Schneeflöckchen, Mordsglöckchen. Susanne Rüster
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Schneeflöckchen, Mordsglöckchen - Susanne Rüster страница 5
»Und die gelben mit den blauen Streifen?«
»Auch dreifuffzig. Genau wie die Himbeer, die Pfefferminz, die Anis … Weißt du, was? Frag deine Mutti, und dann komm wieder!« Es ist immer das gleiche. Und wenn man nicht aufpasst wie ein Luchs, machen manche sogar lange Finger …
Die weiteren Verkaufsverhandlungen gehen in Geschrei unter, eine Kitagruppe hat die Budenstraße gestürmt. Stechow reibt sich die klammen Hände: Natürlich, als erstes entdecken die Kleinen den Weihnachtsmann, aber später werden ihnen die bunten Bonbons ins Auge stechen. Potentielle Kundschaft.
»Ich will zur Engelsmühle!«
»Wo sind die Rentiere?«
»Trinkst du auch Kinderpunsch, Alma?«
Almas Kopf dröhnt. Angesichts der Überflutung buntweihnachtlicher Reize brüllen die Kids aufgeregt durcheinander, sind kaum unter Kontrolle zu halten. Und jetzt fängt auch noch die Blechbläsergruppe mit ihrem scheppernden Platzkonzert an. Ihr Kiiinderlein, kooommet …
Alma wirft einen Blick auf die Uhr des blau illuminierten Schlossturms: kurz nach halb vier. In einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Herr Hardenberg, der Vater von Sophie, will seine Tochter um vier abholen; freundlicherweise hat er angeboten, auch einige andere aus der Gruppe nach Hause zu fahren. Vielleicht können Karin und Jens die übrigen Kinder alleine zurückbringen, und Alma kann früher Schluss machen. Die Kopfschmerzen sind kaum auszuhalten, hoffentlich ist da keine Grippe im Anzug …
Beim Elterncafé haben sich mehrere Mütter gegen den Besuch des Weihnachtsmarkts ausgesprochen, sich aber nicht durchsetzen können – zu Almas Bedauern. Übereinstimmung hat allerdings darüber geherrscht, dass der Ausflug vor Einbruch der Dunkelheit beendet sein müsse. Natürlich ist es von niemand ausgesprochen worden, doch Alma ist sicher, alle haben an den entsetzlichen Vorfall vom letzten Jahr gedacht. Wie war der Name der armen Kleinen? Leonie?
Almas wachsamer Blick schweift über die Gruppe: Johanna, Linus, Sophie, Bruno …
»Der Weihnachtsmann!«, schreit Luise, und schon hängt sie am Rockzipfel des Rotgewandeten.
Jetzt gibt es auch für den Rest der Gruppe kein Halten mehr.
»Weihnachtsmann! Weihnachtsmann! Kommst du mit mir auf mein Schloss?« – Sophie natürlich.
Der junge Mann verteilt Süßigkeiten aus einem Jutesack. Er streicht Luise über die dunklen Locken. Karin und Jens lächeln, doch Almas Argusaugen beobachten die Situation kritisch. Muss der Weihnachtsmann die Kinder unbedingt anfassen? Sie klatscht in die Hände und ruft: »Wer hat Lust auf Bio-Bratwurst?«
»Ist das ein Rentier?«
»Das ist ein Esel. Der gehört neben den Ochsen in den Stall«, erklärt Kapuste geduldig und stellt die Schnitzfigur vorsichtig zurück an ihren Platz.
»Ich weiß«, erwidert Luise selbstbewusst. »Zusammen mit den heiligen drei Königen.«
»Na ja, die kommen erst etwas später dazu …«
Stechow lauscht gerührt der Unterhaltung zwischen seinem Budennachbarn und der Kleinen mit den schwarzen Locken. In dem Alter sind sie noch für die Weihnachtsgeschichte zu begeistern, später zählen nur noch die Geschenke. Er greift in das Glas mit Honigdrops und reicht dem Mädchen lächelnd eine Handvoll hinüber – von denen hat er etliche Kilo, außerdem gehen die dieses Jahr sowieso nicht so gut. »Du bist doch nicht etwa ganz alleine hier, oder?«
»Alle Leckermäuler sind hier«, antwortet Luise und stopft sich mehrere Bonbons auf einmal in den Mund. »Außer Ruben – der hat die Krippe!«
»Du meinst die Grippe!« berichtigt Stechow.
