Wenn alle Stricke reißen. Beate Vera
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Читать онлайн книгу Wenn alle Stricke reißen - Beate Vera страница 11
Glander nickte. Er erkannte Granit, wenn er darauf biss. »Professor Berthold, gab es Probleme mit Tara? Hatten Sie öfter Streit? Mädchen in dem Alter können ja ganz schön schwierig sein.«
Berthold dachte nicht im Traum daran, die Brücke zu betreten, die Glander ihm gebaut hatte. »Tara ist nicht wie andere Mädchen in ihrem Alter. Sie ist klug und fokussiert. Sie wird ein ausgezeichnetes Abitur machen und etwas Ordentliches studieren.«
»Was ist mit ihrer Liebe zum Tennis?«
»Was soll damit sein? Das Tennisspiel ist ein Hobby, mehr nicht. Wenn sie studiert, wird sie zwangsläufig damit aufhören. Ich sagte ja bereits, sie ist sehr fokussiert.«
Papa saß bei Taras Turnieren mit Sicherheit nicht in der ersten Reihe. Glanders Eindruck stimmte bislang mit Louise Schneiders Beschreibung ihres Vermieters vollkommen überein. »Professor Berthold, können Sie mir etwas über Ihre Nachbarn erzählen?«
Dem Mann gelang es tatsächlich, seine unsympathische Art noch zu steigern. »Was sollen unsere Nachbarn damit zu tun haben? Meinen Sie etwa, einer von denen versteckt Tara in seinem Schlafzimmerschrank?«
»Ich meine gar nichts, ich möchte mir nur einen Eindruck von Taras Umfeld verschaffen, und dazu gehören die Mitbewohner dieses Hauses. Louise und ihren Vater habe ich bereits kennengelernt.«
»Ein schönes Paar, finden Sie nicht?«, erwiderte Berthold abschätzig. »Die beiden wohnen seit neun Jahren im Souterrain. Sie kommen aus dem Wedding.« Berthold sah aus, als wische er sich gerade Dreck von der Schuhsohle.
Glander musste sich jetzt größte Mühe geben, sich seine Aversion gegen diesen überheblichen Mann nicht anmerken zu lassen.
Der Professor fuhr fort: »Die Mutter war schwere Alkoholikerin und starb an den Folgen von zu viel schlechtem Fusel. Schneider wollte einen Neuanfang für Louise, eine Verbesserung des Umfelds, wenn Sie so wollen. Das war auch dringend nötig. Louise war eine echte Rotzgöre. Ich war nicht angetan von ihr, als sich ihr Vater und sie hier vorstellten. Tara hat aber so lange gequengelt, bis ich nachgab und den beiden die Wohnung vermietete. Seitdem sind Tara und Louise unzertrennlich. Tara hängt ständig bei den Schneiders herum.«
»Was macht Herr Schneider beruflich?«
»Er fährt Taxi. In grauer Vorzeit hat er Philosophie studiert, was ihn sicherlich bestens auf seine jetzige Tätigkeit vorbereitet hat.« Berthold schüttelte den Kopf und sah Glander mit zusammengekniffenen Lippen an. »Es ist mir ein Rätsel, warum Menschen so weltfremdes Zeug studieren und sich dann wundern, dass ihre unnütze Weisheit nicht gefragt ist. Aber Taxis müssen ja auch gefahren werden.«
»Das können Sie bestimmt besser beurteilen als ich«, konnte sich Glander nicht verkneifen zu erwidern. »Wer wohnt noch im Haus?«
»Die Obentrauts, ein älteres Ehepaar, beide in Rente. Sie haben die Wohnung im Souterrain gegenüber den Schneiders und wegen der Behinderung von Frau Obentraut einen eigenen Eingang ohne Treppen. Frau Obentraut ist todkrank. Ich kenne Herrn Obentraut aus unserem Corps, weshalb ich ihm und seiner Frau ein wenig unter die Arme greife. Wir selbst bewohnen dieses Stockwerk und das darüber. Ganz oben sind die Gruhner – Sekretärin bei BMW oben in Moabit, arbeitet viel, ist selten hier, verdient extrem gut für eine Tippse – und der Lemke, Lehrer für Deutsch und Geschichte am Albrecht-Berblinger-Gymnasium hier in Lichterfelde. Tara hat bei ihm Deutschleistungskurs. Ein guter Mann, ich kenne ihn wie Herrn Obentraut aus der Prudentia, der schlagenden Verbindung der Uni Heidelberg. Er hat Kultur und ist eine echte Bereicherung für das Haus.«
