Am Tag, als Walter Ulbricht starb. Jan Eik

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Am Tag, als Walter Ulbricht starb - Jan Eik

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style="font-size:15px;">      Verbissen schüttelte Rudi den Kopf. «Dafür sind wir hier im Kreis nicht zuständig.» Er schwieg, als hätte er schon zu viel verraten. Der Gedanke an die nördlichen Nachbarn Dänemark und Schweden versetzte ihm jedes Mal einen Stich. Vor fünf Jahren hatte man ihn auf einem Torpedoschnellboot eingesetzt, einem sogenannten Holzpantoffel, weil der metallbezogene Rumpf eben nur aus Holz bestand. Obwohl an Bord kaum jemand mit ihm sprach, fand er den Verdacht bestätigt, dass ein paar von der Mannschaft heimliche Fluchtpläne schmiedeten. Daraufhin waren diese verhaftet und die ganze Truppe vom einen Tag auf den anderen ausgewechselt worden. Ihn selber hatte Monate später jemand, dessen Identität nie festgestellt wurde, nach einem Kneipenbesuch mordsmäßig verdroschen. Dabei hätten die Kameraden eigentlich heilfroh sein müssen, rechtzeitig von dem Kahn runtergekommen zu sein. Als der neue Kommandant, ein besonders scharfer Hund, während der kritischen Augusttage 1968 den Hinweis bekam, aus Lübeck laufe eine größere Nato-Fregatte aus, beschloss er, mit seiner ausgewählten neuen Mannschaft den Weltfrieden und den Sozialismus im Bruderland CˇSSR durch persönlichen Einsatz zu retten und dem Aggressor mit dem torpedobewehrten Holzpantoffel aufzulauern. In nebelverhangener Nacht bemerkte niemand auf der fahrplanmäßigen Schwedenfähre – denn um die handelte es sich bei der angekündigten feindlichen Fregatte – die Kollision. Mit Mann und Maus versank das Torpedoschnellboot 844 in den Fluten der Ostsee.

      «Smuke pike elske dei», sagte Paul in seine trüben Gedanken hinein.

      Rudi sah ihn verständnislos an.

      «Das ist Dänisch», erklärte Paul, «und heißt: Ich liebe dich.»

      Nun war Rudi vollends verwirrt. «Ich wusste gar nicht, dass du Dänisch sprichst.»

      «Ich auch nicht», brummte Paul. Mein Gott, manchmal war der Kerl wirklich schwer von Begriff. Und immer so steif und ernst. Mit dem Vorgänger hatte er sich besser verstanden. Manchmal hatten sie sogar zusammen gelacht. Immerhin schien Rudi heute ein wenig zugänglicher als sonst. Deshalb wagte Paul zu fragen: «Haben’s wieder welche versucht?»

      Diesmal verstand Rudi sofort, was er meinte, und blickte ihn prüfend an. «Ein Ehepaar aus der Nähe von Berlin», sagte er, ohne den Mund wirklich zu öffnen. «Katholiken, wie es heißt.»

      Paul hätte gerne gewusst, ob sie es geschafft hatten. Wahrscheinlich nicht, sonst hätte Rudi sie gar nicht erwähnt.

      «Du kannst dich auf mich verlassen», sagte Paul. «Ich pass schon auf!»

      «Na hoffentlich! Und wenn eine besondere Lage eintreten sollte, weißt du ja, wie du uns erreichst.»

      Das war der Schluss des Gesprächs.

      Paul hätte gerne noch einen Kognak getrunken. Er hob einen Finger, um die Kellnerin aufmerksam zu machen, und sagte: «Genau darüber müssten wir noch mal ausführlich reden.»

      Rudi nickte. «Passt gut. Wir treffen uns beim nächsten Mal dort.» Er schob Paul einen Zettel mit einer Adresse hin.

      Das war nun gar nicht in Pauls Sinn. Er kannte das schon. Irgendeine fremde Wohnung, wo ihn die Leute auf der Treppe misstrauisch musterten, und drinnen dann Rudi mit lauwarmem Kaffee und staubtrockenen Keksen. «Nee, nee, ich kann dir das auch hier sagen. Ich finde nämlich, wenn wirklich mal was sein sollte, ist das viel zu umständlich, euch zu erreichen.»

      Rudi wollte nicht verstehen. «Du gehst ins Ferienheim und sagst, du musst mit deinem Arzt sprechen – weiter nichts.»

      «Na eben. Das glaubt der Jahnke mir nicht mehr. Das ist ein ganz misstrauischer Hund. Ich wähl für dich, sagt der. Und dann?» Jahnke war der Heimleiter, und Paul wurde den Verdacht nicht los, dass der ihm misstraute.

      Rudi dachte nach. «Was schlägst du vor?», fragte er schließlich.

      Paul hob die breiten Schultern. «Keine Ahnung. Wäre eben besser, wenn ich selber so ’ne Quasselstrippe hätte.» Zum ersten Mal zuckte so etwas wie ein Lächeln um Rudis verkniffenen Mund. «Davon träumen ganz andere als du», sagte er. «Wäre auch gegen die Konspiration. Wie willst du erklären, dass ausgerechnet du plötzlich ein Telefon kriegst?»

      Das klang einleuchtend. «Telefone soll’s jetzt auch über Genex geben», wandte Paul dennoch ein. «Vielleicht wäre das ’ne Möglichkeit als Begründung. Könnte ja irgendwelche Westverwandtschaft spendiert haben …»

      Westverwandtschaft zu erwähnen war natürlich dämlich. Sofort meldete sich das Unbehagen wieder, das ihm die Postkarte eingeflößt hatte, die vor ein paar Tagen eingetroffen war. Von seinem alten Obermaat auf dem Zerstörer Albatross. Würde gerne mal zwei, drei Wochen Urlaub bei dir machen, schrieb der. Soll ja jetzt alles ganz einfach gehen …. Der hatte vielleicht Ahnung, da drüben in seinem Kaff irgendwo im Oldenburgischen!

      Rudi wirkte tatsächlich wie elektrisiert, aber aus einem anderen Grund. «Woher stammt dieses Genex-Gerücht?», wollte er wissen.

      Paul merkte, dass er mit der Erwähnung des West-Geschenkdienstes für Ostdeutsche einen Fehler gemacht hatte. «Muss irgendein Urlauber erzählt haben», sagte er matt.

      «Wer?»

      Wieder hob Paul hilflos die Schultern. «Kann mich wirklich nicht erinnern. Da sitzen abends manchmal zehn, zwölf Leute beieinander, und jeder sagt was, und alle reden durcheinander. Und getrunken wird auch was …» Er sah schuldbewusst auf den Kognak, den ihm die Serviererin hingestellt hatte.

      «Aber so etwas darf man nicht einfach auf sich beruhen lassen», sagte Rudi eindringlich. «Dem Ursprung solcher Gerüchte muss man nachgehen bis an die Wurzel. Mit derartigen Lügen versucht der Gegner uns zu schaden.»

      «Wär’s da nicht einfacher, man zieht ’n paar Strippen mehr, und alle Leute hätten Telefon?», sagte Paul treuherzig. «Da stünde der Gegner schön da …»

      Rudi zog die Stirn kraus und schüttelte den Kopf.

      «Du hast Ideen!», sagte er, bevor er sich der Serviererin zudrehte, die unter den argwöhnischen Blicken einer Traube Wartender missmutig den Nebentisch abräumte. «Mir auch noch ’n Kognak!»

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