Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Teil III. Erhard Heckmann
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Von den Vertretern des Jahrgangs 1941 zählte Poet (Janitor) zu den besseren Vertretern (Henckel- und Union-Rennen), hatte jedoch keine Derbynennung, was nach dem überlegenen Vier-Längen-Erfolg in der „Union“ richtig schmerzte. Der vierjährige Panzerturm blieb im nächsten Braunen Band weit unter Form, korrigierte diese jedoch mit dritten Plätzen in den Großen Preisen zu Wien, der an Nordlicht ging, und dem der Reichshauptstadt Berlin, in dem sich Ticino durchsetzte. Während Poet ein Deckhengst in Harzburg wurde, deckte Panzerturm eine Saison in Graditz, bekam fünf Stuten und ließ zwei davon güst. Anfang Mai 1945, am Tag der Räumung von Fürstenstein (Niederschlesien), war ein Beckenbruch bei Panzerturm noch nicht ausgeheilt, sodass er eingeschläfert werden musste.
In der letzten Graditzer Trainingsliste von Hans Blume standen 1944 zwei Vierjährige, die Ferro (Luftkampf) und Alchimist (Spähtrupp) zum Vater hatten; 13 Dreijährige – sieben Hengste und sechs Stuten –, von denen sechs von Ferro und vier Herold stammten, und bei den 14 Zweijährigen, darunter neun Hengste, hatten Ferro fünf, Alchimist und Pharis je zwei, und Janitor, Janus, Arjaman, Herold und Eclair au Chocolat jeweils einen Vertreter. Von der zweijährigen Pharis-Tochter Persante, die aus der Palucca stammte und eine Halbschwester zu Panzerturm war, hatte Hans Blume eine sehr hohe Meinung, brachte sie jedoch wegen ihres Vaters in diesem Alter nicht an den Start.
Ende Januar, Anfang Februar 1945 hatte Graf Kalnein die Genehmigung zur Evakuierung der Hoppegartener Pferde bereits in der Tasche, doch das Problem war die vom Kriegsministerium zu genehmigende Transportkapazität. Und das veranlasste Trainer Blume selbst zu handeln und das Landgestüt Celle mit zwei Trecks anzusteuern. Das zunächst von der englischen Besatzungsmacht beschlagnahmte Pferdematerial gaben die Engländer später wieder zurück, während Hans Blume als Trainer für Waldfried und Asta an die kurze Graditzer Zeit anknüpfte.
Als die Russen nach Hoppegarten kamen, waren die Ställe leer, nur Futtermeister Richard Kortum war geblieben. Und dieser versierte Pferdemann, der die Graditzer nach dem Zusammenbruch trainierte und an Faktotum (1952; Harlekin) einen Triple Crown-Sieger im Stall hatte, der in Moskau den „Goldpokal“, das wichtigste Rennen beim Internationalen Meeting, gegen den russischen Derbysieger, Anilins Vater Element, gewann, konnte seinen Besten vor den Russen aber auch nicht „retten“. Selbst sein Trick, den Sohn aus der Fervor-Enkelin Frühlingssonne (1943; Lampos) aus dem Stall zu nehmen und in seine Box ein ähnliches Pferd zu stellen, war vergebens. Der Hengst, der dem Fama-Zweig der Alveole-Familie entstammte, musste deutschen Boden verlassen und zeichnete sich in der russischen Zucht, obwohl ihn auch mehrere Söhne als Beschäler vertraten, besonders als Stutenerzeuger aus. Etwa 30 seiner Töchter vertraten ihn um 1970 in der Herde des russischen Hauptgestüts.
