Schmäh. Edwin Baumgartner
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Wir lernen daraus nebenbei, dass „schmähohne“ nur theoretisch bedeutet, die Geschichte sei wahr. Ich meine, das kann „schmähohne“ auch bedeuten, aber eben nur auch. Ebenso gut kann „schmähohne“ die Bestätigung für den Schmäh sein.
Wie man da durchblickt? Im Zweifelsfall ist es Schmäh, was nach Schmäh klingt.
Meine Großmutter hatte danach Mühe, mir zu erklären, dass weder Flammen einfrieren können, noch dass Frau Barischitz gelogen hat. Weil halt der Schmäh nicht wirklich ein Lügeng’schichterl ist, das ist er so wenig, wie er ein Witz ist. Wobei er schon beides sein kann, ein bisserl wenigstens, aber die Lüge ist nicht das tiefere Wesen des Schmähs, und der Scherz ist es auch nicht.
Fallweise kann er freilich das eine wie das andere sein. Dementsprechend definiert Peter Ahorner in seinem „Wiener Wörterbuch“ den Schmäh mit „Witz“, aber ebenso mit „Aufschneiderei, Unwahrheit“. Auch Wehle, also der Wehle, führt übrigens „Aufschneiderei“ als Unterbedeutung an.
Und nun? Was ist jetzt der Schmäh? Gag und Pointe lasse ich weg, dieser Definition traue ich nicht, obwohl sie von dem Wehle kommt. Eine leichte, amüsante Erzählweise gehört zum Schmäh dazu, aber der Schmäh legt es nicht auf die Pointe an. Er sitzt nicht da im Café mit grellbuntem Gewand, damit jeder weiß: Gleich gibt’s was zu lachen. Der Schmäh kommt unauffällig. Er kommt leise. Der Schmäh kann eine mit Charme erzählte ganz und gar wahre Geschichte sein und eine faustdicke Lügengeschichte – die aber, bitte, auch mit Charme erzählt. Ohne Charme kein Schmäh, der Charme ist eine Grundbedingung. Was Charme ist? – Keine Definitionen verlangen: Charme ist, was man als Charme empfindet. Beim Schmäh ist es ähnlich.
Ein bisserl näher möchte ich ihm dennoch kommen, dem Schmäh. Er ist eine mit Charme erzählte Geschichte wahren oder erfundenen oder übertriebenen Inhalts, eine Plauderei, ein treffender Ausspruch. Der Schmäh entsteht aus der Situation. „Beim Reden kummen d’ Leit zsamm“, sagt man in Wien, und beim Reden rennt auch der Schmäh. Wenn der Schmäh rennt, dann bedeutet das eine angeregte Unterhaltung.
Vielleicht kann ich das am besten exemplifizieren, wenn ich einen Witz in einen Schmäh übersetze. Das geht nicht mit jedem Witz. Ich fange mit einem der unübersetzbaren an, und da es beim Witzeerzählen weit Berufenere gibt als mich, klaue ich ihn Wort für Wort aus Hellmuth Karaseks Buch „Soll das ein Witz sein?“ Nun denn: „Im Schauspielhaus: Ein Zuschauer sagt zu seinem Nachbarn: ,Heute ist die Akustik nicht gut.‘ Der andere, nach einer Weile: ,Jetzt höre ich’s auch!‘“ Diesen Witz kann zumindest ich nicht in einen Schmäh übersetzen, ohne ihn völlig zu ruinieren.
Der nächste Versuch macht mit dem Grafen Bobby bekannt. Die Figur ist älter, als man denkt. Um die Wende zum 20. Jahrhundert ist sie aufgetaucht. Sie sagt viel darüber aus, wie die Österreicher über den Habsburgerstaat-Adel dachten. Man hielt seine Angehörigen offenbar nicht gerade für Geistesriesen. Leicht vertrottelt und schwer dekadent (oder andersherum), das trifft es eher. In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre waren die Graf-Bobby-Witze plötzlich wieder da. Als dann 1961 der erste Graf-Bobby-Film mit dem österreichischen Schlagerstar, Schauspieler und vor allem Publikumsliebling Peter Alexander in die Kinos kam, erlebten sie eine wahre Blüte. Wer sich „Die Abenteuer des Grafen Bobby“ in der Regie Géza von Cziffras heute anschaut, kann sich gar nicht vorstellen, dass ursprünglich Heinz Rühmann für die Titelrolle vorgesehen war. 1967 brachte Bensdorp sogar den Graf-Bobby-Schokoriegel auf dem Markt. Auf dem Pappschuber war stets ein Graf-Bobby-Witz abgedruckt. Das nur nebenbei. (Schmäh bedeutet schließlich auch Plaudern, ohne das Thema ganz genau im Auge zu behalten.)