Glander war weit davon entfernt, sich von dem zur Schau gestellten Snobismus des Chirurgen beeindrucken zu lassen. Menschen wie Berthold lebten in ihrer eigenen Welt, die von Statusgehabe, Geld und dem Umgang mit Gleichgesinnten bestimmt war. Die Realität gewöhnlicher Menschen konnten sie gar nicht mehr beurteilen, maßten sich aber stets eine Meinung darüber an. Glander beschloss, dem Professor ein wenig den Tag zu versauen. »Doktor Berthold, Ihre Frau hat mir von Ihrem, sagen wir mal, eher unterkühlten Verhältnis zueinander erzählt. Warum lassen Sie sich nicht scheiden?«
Berthold schwieg und blickte durch das große Fenster hinaus in den Garten. Schwere, dunkle Wolken hingen drohend am Himmel, und die Baumwipfel bogen sich in dem starken Wind, der aufgekommen war. Der Professor wandte sich wieder Glander zu. »Herr Glander, wissen Sie, was ich wert bin? Ich leite seit fast zwanzig Jahren als Chefarzt die Neurochirurgie, ich bin ein international begehrter Redner und Dozent. Letzte Woche war ich in Shanghai, um eine komplizierte Operation durchzuführen. Meine Eltern waren wohlhabende Leute, und ich habe unser Vermögen stetig vermehrt. Seit jeher gehört meiner Familie dieses Haus, ich bin hier aufgewachsen. Außerdem besitze ich weitere Mietshäuser in der ganzen Stadt. Maria lebte mit ihrer Familie in einem Slum in Manila, bevor ihre große Schwester als Katalogbraut nach Deutschland kam und ihre zwölf Jahre jüngere Schwester kurz darauf nachholte. Marias Schwager ermöglichte ihr eine Ausbildung an der Hanns-Eisler-Schule, sie erlernte dort das Cellospiel. Als ich sie auf einem Konzert kennenlernte, verlor ich meinen Verstand vor Lust und Liebe. Sie hätten sie hören müssen! Wir heirateten an ihrem achtzehnten Geburtstag. Einen Ehevertrag haben wir nicht, und ich bin nicht gewillt, ihr die Hälfte meines Vermögens zu überlassen – dafür, dass sie mich so hintergangen und der Lächerlichkeit preisgegeben hat.«
»Kümmert es Sie gar nicht, dass Tara in solch unterkühlten Verhältnissen aufwachsen muss?«
Berthold schnaubte verächtlich. »Ach, kommen Sie mir doch nicht so, Glander! Tara ist Marias Kind. Ich gebe beiden ein Dach über dem Kopf und ausreichend Spielgeld für Hobbys und sonstige Freizeitaktivitäten. Im Gegenzug ist Maria die schöne Frau an meiner Seite und Tara die hochbegabte Tochter, die das Bild abrundet. Es ist ein Arrangement, mit dem alle sehr zufrieden sein können.«
Glander fand das eher deprimierend. Auch wenn immer zwei zum Tangotanzen gehörten, wie Lea es ausdrückte. »Herr Berthold, haben Sie Affären mit anderen Frauen?«
»Das geht Sie überhaupt nichts an, Herr Glander!«
»Sie irren sich. Eine unzufriedene Geliebte, die auf eine Heirat spekuliert, würde ich ziemlich weit oben auf die Liste meiner Verdächtigen setzen. Gleich hinter die abgelegte Liebhaberin, die auf Rache sinnt. Wo waren Sie gestern Abend zwischen neun Uhr und Mitternacht?«
Der Arzt schnappte nach Luft. »Worauf wollen Sie mit dieser Frage hinaus?«
»Ich will auf gar nichts hinaus, ich stelle Alibis für die Tatzeit fest. Sie sind Ihrer Frau und deren Tochter nicht sehr wohlgesinnt. Ihre Frau ist Ihnen seit Jahren ein Dorn im Auge und bedeutet ein Leck in Ihrem Geldtank. Es mag Ihnen nicht passen, aber so wie ich die Sache sehe, haben Sie ein wirklich bestechendes Motiv.«
»Nun, dann schlage ich vor, Sie ändern ganz schnell Ihre Perspektive, wenn Sie keine Verleumdungsklage am Hals haben wollen, Herr Glander.«
»Herr Berthold, wenn Ihr Anwalt auch nur ein bisschen was taugt, wird er Ihnen von einem solchen Schritt abraten. Wie sieht denn das aus? Der piekfeine Professor, dem die Entführung seiner Tochter egal ist …«
Auf Bertholds Hals machten sich rote Flecke breit.
Hab ich dich, du bornierter Sack!, dachte Glander.
Berthold hatte sich wieder gefasst und räusperte sich. »Ich war gestern Abend im Virchow-Klinikum und habe eine Notoperation geleitet. Das Team wird Ihnen das jederzeit bestätigen. Und ja, ich habe schon seit vielen Jahren eine Affäre, aber die Dame ist ebenfalls verheiratet und stellt keinerlei Ansprüche.«
»Ich