hob mi mid meine Hawara üwa d’ Heisa ghaut.“ Die mittelhochdeutsche Variante ist zumindest argumentierbar. Muss man sich immer festlegen?

      Natürlich geht man als Wiener irgendwann einmal auf die Suche in der Hoffnung, etwas ganz Klares, völlig Eindeutiges zur ur-wiener Art der Kommunikation, was sage ich: der ur-wiener Haltung zu finden. Aber ich gebe zu, ich bin auf nichts Besseres gestoßen als der Wehle und der Sedlaczek. Meine Suche konzentrierte sich auf Sprachen, die in den Ländern der Donaumonarchie gesprochen wurden und die Wörter enthalten, aus denen, in Verballhornung, der Schmäh hätte werden können.

      Italienisch hatte ich als Möglichkeit erwogen, doch das bietet nur scimmia (Affe) und scimunito (Dummkopf). Um da eine Verwandtschaft zu konstruieren, müsste man sich so verrenken, wie es kein Zirkusartist schafft. Kroatisch bringt in Zusammenhang mit dem Schmäh gar nichts: šmarn heißt Schmarrn, ein Gericht, das im süddeutschen Sprachgebrauch auch als Synonym für Blödsinn steht. „A so a Schmarrn“ entfährt es Österreichern und Bayern, wenn andere Deutschsprachige „Quatsch“ sagen. Im Tschechischen heißt šmejd Schund. Der Schmäh – eine Schunderzählung? Möglich, aber auch da muss man sich arg verrenken.

      Französisch war die Sprache des Hofes, und als der später geruhte, in Deutsch zu parlieren, blieb es die Sprache der Diplomaten. Übrigens bin ich ziemlich sicher, das etwas näselnde Deutsch, das in Adelskreisen gesprochen wurde und teilweise bis jetzt in Kreisen des heute ehemaligen Adels gesprochen wird und das man Schönbrunner-Deutsch nennt nach der Kaiserlichen Sommerresidenz Schloss Schönbrunn, dass also dieser spezifische Tonfall, der in vielen Facetten das Wienerische prägt, daher rührt, dass man Intonationen des Französischen auf das Deutsche übertragen hat. Doch in Sachen Schmäh ist Französisch Fehlanzeige. Chamelier kommt klanglich noch am nächsten – aber das bedeutet Kameltreiber, und cheminer heißt, seines Weges ziehen.

      Mein Favorit ist indessen Ungarisch, nicht nur, weil das Wort Schmäh für mich einen ungarischen Beigeschmack hat, sondern auch, weil die Ungarn, wenn sie erzählen, und die Wiener, wenn sie schmähführen, ganz nahe Verwandte sind. Bloß gibt es kein ungarisches Wort, aus dem sich der Schmäh sinnvoll ableiten ließe. Oder doch? „Sumer“ (s wird im Ungarischen wie sch gesprochen) heißt „sumerisch“. Und ob am Hof des Königs Gilgamesch Geschichten und G’schichterln mit allerhand Übertreibungen und Unwahrheiten erzählt worden sind! Damals hat man es als Epos aufgezeichnet, später ist daraus, halt über das ungarische „sumer“, der Schmäh geworden, also die Verballhornung eines ungarischen Wortes, das in diesem Zusammenhang soviel bedeutet wie eine Erzählung in der Art der Sumerer.

      Ich geb’ ja zu, den Schmäh von „sumer“ abzuleiten, ist ein Ansaschmäh. Aber ich mag ihn.

      Schmähohne9.

      INTERMEZZO: BEIM WÜRSTELSTAND

       Beim Würstelstand auf dem Platz unter dem Ahornbaum. Später Sommerabend, wenig los.

      - A Haaße mit an Gschissanan, a Semmö und a Sechzehnablech.

      - Do, bittschee.

      - Daunke.

      - …

      - Au weh! Ui jeh, naa, des deaf do net woa sei!

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