Hier nun der Graf-Bobby-Witz, den ich versuchen werde, in einen Schmäh zu übersetzen. Zuerst aber in der Gestalt des Witzes: Graf Bobby sitzt in seiner Küche, vor ihm türmt sich ein riesiger Berg in Scheiben geschnittener Semmeln. Kommt Graf Bobbys Freund, Baron Mucki, herein, sieht den Haufen Semmelschnitten und fragt: „Ja, Bobby, was machst du denn da?“ Antwortet Graf Bobby: „Weißt, mein lieber Mucki, ich wollt’ mir einen Scheiterhaufen machen, und im Kochbuch steht: Man schneide drei Tage alte Semmeln in Scheiben. No, zwei Tage schneid’ ich schon.“
Jetzt das Ganze als Schmäh – da brauche ich eine zweite Person und eine Situation. Nicht unbedingt, aber der Schmäh hat dann mehr Schmäh. Wir sind noch immer im Café, haben zwischen den zurückschwingenden Schwingtüren einen Weg gefunden, wie weiland Odysseus zwischen Scylla und Charybdis hindurchgesteuert hat (was zweifellos etwas einfacher war), haben den Herrn Witz ignoriert, den Ober gefragt, wo Herr Schmäh sitzt, worauf der Ober geantwortet hat, der Herr Kommerzialrat (zu den Titeln komme ich noch, versprochen, alles auf einmal geht wirklich nicht, und schon gar nicht beim Schmäh) würde am Tisch beim Fenster rechts neben dem Klavier sitzen, wir haben uns dorthin begeben, uns dem Herrn Kommerzialrat Schmäh vorgestellt und ihn gefragt, ob wir uns einen Moment zu ihm setzen können. „Bitt’schön, Herr Doktor“, hat der Herr Kommerzialrat Schmäh geantwortet. Der Ober tritt herzu, wir bestellen uns einen kleinen Braunen, wie der Mokka mit Kaffeeobers hier heißt, und einen Scheiterhaufen. Der Herr Kommerzialrat Schmäh zieht die Augenbrauen hoch. „Scheiterhaufen?“, fragt er. Wir sind einen Moment irritiert: „Wieso? Ist der hier nicht empfehlenswert?“ „Doch, doch“, sagt der Herr Kommerzialrat Schmäh, „aber wenn ich ,Scheiterhaufen‘ hör’, denke ich gleich an meinen Freund, den Bobby. Grafen gibt’s bei uns ja keine mehr in Österreich, seit dem Achtzehnerjahr, aber vor dem Achtzehnerjahr war der Bobby ein Graf, wenn Sie verstehen. Dem ist da etwas passiert, das glauben Sie nicht.“ „Erzählen Sie, bitte“, antworten wir. Der Herr Kommerzialrat Schmäh nimmt einen Schluck Kaffee aus seiner Tasse, winkt dem Ober, „noch einen Franziskaner, bitte“, sagt er, was soviel bedeutet wie einen verlängerten Mokka mit Schlagobers. „Wo waren wir? Ah, ja“, sagt der Herr Kommerzialrat Schmäh, „bei meinem Freund, dem Grafen Bobby. No, Sie wissen ja, dass Kochbücher mitunter zweideutige Formulierungen enthalten. Ich lese ja keine Kochbücher, aber ich habe mir das sagen lassen. Also, mein Freund Bobby, der hat im Casino in Baden ein bisserl was verspielt. Sie wissen ja: Glück in der Liebe, Pech im Spiel. Der Bobby muss daher sein Personal ein bisserl reduzieren. Glück in der Liebe hat der Bobby grad gefunden. Denkt er sich, er kann die Köchin entlassen, so gut ist sie sowieso nicht, und seine neue Angebetete wird schon wissen, was in der Küche zu tun ist, und wenn sie nur Anweisungen gibt. Aber grad da hat er sich getäuscht, der Bobby, denn sie hat vom Kochen so viel Ahnung wie eine Katze von der Landwirtschaft. Was weiß ich nicht, wieso mir gerade dieser Vergleich einfällt. Also, der Bobby kriegt einen Appetit auf Scheiterhaufen. Denkt er sich, das kann doch nicht so schwer sein, das werd’ ich selber zusammenbringen. Er geht in die Küche, sucht das Kochbuch heraus, schaut im Stichwortverzeichnis nach – da steht er, der Scheiterhaufen. Der Bobby schlägt das Rezept auf und liest: ,Schneiden Sie drei Tage alte Semmeln in Scheiben.‘ Denkt sich der Bobby: ,Das schaff’ ich.‘ Und wissen Sie, was der Bobby gemacht hat? Zum Bäcker ist er gegangen und hat Unmengen Semmeln gekauft. Am nächsten Tag ist er um acht Uhr früh in die Küche und hat zu schneiden begonnen. Den ganzen Tag hat er Semmeln geschnitten, und am nächsten Tag auch bis knapp nach Mittag, da bin ich ihn besuchen gekommen. Weil ich ihn nicht im Café Central getroffen hab’ wie sonst am Mittwoch, hab’ ich mir gedacht, ich schau lieber einmal nach. Und da find’ ich den Bobby in einem Berg von Semmelscheiben. Ich frag’ ihn: ,Ja, was machst Du denn da?‘ Sagt er: ,Ich will mir einen Scheiterhaufen machen, und im Rezept steht, man muss drei Tage alte Semmeln schneiden.‘ Verstehen Sie? Er hat geglaubt, er muss drei Tage lang alte Semmeln schneiden. Jetzt will er vom Scheiterhaufen nichts mehr wissen, der Bobby, dabei war es vorher sein Leibgericht. Ah, da kommt ja schon Ihr Scheiterhaufen. Schaut sehr schön aus. Guten Appetit.“
Der Unterschied ist, meine ich, deutlich: Der Witz ist kurz und knapp. Er steuert geradewegs auf die Pointe zu. Dem Witz ist es völlig gleichgültig, wieso ein Graf in höchsteigener Person in der Küche Semmeln schneidet, statt einfach der Köchin zu sagen: „Resi, ich hätt gern einen Scheiterhaufen.“ Der Witz fackelt nicht lange: Ausgangssituation (Graf Bobby vor einem Berg Semmelscheiben) – Entwicklung (Baron Mucki fragt,