Dantes Inferno III. Akron Frey
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Steinbock
Die Höllen der Zusammenziehung und Verdichtung
„Ganz erstaunlich, wie leicht dir der Rückzug in die Welt der Träume inzwischen schon fällt ...“ Ich drehte mich um und sah meinen Seelenführer fröhlich auf mich zuspazieren. Er blieb zwei Schritte vor mir stehen und blickte mich erwartungsvoll an. Irgendetwas an ihm war diesmal anders, vertrauter, aber doch auch bedrohlicher.
Akron schien meine Unsicherheit zu bemerken: „Erkennst du diesen Ort?“
Ich sah mich suchend um und entdeckte, dass wir uns beide wieder in dem ausgetrockneten Flussbett befanden, das wir schon einmal am Anfang unserer Reise passierten.
„Das ist die Straße der Selbsterkenntnis“, sagte er ruhig, „die aus den Visionen der Träume gepflastert ist, die die Straße säumen.“
„Ja – ich erinnere mich. Wir hatten dieses Flussbett am Ende der Vorhölle passiert, bevor wir dem Wächter begegneten.“
„Das stimmt nicht ganz“, hüstelte er. „Wir waren zwar noch niemals hier, allerdings ist dein Empfinden auch nicht falsch, denn du erinnerst dich an dein ‚gefühltes Erleben’. Es war eine zukünftige Erinnerung in deinem Hirn, die dich das voraussehen ließ, was du gleich erleben wirst – eine beabsichtigte Vorstellung, die sich just in diesem Moment in unsere Realität durchdrückt. Wir befinden uns gewissermaßen auf deiner ganz persönlichen, visualisierten Erlebnisbühne.“
„Dann dreht sich hier alles im Kreis?“
„Gut erkannt! Die Zukunft setzt sich aus dem zusammen, was Menschen in ihrem unbewussten Erleben an Vergangenheit verarbeitet haben, wobei Wünsche und Vorstellungen mit tatsächlich Erlebtem vermischt werden. In diesem Sud ist Vergangenheit stärker als die Gegenwart vorhanden, ja, man könnte sagen, dass die Gegenwart der Löffel Suppe ist, die du aus dem Suppentopf schöpfst, während der Suppentopf die kollektive Vergangenheit der Menschheit darstellt.“
„Aber was ist mit der Zukunft?“ wollte ich wissen.
„Die Zukunft ist das, was der Löffel Suppe im Magen des Menschen bewirkt, und die er als Ergebnis wieder in den Suppentopf zurückgibt, wodurch sie sich wieder mit der Vergangenheit vermischt. Jeder Vorgang verändert jeden anderen Vorgang, der sich im Topf befindet, und die in die Suppe gespuckte Zukunft verursacht Wellen, und diese verströmen über die ganze Brühe.“
„Was für ein ekliger Vergleich“, entfuhr es mir. „Sollen das die Visionen sein, aus denen meine Träume gepflastert sind?“
„Es sind das die Quadern des Weges, die dich nach vorne bringen. Deshalb ist in jeder Erinnerung aus Sicht der Gegenwart schon ein Teil unverwirklichter Zukunft investiert, was sich auf das laufende Arrangement auswirkt. So wird Zukunft aus Sicht der Gegenwart zwar ständig neu erschaffen, aber nur innerhalb der geistigen Baupläne, die schon längst in der Vergangenheit entwickelt worden sind.“
Da wurde mir erst klar, dass der Boden aus unzähligen kleinen Granitplättchen bestand, die ein kompliziertes Muster bildeten, dessen Linien sternförmig unter meinen Füßen zusammenliefen. Das Seltsame aber war, dass sich der Boden zu meinen Schritten mitbewegte, denn mit jedem meiner Schritte ging eine wellenförmige Bewegung durch das ganze Flussbett, sodass sich der ganze Boden im Rhythmus meiner Bewegung verschob, dass ich immer im Zentrum der strahlenförmigen Linien verblieb.
