Chef, wir müssen reden. Der Traum vom Ausstieg auf Zeit. Alexander Reeh

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Chef, wir müssen reden. Der Traum vom Ausstieg auf Zeit - Alexander Reeh

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style="font-size:15px;">      Die vergangenen zehn Jahre waren bestimmt von der Ambivalenz zwischen dem bequemen, abgesicherten Leben von Angestellten der Republik Österreich, dessen Preis die Enge und Unselbstständigkeit eines weisungsgebundenen Dienstnehmers ist, und dem eigenverantwortlichen, selbstbestimmten Reisen auf den Ozeanen, nur dem eigenen Fahrplan sowie dem Wind und Wettergeschehen gehorchend. Klischees natürlich, denn so wenig wie der Wind frei weht, sondern – Naturgesetzen folgend – von der Corioliskraft abgelenkt zwischen den Gradienten bläst, lässt sich auch die Abhängigkeit des Segelreisenden von den verschiedensten Gegebenheiten nicht leugnen – letztlich ist man vermutlich nicht freier, aber beweglicher…

      Wir waren Pendler zwischen zwei Welten, wollen keine der beiden Lebensformen missen, könnten die eine ohne die andere nur schwer ertragen. Seit 18 Jahren leben wir zusammen, viereinhalb Jahre davon auf Sleipnir 2, wodurch doch eine gewisse Affinität zum Landleben deutlich wird – trotzdem, nahezu die Hälfte der abgelaufenen zehn Jahre haben wir auf unserem Katamaran verbracht. Um frei für ein Segelabenteuer zu werden, haben wir zweimal das engmaschige soziale Netz, das uns quasi wie ein Kokon umgibt, aufgeknüpft. Versponnen in diesem Kokon fühlen wir Geborgenheit, sind scheinbar eingebettet in jedwede Sicherheit, allerdings unter Aufgabe unserer Bewegungsfreiheit. Als würde gerade der Kopf aus dieser Hülle hervorlugen, sehen wir zwar, was um uns herum passiert – etwa durch den Fernsehapparat – können aber kaum daran teilhaben. Legen wir den schützenden Panzer ab, gehen wir ein kleines Risiko ein, werden aber nur so frei und Herrscher über unsere eigene Zeit.

      »Was bleibt von so einer Reise?«, werden wir oft gefragt. Die Antwort ist einfach und doch wieder nicht. Der Philosoph Hermann Graf Keyserling formulierte einst: »Der kürzeste Weg zu sich selbst führt um die Welt herum …«

      Ein gewisses Maß an Ruhe und die Fähigkeit, den alltäglichen Dingen des Lebens gelassener entgegenzutreten, ihnen nur die notwendige Bedeutung beizumessen. Natürlich auch sehr viel Selbstbewusstsein, etwas Besonderes gemacht, einen Traum in die Tat umgesetzt und sich gegen die anerzogenen Ängste vor der Zukunft gestellt zu haben. Wir waren Gestalter und nicht Passagiere unseres eigenen Schicksals, haben das Wartezimmer Leben verlassen, um es selbst in die sprichwörtliche Hand zu nehmen.

      Trotz aller Eingliederungsprobleme spüren wir eine Zufriedenheit, dem latent gelehrten Bedürfnisaufschub unserer Ankündigungsgesellschaft nicht Folge geleistet zu haben. Schon in jungen Jahren wird uns ja gerne das trügerische Gefühl von Mitentscheidung vermittelt – Ziele werden vorgegeben, die selten die eigenen sind, denen wir unreflektiert, wie der Hase hinter der Karotte, nachhetzen, ohne diese jemals zu erreichen – und eben noch schlimmer, selten hinterfragen, ob sich diese Hetzjagd überhaupt lohnt. Es bleibt aber auch die Sehnsucht nach dem Reisen über die Meere, wodurch wir erfahren durften, dass es auch andere als die scheinbar zwingend vorgegebenen Pfade gibt – quasi der Ruf des Ozeans nach einer anderen Lebensform, die unser Dasein so sehr bereichern kann.

      Wir hoffen, dass wir uns vom monotonen Rhythmus des Montag-bis-Freitag-Denkens mit anschließendem Wochenende abschirmen können, und dass wir mehr Träume haben, als uns die Realität nehmen kann – so wie es Seelenverwandte treffend formuliert haben. Eines Tages brechen wir wieder mit einem Katamaran zu einem Leben auf dem Wasser auf – dieses Boot wird dann erneut unser Mikrokosmos sein …

      Das spannende Buch zu dieser Weltumsegelung »Ruf des Ozeans« (erschienen im Weishaupt Verlag) gibt es bei Amazon oder unter www.sleipnir2.at

       Ein Schweizer Chefarzt berichtet über seine Auszeit in der Mönchsrepublik

       Athos/Griechenland

      Das Sabbatjahr bezeichnet ein in der Tora beschriebenes göttliches Gebot, ein Gesetz zum Schutz der Schöpfung, auch des Schutzes vor Raffgier und menschlicher Schwäche. Es fordert zur Ruhe und zum Innehalten auf – Ermahnungen, die in der heute stark leistungsorientierten Gesellschaft sehr fremd klingen mögen. Für mich persönlich war ein Aufenthalt in der Mönchsrepublik Athos in Griechenland der Höhepunkt meines mehrmonatigen Sabbaticals, das ich vor wenigen Jahren genießen durfte.

