Zu dramatischen Ereignissen. Erich Honecker

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Zu dramatischen Ereignissen - Erich Honecker

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      Erich Honecker

      Zu dramatischen Ereignissen

      2012 • Verlag Wiljo Heinen, Berlin

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      I. Einleitung

      Da in dem von mir nicht autorisierten Buch und in einigen anderen Veröffentlichungen, auf die ich keinen Einfluss hatte, Entstellungen und Fälschungen enthalten sind, halte ich es schon aus Gründen der politischen Kultur für erforderlich, mich zu äußern. Vor allem jedoch entspricht das meiner politischen Verantwortung.

      Ich weiß, dass es auch wohl gemeinte Ratschläge von Freunden gibt, überhaupt auf öffentliche Erklärungen zu verzichten, da sie in jedem Falle für neue Hetztiraden benutzt werden können. Das ist nach den jüngsten Erfahrungen auch keineswegs von der Hand zu weisen, aber andererseits kann man mir nicht zumuten, zu all den tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu schweigen.

      Ich halte es einfach für meine Pflicht, mich zu den dramatischen Ereignissen seit November 1989 zu äußern. Schließlich gibt es nicht nur jene, die nur allzu schnell ihre früheren Ideale und Freunde verraten und ihre politische Gesinnung gewandelt haben, sondern auch unzählige ehrliche ehemalige Mitstreiter, vernünftige und anständige Menschen in aller Welt, die trotz kritischer Bewertung der Vergangenheit ihre Hoffnung auf eine neue, eine von kapitalistischer Ausbeutung freie moderne sozialistische Gesellschaft trotz alledem nicht aufgegeben haben. An sie wende ich mich in erster Linie.

      Von der Bühne der Geschichte abzutreten, ohne meinen Standpunkt zu den erdbebenartigen Entwicklungen der letzten Zeit darzulegen, das hielte ich für ehrlos, nicht nur für mich persönlich, sondern auch für die deutsche und internationale kommunistische Bewegung.

      Ich bin fest entschlossen, soweit meine Kräfte reichen, mich von den heutigen Siegern ebenso wenig mundtot machen zu lassen, wie einst von der faschistischen Gestapo. Das bin ich meinem ganzen Leben als Kommunist schuldig.

      Zunächst möchte ich sagen: die Ereignisse seit meinem Rücktritt als Staatsratsvorsitzender und Generalsekretär, die sich in der DDR vollzogen, haben mich tief erschüttert. Ich kann aber nicht sagen, »dass in mir eine ganze Welt zusammengebrochen sei«. Der Untergang der DDR hat aber mir und anderen Kampfgefährten nicht den Glauben an den Sozialismus als der einzigen Alternative für eine menschliche Gesellschaft genommen. Es ging beim »Zurückrollen« des Sozialismus in den Kapitalismus nicht um mich, sondern um alle, die tatkräftig mitgebaut haben an der Errichtung und Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft. Ich verstehe sehr gut all jene, die sagen, es kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir 40 Jahre umsonst gearbeitet haben. Sie haben recht! Was wir in 40 Jahren, jeder an seinem Platz, unter schwierigen Bedingungen für ein Leben im Sozialismus auf deutschem Boden geleistet haben, wird fortbestehen in den Kämpfen der Zukunft. Ich denke dabei insbesondere an die durch die sozialistischen Produktionsverhältnisse bedingte soziale Sicherheit für alle, an solche verwirklichten Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit, das Recht auf gleiche Bildung, die Gleichberechtigung der Frau, an all die Errungenschaften, die vielen schon selbstverständlich erschienen, heute jedoch rigoros zerschlagen werden. Arbeiter, Bauern, Wissenschaftler, Lehrer, Männer und Frauen und die Jugend, viele heute ohne Arbeitsplatz, ohne Lebensperspektive werden nur im Kampf zurückgewinnen können, was ihnen an Rechten schon garantiert war in unserem ehemals sozialistischen Land. Bei dem schier Unverständlichen des Zusammenbruchs der sozialistischen Gesellschaft, bei all dem Verrat, bei aller Erbärmlichkeit, die wir erleben mussten, bleibt es dabei: Der Aufbruch in eine neue Welt ist nicht aufzuhalten. Diese Erkenntnis erschließt sich für jeden, der Marx und Engels und Lenin nicht nur gelesen, sondern auch verstanden hat. Die Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft sind objektiv. Der Hauptwiderspruch der Welt des Kapitals, so sehr sich der Kapitalismus auch zu »wandeln« in der Lage ist, er existiert und bleibt bestehen. Erst wenn der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Arbeit und privater Aneignung aufgehoben wird, werden die Bedingungen für den Einzelnen, für ein menschenwürdiges Leben geschaffen werden können. Die Grenzen, an die die kapitalistische Gesellschaft schließlich stoßen wird, machen den Weg frei für den Sozialismus.