„Du siehst, die einzige Bedeutung der Zeit ist die, dir die Auswirkungen deiner Bewegungen im Verhältnis zu deinem psychischen Empfinden erlebbar zu machen, damit du überhaupt etwas im Hirn hast, das du voneinander unterscheiden kannst“, erwiderte er. „Wie immer du es auch anstellst, immer verbleibst du im Zentrum: Es ist die von dir selbst ausgeworfene Absicht, die du ähnlich wie die Karotte vor der Nase des Hasen, die an einem Stock hängt, der ihm auf dem Rücken festgebunden ist, ständig avisierst.“
„Ist das der Sinn, den es in dieser Hölle zu erkennen gilt“, stöhnte ich und versetzte der Welle der Bewegung der mich umbrandenden Plättchen einen heftigen Tritt, „das menschliche Verhalten, den Sinn des Lebens mittels des Maßstabs Zeit ständig auseinanderzudividieren und die unterschiedenen Teile dann wieder miteinander zu verbinden?“
„Nein, es geht um den Glauben, der Schöpfer seiner Umgebung zu sein, damit das Ego etwas hat, woran es glauben kann“, kugelte er sich vor Lachen. „Sonst würde ihm ja das ganze Konstrukt menschlicher Entwicklung, das es sich in den letzten Jahrtausenden zusammengebastelt hat, wie eine Seifenblase platzen. Technisch gesehen ist diese Steinwüste die in eine Vorstellung gepresste Form einer in die Zukunft projizierten Erinnerung aus dem kollektiven Fond menschlicher Bilder.“
„Und was bedeutet das für mich?“ Es war alles so sonderbar, aber auf irgendeine Art und Weise hatte er auch Recht. Hier war ich damals dem Hüter der Schwelle begegnet, den ich durch das Weinen meiner Tränen aus meinen seelischen Tiefen hervorgerufen hatte. Ich nahm diese Szene plötzlich als Erinnerung wahr. Irgendwie hatte ich das sonderbare Gefühl, dass dieses Erleben etwas war, das schon lange in mir stattgefunden hatte und an das ich mich wieder erinnern konnte. Trotzdem stimmte etwas nicht. Meine Erinnerungen waren unscharf und auf irgendeine komische Weise war das, was ich dachte, mit dem verbunden, was er sagte. Auf eine unerklärliche Weise war ich mit seinen Emanationen verbunden, einem faszinierenden Fluidum, das er ausstrahlte.
„Am Ende der Fische-Hölle gab dir dein innerer Wächter die Erlaubnis, den Pfad der Träume durch die verborgenen Mysterien einzuschlagen, um die versteinerten Seelen zu wärmen“, fasste Akron zusammen. „Unsere Aufgabe hier ist aber nicht das Aufwärmen von Erinnerungen, sondern zu sehen, was sich hinter unseren Sehnsüchten verbirgt. Dort liegt unser Ziel, denn die wirklichen Engel verbergen sich hinter den Bildern. Dort liegt der Eingang ins Paradies.“
Da konnte ich mich nicht mehr zurückhalten: „Wer bist du?“ platzte meine Anspannung plötzlich aus mir heraus: „Gib dich zu erkennen! Du siehst aus wie Akron und sprichst auch wie Akron – doch ein unbestimmtes Gefühl sagt mir, dass du es nicht bist.“
Ein Lächeln umspielte seine Lippen: „Erinnerst du dich? Du wolltest wissen, wer ich bin so nach dem Motto: Wenn der, den ich sehe, nicht Ich ist, wer bin ich dann, der ihn sieht? Damals vertröstete ich dich auf einen späteren Zeitpunkt. Nun ist dieser Moment gekommen. Ahnst du die Antwort?“
Ich nickte bedächtig und blickte meinem Seelenführer erwartungsvoll ins Antlitz, das seit unserem ersten Aufeinandertreffen stets im Dunkeln seiner Kapuze verborgen lag. Da stand ich vor ihm, mein Blick traf ihn direkt ins Auge, und es gab nichts, was uns trennte, wir schauten einander mit der Frage in die Augen: „Wenn der, den ich sehe, ich bin, wer ist dann jener, der mich sieht?“
Er erklärte mir freundlich: „Ja, ich bin Ich und Du und alles, was du sehen kannst, denn ich habe kein eigenes Gesicht und bin durchsichtig. Ich bin die Absicht, die durch die Welten strömt, persönliche Sehnsüchte und Wünsche, die irgendwo im Kosmos festhängen, die sich aber alle nach dir zurücksehnen, weil du die Quelle oder der Ausgangsort bist. Viele meiner Brüder sind geprägt durch die Muster deiner Erfahrungen, Erinnerungen, die du ihnen mitgegeben hast, als du sie auf die Reise schicktest, und die darauf warten, eines Tages wieder zu dir zurückzukehren und aufgerollt zu werden, damit du der Wahrheit in dir entgegenblickst. Nach physischen Gesichtspunkten bin ich unsichtbar; die Masse, die