Chef, wir müssen reden. Der Traum vom Ausstieg auf Zeit. Alexander Reeh
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Lara Sanders sitzt auf dem Sofa, neben ihr liegt eine rote Kladde, auf der »To do list« steht, darin 75 Punkte, einer ist: »Scheidung in die Wege leiten«. Ein anderer mit Ausrufezeichen: »US-Visum beantragen«. Deutschland ist ihr fremd geworden, »kein Platz für Träume hier«, die Wolken zu schwer, die Menschen so ernst. Es ist Zeit für einen Schnitt. Ihre Geschichte geht weiter.
Michael Streck, Stern
Eine Auszeit, die alles veränderte . . .
Dr. Elisabeth Karamat, eine erfolgreiche Karrierediplomatin bei der Europäischen Union in Brüssel, ist von ihrem Berufsalltag müde und ausgebrannt. Eineinhalb Jahre nach einem Urlaub auf der idyllischen Karibikinsel St. Kitts, lässt sie sich vom diplomatischen Dienst beurlauben und beschließt für einige Zeit auf dieser Insel zu leben. Die faszinierende Geschichte einer starken und mutigen Frau.
Glück, das ist heute für mich ein stiller Moment. Ein Moment, in dem ich die wärmende Sonne auf der Haut spüre, wenn ich auf der Farm arbeite oder die würzige Brise des Meeres einatme, und mich in den Armen von Kwando, meinem Lebensgefährten, geborgen fühle. Karriere, Geld, Erfolg – all das hat für mich nichts mehr mit Glück zu tun. Das habe ich hinter mir gelassen.
Mein altes Leben spielte in Brüssel. Ich arbeitete als Diplomatin an der österreichischen Botschaft, hielt Vorträge, betreute politische Dossiers der Europäischen Union und war viel unterwegs. Ständig stand ich unter Strom. Da war die Verantwortung für meine drei Kinder, – das Jüngste war 16 – die mich und meinen geschiedenen Mann noch brauchten. Da war der Leistungsdruck meiner Arbeit, die Einsamkeit eines Lebens aus dem Koffer. Mein Körper reagierte mit zwei Bandscheibenvorfällen und Schmerzen. Meine Reaktion war: Weitermachen und Leistung bringen. Sobald ich eine Minute Luft hatte, wenn die Kinder bei ihrem Vater waren, schrieb ich an meiner Doktorarbeit. Irgendwann meldeten sich meine Gefühle: Ich war ausgebrannt, erschöpft und traurig. Ich sehnte mich nach Ruhe und Natur. Nur noch raus aus diesem Laufrad. Nur wie das gehen sollte, das wusste ich nicht. Ich versuchte es mit Sitzungen bei einem Psychotherapeuten – wirklich geholfen hat es mir nicht.
Der Impuls, meinem Leben eine neue Richtung zu geben, kam unerwartet von ganz anderer Seite. Vor sechs Jahren lud mich eine Kollegin zum Urlaub in ihre Heimat St. Kitts in der Karibik ein. Ich lernte die Insel und ihre freundlichen Menschen kennen und schätzen. Auch das milde Klima tat mir gut. Ich blühte regelrecht auf und fühlte seit langer Zeit keinen Druck auf meinen Schultern. Doch niemals hätte ich es für möglich gehalten, hier später auch meine große Liebe zu finden: Kwando Harvey, Farmer, Imker und spiritueller Heiler aus St. Kitts. Das erste Mal nahm ich ihn damals bei meinem ersten Besuch an einer Bushaltestelle wahr. Er, der als junger Mann bei einem Motorradunfall ein Bein verloren hatte, lehnte kerzengerade mit Krücken an einer Bretterbude. Ich spürte quer über den Platz seinen Blick auf mir ruhen. Und nahm eine seltsame Kraft wahr. Ich konnte sie nicht beschreiben, sie blieb mir aber in Erinnerung. Kurz darauf musste ich zurück nach Brüssel. Ich weinte, als das Flugzeug abhob. Wie gern wäre ich länger auf dieser Insel geblieben. Es wäre genau das, was ich brauchte.
Wieder heimgekehrt, zehrte ich von meinen schönen Erinnerungen. Nach einigen Monaten meldete sich ein Pfarrer, den ich in der Karibik kennengelernt hatte. Überraschend bot er mir eine Stelle in einem Landwirtschaftsprojekt an, das ich begleiten sollte. Ohne zu zögern sagte ich zu, obwohl ich bis dato von Ackerbau kaum Ahnung hatte. Aber ich spürte, dass dieses Angebot eine Chance für etwas Neues sein könnte. Vielleicht war das mein Rettungsanker. Ich suchte nach Möglichkeiten nach St. Kitts für das Projekt entsandt zu werden. Eineinhalb Jahre später war es soweit, die Wiener Erzdiözese und die österreichische Organisation Horizont 3000 waren bereit, mich als Entwicklungshelferin für zwei Jahre zu finanzieren und so ließ ich mich vom diplomatischen Dienst beurlauben.