      Trotz der jetzigen Niederlage bin ich wie viele Gleichgesinnte von der Gewissheit erfüllt, dass die Ablösung der kapitalistischen Gesellschaft durch eine wie auch immer konkret ausgestaltete sozialistische Gesellschaft unvermeidlich ist, weil sich die Gesetzmäßigkeiten der Geschichte nicht außer Kraft setzen lassen. Deshalb beurteile ich die Dinge aus historischer Sicht nicht so pessimistisch, wie das nach dem Schock des Jahres 1989 von vielen getan wird.

      Schließlich gruppieren sich doch alle Fragen, die das Leben der Menschen erst lebenswert machen, primär um solche Werte wie soziale Sicherheit. Aber dafür ist in der Ellbogengesellschaft, in die wir gestoßen wurden, keinerlei Platz. Die Wolfsgesetze des Manchester-Kapitalismus, die heute in der ehemaligen DDR herrschen, stellen doch wohl keinesfalls eine Alternative zu einer sozial gerechten Gesellschaft dar. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Entwicklung längst nicht an einem Schlusspunkt angelangt und die sozialistische Idee keinesfalls tot ist. Manche nennen das realitätsfernes altes Denken und beweisen damit nur ihr Unverständnis für historische Prozesse und zugleich ihre tiefe Gegnerschaft gegenüber der marxistischen Theorie.

      Mein Rücktritt vollzog sich, wie die Ereignisse bestätigen, auf dem Hintergrund von Vorgängen, die nicht von heute auf morgen eintraten. Dem gingen langfristig angestrebte Veränderungen auf der Weltbühne voraus, Veränderungen, die, wie sich bald zeigen sollte, das Antlitz Europas veränderten. Die heutigen Begebenheiten, so äußerte ich mich bereits im Frühjahr 1990, bezeugen das leider in einem Umfang, den man damals noch nicht voll einschätzen konnte. 1987 erhielten wir Informationen aus Washington, die besagten, dass die DDR der »Preis« für das Haus Europa sein würde. Diese Information war offensichtlich von der Befürchtung getragen, dass die USA aus Europa heraus gedrängt werden sollten. Und es war das Jahr 1987, als einige namhafte, oder sich mit diesem »Ruhm« schmückende sowjetische Autoren in den westlichen Medien auftraten, die die Überwindung der deutschen »Zweistaatlichkeit« als politische Tagesaufgabe »verkündeten«.

      War es da nur ein Zufall, dass Reagan etwa zur gleichen Zeit am Brandenburger Tor forderte, die Mauer fallen zu lassen? Dass die Überwindung der deutschen »Zweistaatlichkeit« nach Lage der Dinge nur durch einen Systemwechsel in der DDR zu bewerkstelligen war, war nur logisch. Aber daran zu glauben, kam uns damals nicht in den Sinn. Wir glaubten an die gegenseitigen Bündnisverpflichtungen, die niemandem das Recht gaben, die DDR aufzugeben und wir glaubten an die Festigkeit dieses Bündnisses, an die Ehrlichkeit der Verbündeten, die mit uns nie und nirgendwo über die Möglichkeit der

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