Wo der Hund begraben liegt. Beate Vera

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Wo der Hund begraben liegt - Beate Vera

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einer der jüngsten Mitarbeiter war er knapp ein Jahr später an den Bauvorhaben am Potsdamer Platz beteiligt.

      Marks Großmutter Elisabeth war eine resolute und pragmatische Frau, die die ersten Zeichen ihrer beginnenden Krebserkrankung sofort richtig einschätzte. So überschrieb sie Mark das Haus und richtete ihm sämtliche Vollmachten ein. Sie sprach ausführlich mit ihm über ihre Wünsche und versicherte ihm, dass er sich keine Sorgen um sie zu machen brauchte. Elisabeth war über siebzig, hatte ein erfülltes Leben geführt, von dem sie nur die wenigsten Dinge bereute, und sah dem Tod gelassen entgegen. Als es ihr langsam schlechterging, kündigte Mark seinen Job entgegen allen Warnungen seiner Kollegen und Freunde und pflegte Elisabeth. Zunächst alleine, später mit der Unterstützung zweier Pflegerinnen. Er hielt Elisabeths Hand, als sie starb.

      Nach ihrer Beerdigung buchte er einen Flug nach Glasgow, packte seinen Trekkingrucksack und begann eine lange Wanderung durch das Schottische Hochland. Lea begegnete ihm bei Duncansby Heads, vor den Stacks, der spektakulären Felsformation im Norden des Landes. Bereits ein Jahr nach ihrem ersten Treffen kam ihr Sohn Duncan in Berlin zur Welt. In den folgenden Jahren bauten sie das Haus aus, in dem Elisabeth bis zu ihrem Tod gelebt hatte, gestalteten den großen Anbau und legten den Garten ganz neu an.

      Mark hatte seinen Tod genauso ordentlich geregelt wie seine Großmutter den ihren. Und Lea hatte ihm versprechen müssen, nicht öfter als einmal im Monat auf den Friedhof zu gehen. Sie sollte nach vorne blicken und ihr Leben neu gestalten. Bislang war ihr das noch nicht gut gelungen.

      Mark wurde verbrannt und seine Asche in einem Urnengrab auf dem nächstgelegenen Friedhof beigesetzt. Heute tauschte Lea die Lavendelpflanze in dem Topf vor seinem Grabstein aus und steckte die alte in eine kleine Plastiktüte, die sie aus ihrer Vintage Schultertasche zog. Sie setzte die alten Lavendelpflanzen alle zwei Monate in eine Ecke ihres Gartens, diese würde die siebente sein. Bis jetzt war keine eingegangen, auch die nicht, die sie im Winter in den gefrorenen Boden gepflanzt und mit warmem Wasser gegossen hatte.

      Nachdem Lea die alte Pflanze eingepackt hatte, zog sie einen silbernen Flachmann aus ihrer Tasche und hob ihn wie zum Toast in die Höhe. »Rum Cask, unser ewiger Favorit. Ich denke, die Flasche schaffe ich heute. Die zu Hause, du Schaf, nicht den Winzling in meiner Hand! Den mache ich hier alle. Es ist genauso mies wie im letzten Monat, nur kann ich inzwischen so gar nicht mehr schlafen. Letzte Nacht habe ich Hantschke gefunden, tot, auf dem Mauerweg. Mit ’ner toten prossie an seiner Seite. Nee, glaubste nicht, is klar. Die Polizei hat meine Nikes mitgenommen, so ein Scheiß! Hoffentlich laufe ich mir in dem Ersatzpaar keine Blase. Slainte, my heart!” Sie nahm einen zweiten Schluck und fluchte dem unglaublichen Abgang nach. »Holy pirate rum influence!«

      Sie hatten beide so gelacht, als sie diese Beschreibung des Whiskybouquets auf einer Website entdeckt hatten. Mark hatte da gerade seine erste Chemo hinter sich gehabt, keine Haare mehr und sich grauenvoll gefühlt. Sie hatten beide im Bett gelegen, es war ein Sonntagmorgen gewesen, Lea hatte den Laptop auf ihren Knien gehabt und ihm die Neuigkeiten auf der Balvenie Website vorgelesen. Durch Zufall war sie danach auf die amerikanische Seite gestoßen. Sie hatte die Flasche geholt und ihn daran riechen lassen, danach hatten beide einen Schluck davon getrunken. Es war der letzte Whisky gewesen, den Mark hatte schmecken können.

      Lea steckte den leeren Flachmann zurück in ihre Tasche, als sie Frau Wieland auf sich zukommen sah. Frau Wieland ging seit vierzig Jahren zweimal in der Woche zum Grab ihrer Tochter, die kurz nach ihrem vierten Geburtstag an einer Hirnhautentzündung gestorben war. Tragisch, dachte Lea, und dann im direkten Nachgang: Ja, super, schau dich mal selbst an!

