Chef, wir müssen reden. Der Traum vom Ausstieg auf Zeit. Alexander Reeh
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Nach meiner Rückkehr stellte ich erleichtert und erfreut fest, dass tatsächlich alles gut gegangen war. Mein Stellvertreter genoss eine hohe Akzeptanz und war beliebt, ja sogar sehr beliebt. Selbstverständlich musste er als »Außenstehender« nicht so viele vielleicht unangenehme Entscheide fällen oder schwierige Mitarbeitergespräche führen. Sehr bald habe ich realisiert, dass es aber auch andere Dinge gab, die ihm Achtung und Wertschätzung verliehen. Glücklicherweise durfte ich in der Folge während mehrerer Wochen mit ihm zusammenarbeiten, da mein langjähriger chirurgischer Partner und Chefarztstellvertreter ebenfalls die Gelegenheit für eine Auszeit bekommen hatte. Während dieser Zeit kam es teilweise zu angeregten und fruchtbaren Diskussionen, bei denen der befreundete Gast und Kollege nicht selten in der Lage war, mir sozusagen von extern gewisse Dinge zu beleuchten oder gar einen Spiegel betreffend meiner Rolle als Chefarzt vorzuhalten. Hier sei nur ein Beispiel erwähnt: Während ich früher im Schnellzugtempo die Chefarztvisite abspulte und dabei eigentlich am Schluss immer selbst frustriert war, pflege ich diesen Akt heute sehr viel intensiver und bewusster als wichtigen Moment für Teaching und Kommunikation. Gleichzeitig bemühe ich mich vermehrt darum, ein einfühlsamer Ratgeber für PatientInnen und ein Vorbild für MitarbeiterInnen zu sein.
Fazit und Ausblick
Rückblickend hat mir das Sabbatical vor allem eins gegeben, nämlich Zeit – Zeit für die Familie und auch einmal Zeit für mich selbst, Zeit zum Innehalten. Daran muss man sich zuerst gewöhnen – nach jahrelangem ziel- und karriereorientiertem Dauerlauf ist dies nicht ganz einfach. Ruhe und die Halbinsel Athos haben mir dabei geholfen. Ohne Zeit geht nichts – nur sie erlaubt es, sich auch an heiklere Fragen heranzuwagen, wie zum Beispiel: »Was habe ich bis jetzt gemacht oder erreicht« oder »Soll es genauso oder anders weitergehen?« Fast vier Jahre später gibt mir die Realität folgende Antwort: »Das bisher Erreichte ist gut und prinzipiell geht es auf dem gleichen Wege weiter«. In der Zwischenzeit habe ich aber einige Veränderungen des beruflichen und persönlichen Lebensstils vorgenommen und gelegentlich nehme ich mir auch bewusst Zeit für ein »Mini-Sabbatical«.
Aus eigener Erfahrung ist ein Weg aus dem Operationssaal zu den Mönchen dringend empfehlenswert. Ich gehe davon aus, dass der Alltagstramp grundsätzlich für alle Chirurgen weitgehend identisch ist. Den persönlichen Weg aus dem Operationssaal zu einem erfolgreichen Sabbatical muss sich jedoch jeder selbst suchen und gestalten – es lohnt sich!
Prof. Dr. Gian A. Melcher, Swiss Knife, Mitgliedermagazin der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie
Stille Einkehr im Kloster
Ein Erfahrungsbericht von Daniela Scholl, die eine Auszeit Agentur leitet
© Nepomuk Karbacher Bilder.n3po.com
Ich fahre zum ersten Mal in meinem Leben in ein Kloster. Es ist das Kloster der Dominikanerinnen in Rickenbach bei Luzern. Ich nähere mich in abnehmenden Tempo: ab Frankfurt fährt der schnelle ICE nach Basel, ab dort der deutlich langsamere InterRegio nach Sursee und den Rest des Weges lege ich mit dem Postbus zurück, der mich in Rickenbach am Kirchplatz aus seinem gelben Bauch entlässt.
Das Kloster liegt ländlich am Rande des Ortes Rickenbach. Gleich nebenan ist ein Bauernhof mit Milchwirtschaft, so dass das sanfte Glockengebimmel der Kuhglocken mich durch den Tag und die Nacht begleitet.
Das Gebäude selbst ist ein eher nüchterner Bau aus den 80er Jahren und stimmt rein optisch gar nicht mit den Bildern überein, die ich mir von Klöstern mache. Erstaunlicherweise erleichtert diese architektonische Tatsache das Ankommen ungemein: das Kloster ist ein ruhiger, aber sehr lebendiger Ort. Es gibt nicht vor, etwas Besonderes zu sein, sondern besticht durch seine Lebensnähe und seine Alltagstauglichkeit. Das Ankommen ist daher einfach: Ich bin für einige Tage ein herzlich willkommener Gast in familiärer Atmosphäre.
