Schmäh. Edwin Baumgartner

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Schmäh - Edwin Baumgartner

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sind die Zeiten eines Grafen Bobby schon lange vorbei. Für einen echten Schmäh wäre die Geschichte etwas zu aktualisieren. Sie kann ja einem Freund oder einem Bekannten passiert sein. In Ermangelung wohltätiger Superreicher, die obendrein Kunstmäzene sind, nennen wir keinen spezifischen Namen. Wir sagen einfach: Das war bei dem, na … Na, dem … Sie wissen schon … Fertig ist der Schmäh. Das nur zur Illustration, dass zwischen dem jüdischen Witz und dem Schmäh ein gewisses weitläufiges Verwandtschaftsverhältnis besteht.

      Dennoch bleibe ich dabei: Die von dem Wehle vorgeschlagene Ableitung des Schmähs vom jiddischen „schmaien“ überzeugt mich nicht.

      Aber da wären ja noch Robert Sedlaczeks Ableitungsversuche. Bei Sedlaczek bin ich fast versucht, von dem Sedlaczek zu reden, zumindest hat er sich den Volksadelstitel, also den bestimmten Artikel vor dem Nachnamen, redlich verdient mit seinen Nachforschungen über die österreichische Variante der deutschen Sprache. In seinem Buch „Das österreichische Deutsch. Wie wir uns von unserem großen Nachbarn unterscheiden“ schlägt Sedlaczek vor, den Schmäh aus dem rotwelschen „Schmee“ abzuleiten, was Gaunersprache, Lüge und feiner Witz bedeutet.

      Das ist bestechend. Rotwelsch ist keine eigenständige Sprache, die durch Verschriftlichung genormt wäre, sondern ein Sprachamalgam, bestehend aus der Muttersprache fahrender Völker und des Mittel- und Frühneuhochdeutschen, also ein Dialekt oder Soziolekt. Als solcher wird Rotwelsch vor allem mit den Roma verbunden. Womit ich jetzt, quasi als Beleg für Sedlaczeks These, zum Lavendelschmäh komme.

      Wo habe ich geschrieben, der Schmäh sei an politischer Korrektheit völlig desinteressiert? – Jetzt ist einer der Momente, an dem man um diese politische Unkorrektheit nicht herumkommt. Nur: Wie drück’ ich’s am unverfänglichsten aus? „Ganz direkt“, sagt die Lektorin meines Vertrauens, „die Schmähbriefe an dich leitet der Verlag sicher weiter.“

      Jo, eh. Und danke für das Wortspiel mit den Schmähbriefen. Auf die Idee komme ich gleich zurück.

      Zuerst aber die Sache mit dem Lavendelschmäh. In früheren Zeiten war es dem Wiener, und keineswegs nur ihm, völlig egal, wie sich Völker selbst nannten. Man hatte eigene Bezeichnungen für sie. In der Linguistik nennt man das, wenn einem Volk eine Benennung durch ein anderes Volk oder einen anderen Kulturkreis erfährt, eine Fremdbezeichnung. Solche Fremdbezeichnungen gelten heute als politisch unkorrekt. Wenn zum Beispiel Bayern alle nichtbayerischen Deutschen als „Preißn“ bezeichnen, Österreicher für diese das Wort „Piefke“ verwenden, die „Piefkes“ die Österreicher wiederum als „Schluchtenscheißer“ bezeichnen und so weiter, dann ist das zwar Folklore, über die zu lachen man sich mittlerweile (hoffentlich) auf allen Seiten durchgerungen hat, aber die Ausgangslage, um es so zu sagen, ist nicht die schmeichelhafteste.

      Genau das ist nämlich der Haken mit diesen Fremdbezeichnungen: Sie sind in der Regel wenig liebevoll. Die Samen waren „Lappen“ (was in skandinavischen Sprachen, von denen wir das Wort auch in der Form „läppisch“ übernommen haben, soviel heißt wie „Deppen“), die Inuit waren „Eskimos“ (woher das Wort kommt, ist wie beim Schmäh: keiner kann’s genau bestimmen, „Rohfleischesser“ gilt mittlerweile als widerlegt) und Roma und Sinti waren „Zigeuner“.

      Jetzt zum Lavendelschmäh – und ich warne vor, ich bleibe politisch unkorrekt, nicht aus freien Stücken, sondern weil’s anders nicht geht.

      Die tief-lila leuchtenden Blüten des Lavendelstrauchs wurden in alter Zeit getrocknet und, zu kleinen Sträußen gebunden, verkauft. Ich kann mich gut erinnern, dass meine Großmutter immer ein Sträußchen duftenden Lavendels in den Wäschekasten legte, und wenn ich bei ihr übernachtete, roch die Bettwäsche nach Lavendel. Lavendel galt nicht nur als natürlicher Wäscheduft, man sagte ihm auch nach, Kleidermotten abzuwehren. Für manche Mottenarten stimmt das tatsächlich, andere dürften geruchstaub sein.