»Und wo sind die anderen Leckermäuler?«, fragt Kapuste. »Sicher vermissen sie dich schon … «
»Die essen Wurst. Ich nicht. Ich bin Vegetarierin!«
In diesem Augenblick taucht Jens auf. »Luise, kommst du? Wir warten alle auf dich …«
Linus hustet heftig. Alma klopft ihm auf den Rücken. Linus beginnt zu keuchen, japst nach Luft – und Alma entdeckt den angebissenen Lebkuchen zwischen seinen Fingern. »Linus! Um Himmels willen, woher hast du das? Du weißt doch, dass Nüsse für dich … Karin! Hast du Linus’ Medikamente dabei?«
Karin kramt in ihrem Rucksack nach dem Antihistamin. Zum Glück ist Alma abgelenkt und hat nichts von Luises kurzzeitigem Verschwinden mitbekommen, denkt sie.
Linus’ Anfall ist abgeklungen. Die Kleinen haben ihre Bratwürste verdrückt, und Alma drängt zum Weitergehen. Sie beginnt durchzuzählen: Luise, Johanna, Linus, Bruno … Wo ist Sophie? Zum Kuckuck, da passt man eine Sekunde nicht auf …
»Sophie? Sophiiie!«
Drei Erzieheraugenpaare schweifen suchend über den Platz.
Almas Stimme überschlägt sich: »Wo habt ihr sie zuletzt gesehen?«
»Keine Panik jetzt«, versucht Jens Alma zu beruhigen. »Sie kann nicht weit sein …«
»Ich erinnere mich, dass sie unbedingt noch mal zum Weihnachtsmann wollte«, sagt Karin vorsichtig.
Almas Kopf wirbelt herum. »Zum Weihnachtsmann? Wo ist der verdammte Weihnachtsmann jetzt?«
Der Markt ist inzwischen voll von Menschen, in dem Gedränge keine Spur von Sophie oder dem Weihnachtsmann.
Almas Handy schrillt. »Ja, hallo?«
Hardenberg. Ausgerechnet jetzt. »Alma? Kann es sein, dass Sophie im Park herumläuft … zusammen mit so einem Nikolaus-Typen?«
Scheiße. Wie wird sie das nur erklären? »Jens, kommst du bitte mit mir? Karin, ich verlasse mich darauf, dass du dich mit den Kindern keinen Millimeter von der Stelle bewegst, okay?«
Sie schieben sich zwischen den Menschen durch Richtung Schlossgarten, Alma presst das Handy ans Ohr. »Herr Hardenberg, wo haben Sie sie gesehen? Ich meine, wo sind Sophie und der Weihnachtsmann in den Park rein?«
»Bei der Orangerie – ich kann sie jetzt nirgendwo mehr sehen … «
Alma und Jens biegen ab zur Orangerie; sie können Hardenberg jetzt schon am Eingang stehen sehen. Der Schlossgarten liegt ausgestorben in der Dämmerung. Gleich wird es dunkel sein …
Alma denkt: Weiter hinten, am Teich, haben sie das Mädchen letztes Jahr gefunden, am frühen Abend. Sie war noch nicht lange tot. In den Zeitungen stand, dass sie gerade mal eine Stunde vermisst wurde.
»Alma, was ist hier los? Irgendwas stimmt da doch nicht!«, poltert Hardenberg. »Und wo sind die anderen?«
»Wir haben Sophie kurz aus den Augen verloren«, versucht Jens zu erklären.
»Sie haben was? Wollen sie sagen, es war überhaupt nicht abgestimmt, dass Sophie mit diesem Nikolaus …?«
»Herr Hardenberg, bitte, wir …« Alma ist schweißgebadet.
Hardenberg