Ich spürte Widerstand gegen meinen Neustart auf der Karibikinsel St. Kitts. Freunde und Familie meinten damals, meine Sicherheit so aufzugeben sei fahrlässig. Heute, fünf Jahre später, reden die meisten nicht mehr so überzeugt von Sicherheit angesichts der Finanzkrise in Europa. Meine Kinder waren damals zwar schon erwachsen, so erwachsen wie man mit 18, 20 und 22 Jahren sein kann. Aber zum ersten Mal blieb ihre Mami richtig weit weg von ihnen. Sie hatten Angst, dass ich sie im Stich lasse. Doch ich wusste, sie würden auf eigenen Beinen stehen können. Ich musste mein Leben in die Hand nehmen. Für mich um zu heilen.
Was ich völlig unterschätzt hatte, war die körperliche Herausforderung bei dem Landwirtschaftsprojekt, das ich gemeinsam mit der Regierung von St. Kitts und der Kirche organisierte, damit jugendliche Arbeitslose von Experten geschult würden, um eine Perspektive für ihr eigenes Leben zu bekommen. Die Menschen waren freundlich, doch allmählich verstand ich ihre Sorgen und die bitteren Konsequenzen der Armut in ihrem Leben. Tropische Temperaturen und die ungewohnt harte Arbeit auf dem Feld setzten mir zu. Stundenlang pflanzte ich bei sengender Hitze Stecklinge. Aufgeben kam mir nicht in den Sinn. Ich biss die Zähne zusammen, machte Pausen, trank Wasser, aß Salziges. Ich sah es als Fitnesstraining und lernte dabei viel über tropische Landwirtschaft.
Eines Tages traf ich Kwando wieder. Im Bus war der einzige freie Platz neben ihm. Wir kamen ins Gespräch, er bot an, mich zu besuchen, brachte mir Honig in einer alten Rumflasche, half mir mit dem Projekt. Ich war fasziniert von seiner Andersartigkeit. Seiner Intelligenz. Seinem ehrlichen Interesse an mir. Da begegneten sich zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Ich, die verkopfte Karrierefrau. Und er, den sie auf der Insel nur den »Honigmann« nennen, weil er als Imker arbeitet und die Nester wilder Bienen umsiedelt. Er vertraute mir, der Frau aus einer anderen Welt, sprach über seinen Glauben und seine spirituellen Erfahrungen mit mir. Stellt mich seiner Mutter vor. Wollte alles mit mir teilen, was er besaß. Er nahm sich sogar vor, mir eine Kuh zu schenken, wenn er einmal genug Geld habe. So eine Großzügigkeit hatte ich vorher noch nicht erlebt. Doch sein Bedürfnis nach Nähe überforderte mich, die aus einer kalten einsamen Welt kam. So begann ich zu schreiben. Ich musste unsere Liebesgeschichte niederschreiben, um zu begreifen, dass Kwando und ich trotz aller Gegensätze uns wie durch ein unsichtbares Band miteinander
verbunden fühlten. Kwando musste erst lernen, dass ich ihn liebe, auch wenn ich nicht rund um die Uhr bei ihm sein konnte. Ebenso lernte ich von ihm, mich wieder zu öffnen und meine weiche Seite zuzulassen. Das Schreiben half mir tatsächlich, unsere Beziehung zu verstehen, bis ich soweit war, meinen autobiografischen Roman »Honigmann« zu publizieren, um anderen Menschen Mut zur Veränderung und Hoffnung in die Liebe zu geben.
Kwando, der Honigmann und ich sind aus unseren Krisen gewachsen. Seit zwei Jahren führen wir gemeinsam ein Projekt auf seiner Farm. Auf der Insel herrscht eine Affenplage. An die 100.000 Grünmeerkatzen zerstören jede essbare Ernte. Während ausländische und lokale Experten nach Wegen suchen, die Affen zu dezimieren, bauen Kwando und ich in unserem Projekt experimentell Nutzpflanzen an, die die Affen in Ruhe lassen. Kwando will keinem Tier auf seinem Farmgrund schaden, denn als Rasta und Vegetarier hat er eine besondere Beziehung zu Tieren. Schließlich nennen sie ihn ja auf der Insel den Honigmann, weil er so gut mit Bienen umgehen kann. Mit der Hilfe internationaler Freiwilliger, die sich bei uns melden, binden wir einheimische Farmer und Jugendliche in die Arbeit ein, damit sie später einmal die Farmen ihrer Eltern übernehmen können. Heilpflanzen,