      Die Lavendelsträußchen wurden im Sommer auf der Gasse von den Lavendelweibern angeboten mit dem gesungenen Ruf: „An Lawendl hama do. Wer kauft uns an o?“ Das greinende Lied der Lavendelweiber gehörte zu Wien, wie die Lieder und Rufe der Gondolieri zu Venedig gehören. Heute sind die Lavendelweiber verschwunden. Dem wahrscheinlich letzten begegnete ich vor etwa fünfzehn Jahren in der Wollzeile, einer Straße, die sich nahe dem Stephansdom befindet. Es war eine uralte Frau, klein, gebückt, mit faltenzerfurchtem Gesicht, schlicht gekleidet, nur das Kopftuch war auf bäuerische Weise bunt. Zum Singen reichte die Stimme nicht, der Lavendelruf kam nur angedeutet über die Lippen – aber es war der alte Lavendelruf. Ich habe ihr ein Sträußchen abgekauft. Längst habe ich vergessen, wieviel mich das kostete. Ein Vermögen war es nicht. Das Lavendelsträußchen erfrischte meine Wäsche wochenlang auf betörende Weise. Außerdem hatte ich das Lied von einem echten Lavendelweib vorgetragen gehört. Das war’s wert.

      In älteren Wiener Tagen waren diese Lavendelweiber meist Zigeunerinnen. Selbstverständlich war auch damals der Verkauf von Lavendelsträußchen ein hartes Brot. So besserten sie ihr Einkommen mit dem auf, was man Zigeunerinnen ohnedies als besondere Gabe nachsagt: Sie lasen aus der Hand. Naturgemäß erfreuen gute Nachrichten eher als schlechte und öffneten somit ein wenig weiter die Geldbörse der Kundschaft. Das wiederum ließ die handlesenden Lavendelweiber eine gewisse sanft vertrauliche, sagen wir’s rundheraus: schmierige Art annehmen, sowohl beim Anbieten als beim Ausüben der Wahrsagerei. Somit ist der Lavendelschmäh die schmierige Variante des Charmes, und „waun bei ana a jeda Lawendlschmäh einegeht“8, dann bedeutet das die allzu leichte Verführbarkeit einer Frau – wozu auch immer. Männer mit schmierigem Charme haben’s manchmal halt leicht.

      Der Lavendelschmäh bindet den Schmäh also an Roma und Sinti an und könnte ursprünglich der rotwelsche Schmee gewesen sein. Doch in seinem „Wörterbuch des Wienerischen“ schlägt Sedlaczek noch eine andere Herkunftsvariante des Wortes vor. Er leitet es vom Mittelhochdeutschen smæhe ab, was „schmähen“ in der heute üblichen Bedeutung von verächtlich machen, beschimpfen bedeutet. Damit hat zwar der Schmäh nichts zu tun, aber Sedlaczek meint, es könne „allmählich zu einer Verbesserung in der Bedeutung gekommen“ sein.

      Ganz folgen kann ich dieser Ableitung nicht. Einerseits, weil ich der Bedeutungsverbesserung misstraue und mich frage, wo die denn hergekommen sein soll, andererseits, weil eine Schmähung rein inhaltlich mit dem Schmäh nichts zu tun hat.

      Oder doch?

      Eine echte Schmähung besteht nicht darin, jemandem ein Schimpfwort an den Kopf zu werfen, sondern sie ist eine Schmährede, also eine mehr oder minder ausführliche Geschichte über den so Geschmähten. In dieser Geschichte mag nun manches nicht stimmen und etliches übertrieben sein. Lässt man den absichtlich schlecht machenden Inhalt weg – dann würde das recht gut passen zum besonderen Verhältnis des Schmähs zur Wahrheit.

      Eine Freundin hat mir unterdessen noch eine Variante vorgeschlagen, die sogar ein paar Schritte weit in die Richtung der Bedeutungsverbesserung Sedlaczeks geht. Sie meint, der Schmäh sei das G’schichterl gewesen, das die Schmähung verwässert und dadurch für den Geschmähten und sein Umfeld erträglich gemacht hat. Die Erzählweise passt da eigentlich recht gut dazu.

      Oder sollte der Schmäh gar nicht selbst schmähen, sondern geschmäht werden, weil er eine Lügengeschichte ist oder eine auf unseriöse Art erzählte Begebenheit, eine aufgeplusterte Belanglosigkeit? Könnte auch sein.

      Übrigens kennt der Schmäh zwei weitere Varianten. Beide sind ein bisserl konkreter. Der Ansaschmäh ist der Schmäh, der einem in irgendeiner Situation sozusagen naturgemäß einfällt. Da preist beispielsweise ein Altwarenhändler ein paar morsche Sessel, die unter dem Gewicht eines Palmers-Unterwäschemodels zusammenbrächen, als „wirklich antik“ an und bittet, etwas zurückzutreten, weil die perfekte Formgebung der Sitzmöbel nur aus größerem Abstand zu erkennen sei, was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass man im Halbdunkel des Kellergewölbes die Wurmlöcher nicht sieht. Sofern

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