      Frau Wieland war noch sehr gut zu Fuß, fiel Lea auf. Sie musste doch schon an die siebzig sein. Sah man ihr jedenfalls nicht an. Die alte Dame stand vor ihr und schaute auf Marks schlicht gehaltene Grabstelle. Die Fläche von einem Quadratmeter war mit dem hellen Sandstein gepflastert, der auch vor ihrem Haus lag. Darauf stand der steinerne Topf, der die Lavendelpflanzen hielt. Der Grabstein war ein kleiner graublauer Findling, der erste, den sie beide vom Mauerweg für ihren Garten mitgenommen hatten. In den Stein war gemeißelt: Mark Storm. 1964 – 2011. Na mo chrìdhe daonnan. Gälisch für »Immer in meinem Herzen«.

      »Lavendel. Wunderschön, Frau Storm! Es ist heute ein Jahr her, oder irre ich mich?«

      »Nein, Frau Wieland, Sie irren sich nicht. Es ist genau ein Jahr.«

      »Ihnen geht es nicht gut, nicht wahr?«

      »Nein, gar nicht gut. Ich kann nicht schlafen.«

      »So ging es mir auch am Anfang. Es wird besser, meine Liebe, es wird besser. Kommen Sie, lassen Sie uns was essen gehen, heute sollten Sie nicht alleine sein!«

      Lea wollte zunächst ablehnen, aber sie war tatsächlich hungrig, und Frau Wieland war ihr sympathisch, auch wenn sie sie nicht so oft traf. Vielleicht mochte sie die alte Dame genau deswegen.

      »Gleich um die Ecke ist ein thailändisches Restaurant, das ist neu und richtig gut. Mögen Sie die thailändische Küche, Frau Wieland?«

      »Ich habe keine Ahnung, mal sehen. Sie können mir sicher etwas empfehlen.«

      Das neueröffnete Restaurant war überraschend gut besucht für einen Donnerstagnachmittag. Aber es hatte sich wohl schnell herumgesprochen, dass das Essen im »Thai by Thai« exzellent war. Sie nahmen einen Tisch im hinteren Bereich des Restaurants, Frau Wieland bestellte sich einen halben Liter Weißen Burgunder, Lea ein Mineralwasser.

      »Was mögen Sie denn, Frau Wieland? Huhn, Rind, Schwein oder Ente? Oder sind Sie Vegetarierin?«

      Frau Wieland lächelte. »Ach, Ente klingt interessant. Hab ich lange nicht gegessen.«

      »Wie scharf darf es denn sein? Es gibt mild, scharf und höllisch.«

      »Scharf, aber so, dass ich die Ente noch schmecke, bitte.«

      Lea bestellte Frühlingsrollen für sie beide, Ped Pat Kimao – Ente in Austernsauce – für Frau Wieland, das sie für sie ein wenig milder zubereiten ließ, und Chu Chee Pha – kross gebratene Dorade in rotem cremigem Curry mit Chili und Thai-Basilikum – für sich selbst.

      »Haben Sie noch die schönen Disteln vor Ihrem Haus, Frau Storm?«

      »Sagen sie doch bitte Lea, Frau Wieland. Die Disteln blühen ganz phantastisch dieses Jahr, die lieben es direkt an der Hauswand. Kommen Sie doch einfach mal vorbei! Wenn Sie mögen, gebe ich Ihnen meine Telefonnummer, dann können Sie vorher kurz anrufen, damit ich auch zu Hause bin.«

      »Das ist eine nette Einladung, die nehme ich gerne an. Stellen Sie sich vor, der Kretin vor mir hat letzte Woche seinen Hund schon wieder in mein Beet gelassen. Glaubt man das?«

      »Sie wohnen doch hinter dem Hantschke.«

      »Ja, blau wie nichts war der am frühen Nachmittag, hing halb über dem Gartenzaun, und als ich ihn bat, seinen Hund und dessen Hinterlassenschaft aus meinem Beet zu entfernen, schimpfte er los, dass er sowieso bald viel Geld haben und dann ›diesen Slum‹ verlassen würde, und danach brüllte er noch lauter unflätiges Zeug. Unmöglich, der Mann! Ich bin erst einmal wieder ins Haus gegangen und hab den Dreck später in seinen Garten geschippt. Hoffentlich ist er reingetreten!«

      Frau Wieland kicherte und schenkte sich Wein nach. Als sie Leas ernstes Gesicht sah, fragte sie: »Was ist denn los? Sie sind ja richtig blass geworden, Kindchen.«

      »Frau Wieland, der Hantschke ist tot. Ich hab ihn gestern Nacht auf dem Mauerweg gefunden.«

      Jetzt wurde Frau Wieland ein wenig blass. »O Gott,

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