Familienglück im zweiten Anlauf. Dorothee Döring
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„Menschen heiraten
immer wieder.
Das ist der Sieg
der Hoffnung
über die Erfahrung.“
Helen Fisher, amerikanische Anthropologin
Einführung
Heutzutage wird fast jede dritte Ehe geschieden. Aber der Wunsch, es mit einem neuen Partner noch einmal zu versuchen, ist oft groß. Sind dann Kinder aus der Vorbeziehung da, führt das zu völlig neuen Familienstrukturen, den Patchwork-Familien, früher „Stief-Familien“ genannt.
Obwohl sich alle Beteiligten zunächst mit gutem Willen und besten Vorsätzen auf die neue Familienkonstellation einlassen, wird ihnen sehr schnell klar, dass der Alltag nichts mit der Scheinwelt von Fernsehserien zu tun hat. Unterhaltszahlungen, Besuchsregelungen, Erziehungsprobleme oder problematische Beziehungen der Ex-Partner können die neue Familie entscheidend belasten.
Meine Intention ist es nicht, Sie davor zu warnen, eine Zweitbeziehung einzugehen. Vielmehr möchte ich Ihnen die Augen dafür öffnen, dass eine Entscheidung von solch großer Tragweite zwar auf einem positiven Gefühl beruhen muss, aber auch Ergebnis einer rationalen Abschätzung möglicher Risiken sein sollte.
Ich zeige Ihnen, welche Auswirkungen die „Schatten der Vergangenheit“ auf die neue Liebe haben, aber auch, wie man mit ihnen konstruktiv umgehen kann, so dass das „Projekt Patchwork-Familie“ gelingt.
I
Eine Familie zerbricht
Wenn eine Partnerschaft oder Ehe auseinanderbricht, gibt es denjenigen, der den anderen verlässt, und denjenigen, der verlassen wird. Die Auswirkungen emotionaler, finanzieller und organisatorischer Art treffen beide Parteien in unterschiedlicher Weise. In meiner Betrachtung wende ich mich deshalb dem verlassenen Partner zu, weil der von der Entscheidung des anderen überrollt wird und sich der neuen Realität fügen muss.
1. Scheiden tut weh
„Dann können wir uns ja scheiden lassen …!“ Wer hat nicht schon eine solche Drohung im Streit hören müssen?
Egoismus, mangelnde Achtung und Wertschätzung, Lieblosigkeit und schließlich immer wieder geäußerte Drohungen, sich scheiden lassen zu wollen, sind Symptome, die zu einer ernsthaften Krise führen können.
Meint es der Partner ernst, bricht für uns eine Welt zusammen. Wir fühlen uns wie im Schock und kämpfen darum, noch eine Chance zu bekommen. Wir versprechen ihm alles, geloben Besserung, nur damit er seine Entscheidung zurücknimmt.
Realisieren wir, dass uns der Partner keine Chance mehr gibt, fallen wir in ein tiefes Loch. Wie sollen wir jemals wieder glücklich werden ohne ihn? Wir vergessen all die schlechten Zeiten, die Kränkungen und Konflikte, die wir mit ihm erlebt haben. Vor unserem inneren Auge sehen wir die Partnerschaft nur in leuchtenden Farben. Immer wieder fragen wir uns, warum wir verlassen werden, was wir falsch gemacht haben oder was an uns nicht in Ordnung ist. Wir können nachts nicht schlafen und laufen tagsüber ruhelos umher. Besonders die Wochenenden und Feiertage sind grausam.
Wer sich aktuell in einer Krise befindet, der fragt sich oft: „Wie konnte das passieren?“ Er ist verunsichert und verzweifelt. Das, was ihm bisher so sicher erschien, ist ins Wanken geraten. Viele Menschen empfinden Verlassenwerden als eine der größten seelischen Niederlagen. Nichts ist demütigender und abwertender, als nicht mehr wertvoll genug zu sein, geliebt zu werden, einfach „abgelegt“ zu werden. Diese Verletzung ist äußerst schmerzhaft, und die Narben der Seele verheilen oft ein ganzes Leben lang nicht.
Vielleicht wird uns aber jetzt auch bewusst, dass es vielleicht schon lange keine Gespräche mehr gegeben hat, in denen man sich als Paar seine Sorgen, Ängste, Bedürfnisse und Wünsche offenbarte. Vielleicht müssen wir uns an den Anfang der Beziehung oder Ehe erinnern, um zu erkennen, was falsch gelaufen ist.
Jahrelang war man sich so vertraut, erzählte sich alles, konnte sich bedingungslos aufeinander verlassen. Doch plötzlich ist alles anders, die enge Verbundenheit hat sich verändert: Pläne und Ziele weichen voneinander ab, die Interessen gehen auseinander, und auf einmal hat man sich nichts mehr zu sagen. Erich Kästner hat das Phänomen der Entfremdung in der Partnerschaft in einem sehr bekannten Gedicht beschrieben:
Sachliche Romanze1
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Frauen haben ein sensibler ausgeprägtes Frühwarnsystem als Männer und merken frühzeitig, wenn etwas aus dem Lot geraten oder nicht mehr zu retten ist. Wenn man es dann nicht mehr schafft, wieder zueinanderzufinden, ist eine Trennung unausweichlich.
Es ist für uns Menschen sehr wichtig, dass wir uns in einer Familie aufeinander verlassen können. Dazu gehört auch eine Strukturierung unseres Tagesablaufs, dass wir wissen, morgens werden die Kinder in die Schule gehen, wir unserer gewohnten Arbeit nachgehen, das Abendessen wird wie immer gemeinsam eingenommen usw.
Sich auf Gewohntes verlassen zu können, erhält uns die Kraft, mit den Unwägbarkeiten, den Widrigkeiten, den ungeplanten Ereignissen unseres Lebens fertig zu werden. Wir handeln in und aus einem Zustand des Gleichgewichts von Anforderungen und Kräften. Im Falle einer Trennung existiert dieses Gleichgewicht nicht mehr. Das bisherige Leben wird völlig auf den Kopf gestellt und plötzlich sind ganz neue Dinge wichtig: Es sind allein Entscheidungen zu treffen, die zuvor gemeinsam getroffen wurden. Es machen sich Gefühle von Unsicherheit und Ausweglosigkeit und vor allem die Angst vor dem Alleinsein breit. Der Betroffene stellt sich die Frage: „Wie soll es weitergehen? Werde ich es allein schaffen?“