      Der heilige Berg Athos ist eine orthodoxe Mönchsrepublik mit autonomem Status unter griechischer Souveränität. Der Zutritt zum Berg Athos ist Frauen grundsätzlich verwehrt. Ein Grund dafür ist wohl der Wunsch der Mönche, von optischen sexuellen Reizen unbeeinflusst zu leben und sich ungestörter Gottesverehrung widmen zu können. Selbst weibliche Tiere sind vom Verbot betroffen, allerdings wiegen gewisse praktische Notwendigkeiten schwerer: Mönche, die Ikonen malen, benötigen für ihre Arbeit frischen Eidotter und dürfen daher als einzige Hühner halten. Außerdem sind Katzen erlaubt, um die mönchischen Siedlungen frei von Mäusen, Ratten und Schlangen zu halten. Männliche, nicht-orthodoxe Besucher benötigen ein Visum, das mehrere Monate im Voraus beantragt werden muss – bewilligt wird in der Regel nur ein Aufenthalt von knapp einer Woche. Ein Aufenthalt in der Mönchsrepublik muss gut geplant und vorbereitet sein.

      Zeit zum Nachdenken

      Zusammen mit drei Weggefährten habe ich mich auf diese Reise vorbereitet. Das Erlebnis war einmalig – vorwiegend zu Fuß haben wir einige der 20 Großklöster, die Teile des UNESCO-Welterbes sind, besucht. Neben unbeschreiblichen Naturerlebnissen haben wir bruchstückhaft miterlebt, was das Leben im orthodoxen Kloster bedeutet. Als Tourist ist man automatisch Gast des Klosters, gleichzeitig aber auch Pilger. Entsprechend darf man im zugeteilten Schlafsaal übernachten und gemeinsam mit den Mönchen, bei gesprochenem Gebet, die eher frugalen Mahlzeiten im Refektorium einnehmen. Zu den meist mehrstündigen Gottesdiensten in den Klöstern ist jeder herzlich eingeladen, allerdings müssen Angehörige nicht-orthodoxen Glaubens im Vorraum der Kirche verharren. Besonders hier hat man viel Zeit zum Nachdenken und Innehalten. Ruhe und Meditation lösen hier das sonst dominierende Effizienz- und Leistungsdenken ab. Gleichzeitig gab mir dieser Aufenthalt mit außergewöhnlichen Erlebnissen auch die Möglichkeit, drei Menschen näher kennenzulernen, die ich vorher eigentlich nur flüchtig kannte. Besonders spannend war für mich auch die Tatsache, dass ich damit Freunde gewonnen habe, die beruflich gar nichts mit der Medizin zu tun haben.

      Athos bildete ganz klar den Höhepunkt meines Sabbaticals – daneben gab es aber auch eine ganze Reihe von weiteren prägenden Erlebnissen, die meine viermonatige Auszeit kennzeichneten. Selbstverständlich habe ich mich auch chirurgisch fortgebildet – ohne diesen direkt greifbaren medizinischen Inhalt wäre mein Sabbatical vonseiten des Verwaltungsrates des Spitals gar nicht bewilligt worden. Im Rahmen von zwei 14-tägigen Gastarzt-Aufenthalten an Spezialkliniken für kolorektale Chirurgie habe ich fachlich viel profitieren können. Daneben habe ich teilweise hautnah miterlebt, wie einerseits KollegInnen und andererseits PatientInnen in andere Gesundheitssysteme eingebettet sind – das National Health Service (NHS) und der Einblick in die Arbeit an einer deutschen Universitätsklinik waren geeignet, sehr kontrastreiche Eindrücke zu vermitteln: Behandlungsqualität, Patientensicherheit und Behandlungsabläufe sowie Hierarchie, Weiterbildungsqualität, Entlohnung und Lebensqualität sind nur ein paar wichtige Parameter, die zum Nachdenken Anlass gegeben haben. Neben fachlichen, organisatorischen und gesundheitspolitischen Inputs vermochten diese Aufenthalte auch immer wieder die im chirurgischen Alltag eines Chefarztes teilweise als sehr anstrengend und mühsam empfundene Probleme etwas zu relativieren. Grundsätzlich banale Erkenntnisse wie »So schlecht geht es uns gar nicht« oder »Die kochen auch nur mit Wasser« wirken äußerst wohltuend.

      Nabelschnur abgeschnitten

      Ich war in der glücklichen Lage, dass für die Dauer meiner Abwesenheit von der Spitaldirektion ein erfahrener (externer) Stellvertreter bewilligt wurde, der dann zusammen mit dem langjährigen Chefarztstellvertreter die Klinik führte. Nach einer einwöchigen Einarbeitungszeit dieses Stellvertreters habe ich das Spital mit einem etwas mulmigen Gefühl verlassen: Es hätte ja noch einige

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