Das Abendessen nehmen alle Gäste gemeinsam an großen Tischen sein. Es gibt ein kleines kaltes Buffet mit leckeren Salaten. Und ich weiß sofort, was ein anderer Gast meint, der sagt: »Hier würde es auffallen, wenn jemand nicht zum Essen kommt«. Ich bin Teil einer Gemeinschaft. Es ist nicht aufdringlich, ich habe meine Freiheit, aber es tut mir gut, dass es einen Unterschied macht, ob ich da bin oder nicht. Im Kloster Rickenbach gibt es tägliche Angebote für Gäste und zusätzlich ein festes Programmangebot, welche durch zwei Seelsorger liebevoll erstellt und durchgeführt werden. Ich nehme gleich nach dem Frühstück an einer Stunde Körperarbeit teil. Bei der Eutonie geht es um Körperwahrnehmung und Dasein im Hier und Jetzt, und ich erlebe die Dreiviertelstunde des Einfühlens in mich selbst als sehr wohltuend. Ich will gar nicht mehr aufstehen, sondern (gefühlt) tief eingesunken im flauschigen Teppich verweilen. Danach besteht die Möglichkeit, an einer Meditation teilzunehmen. Ich bin kein besonders gläubiger Mensch und verspüre anfangs eine gewisse Abneigung gegen den Impuls aus dem Buch Jesaja: »Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen« und dem Thema dieser Meditation: »Wer bin ich?«. Doch dann passiert etwas mit mir, das ich gar nicht erwartet habe: während der Kopf noch denkt, dass dieses Angebot vielleicht nicht so zu mir passt, hat ein zweiter Gedankengang angefangen, sich zu entwickeln. »Wie nennen mich die Menschen, welchen Namen geben sie mir?« Und ich merke nicht, wie die Zeit verstreicht, bin voll und ganz gefangen von meinem Gedanken und mentalen Aufzählungen der Namen, die ich von anderen bekomme. Wer bin ich? Vielleicht ist es an der Zeit, darüber tiefer nachzudenken, denn ich habe keine passende Antwort parat, nur Bruchstücke.
Das Mittagessen findet wieder mit allen Gästen statt. Es werden dampfende Schüsseln auf den Tisch gestellt, aus welchen sich alle bedienen. Ganz nach Belieben. Schwester Maria wirbelt wie bei jeder Mahlzeit durch den Raum und spricht mit den Gästen. Sie bietet jedem Gast nach dem Mittagessen einen Kaffee an: »Da legen wir Wert drauf«. Es ist einfach schön, hier zu sein.
Nachmittags habe ich Gelegenheit zum Gespräch mit den beiden Seelsorgern. Gespräche spielen eine wichtige Rolle, wenn Menschen sich mit dem eigenen Ich beschäftigen. Seelsorge als Fürsorge für die Seele, für die eigenen Bedürfnisse. Die beiden Seelsorger im Kloster leben im tiefen Glauben, dass alles seinen Platz hat, alles gut ist, wie es ist. Ich empfinde dieses offene »willkommen Sein« als sehr wohltuend und befreiend. »Ich darf sein, wie ich bin. Und das ist gut so«. Erkenntnis des Tages: Toleranz ist oft dort, wo ich sie nicht erwarte. Erschöpft von den neuen Eindrücken schlafe ich abends zum Geläute der Kuhglocken schnell ein.
Am nächsten Morgen wird meditativer Tanz angeboten. Ich bin eher skeptisch, ob ich mich mit dieser ganzheitlichsten Form des Betens identifizieren kann. Aber Versuch macht klug, und so stehe ich nach dem Frühstück im Aufenthaltsraum und bin gespannt, was mich erwartet. Der Tanz startet mit einer indianischen Weise und zieht mich sofort in seinen Bann. Zu den fremden Klängen brauchen wir uns nur wenige ganz natürliche Schritte und Bewegungen zu merken, wir fließen mit im natürlichen Rhythmus der Musik. Oder ist es mein eigener Rhythmus, der sich mir als ganz natürlich darstellt? Die nachfolgenden Lieder sind quer Beet aus der Populärmusik, anderen Religionen und Kulturen entliehen. Der Zugang dazu fällt mir deutlich schwerer. Die Erkenntnis der Stunde: mein eigener Rhythmus ist der indianischen Weise am nächsten. Und wieder die Frage: Wie bin ich?
Passend dazu gehe ich zur nächsten Meditation, diesmal mit dem Impuls »Gott gibt den Erschöpften Kraft und den Kraftlosen Stärke« und dem Thema »ich bin müde«. Wieder verspüre ich einen inneren Widerstand. Doch dann zeigt der Seelsorger ein Bild mit einem Säckchen Kartoffeln. Und die Gedanken beginnen zu wirbeln, zu toben. Jeder