Die Graditzer in staatlichem Besitz (der Heeresrennstall hat damit nichts zu tun) gewannen 56 klassische Rennen, darunter 17 St. Ledger, 16 Preise der Diana und 12 Derbys; zwischen 1881 und 1944 gelangen zwanzig Besitzer-Championate, und sieben Pferde wurden Saison-Spitzenverdiener: Peter (1981), Gulliver II (1912), Anschluss (1916), Herold (1920), Sichel (1931), Alchimist (1933) und Abendfrieden (1937). Und zu Sichel, die keine Derbynennung hatte, sei erwähnt, dass sie mit rund 132.000 Mark fast das Doppelte gewann, wie der gleichaltrige Stall- und Zuchtgefährte Dionys, der das Derby beherrschte. Vom Züchter-Championat blieb Graditz, das ganz besonders durch den Ankauf hochklassiger Beschäler aus dem Ausland die gesamte deutsche Zucht beeinflusste, ausgeschlossen, denn es erhielt keine Züchterprämien.
Martin Beckmann, der Autor der Sport-Welt Serie „Das war Graditz“ (1981/82), und der Anfang 1945 selbst als Flüchtling einige Monate in Graditz verweilte, stellte am Ende seiner Betrachtungen auch die Frage, ob Graditz zu retten war, zumal auch Röttgen, Schlenderhan, Waldfried und Zoppenbroich sich viel länger in der Gefahrenzone befanden und entsprechend reagiert hatten. Nach den, vom Verfasser von Zeitzeugen gesammelten Aussagen und dem, was Graf Kalnein in seinem Buch „Ein Leben mit Pferden“ zu diesem Thema schrieb, muss man zu der Erkenntnis kommen, diese Frage mit einem Ja zu beantworten, soweit es die angestrebte Evakuierung betraf. Graf Kalnein stellte bereits gegen Ende 1944 seinen ersten Antrag, aber nicht nur dieser, sondern auch alle weiteren wurden immer wieder abgelehnt. Vom zuständigen Ernährungs- oder dem Kriegsministerium, das die Waggons genehmigen musste. Erst am 13. April 1945 wurde das Ausweichen nach Harzburg genehmigt, doch der Trupp, der sich zwei Tage später mit den Hengsten Alchimist, Tricameron und den wertvollsten Stuten Richtung Westen in Bewegung setzte, wurde schon am Überqueren der Mulde gehindert. Zunächst von einer deutschen Truppe, danach von den Amerikanern. Und kurz darauf kamen die Russen, womit die Pferde in deren Hände fielen. Und das war das Ende der weltbekannten Graditzer Zucht!
Im Zusammenhang mit Graditz trugen auch Verrat und „die Partei“ erhebliche Schuld am Untergang dieser Zucht, wie das die vielen gesammelten Auskünfte von Menschen bestätigten, die jene Graditzer Zeit oder den Abtransport der Pferde Richtung Krim hautnah, direkt oder indirekt, durch Freunde oder Bekannte, erlebten, sich an jene Tage erinnerten und ihr Wissen dem genannten Autor der Sport-Welt, persönlich oder über Dritte, weitergaben. Von ihnen sei nur Liesel Blume, die Frau des letzten Graditzer Trainers und, zwischen 1935 und 1939, vierfache Amateur-Championesse, deren Freunde und Bekannte, oder „Graditzer“ wie Gerhard Pannier und andere erwähnt. So wurde auch ein namentlich nicht genannter „Trakehner-Tierarzt“, dem die Evakuierung übertragen worden war, ausnahmslos als linientreuer Handlanger der Partei bezeichnet, der Graf Kalnein sogar wissen ließ, dass er, der die Verlegung des Zuchtmaterials ablehnte, ihn anzeigen werde, falls auch nur ein Pferd das Gelände verlassen sollte.
Graditz war aber auch Zufluchtsort des Grafen Heinrich Lehndorff – ein Sohn des einstigen Röttgener Gestütsleiters und Trainers Graf Manfred Lehndorff, und verheiratet mit einer Tochter des Grafen Kalnein. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20.7.1944, wurde er, den Zuträger erkannt und verraten hatten, gehängt.
In den letzten Tagen des alten Graditz befanden sich noch alle Stuten und 42 Vertreter des Jahrganges 1945 auf dem Gelände. Und alle, einschließlich der Trakehner und der Arbeitspferde wurden von den Russen abtransportiert. Später sollte Emil Benecke, der letzte Graditzer Gestütsmeister, die Vollblüter und Trakehner auf der Krim identifizieren, lehnte das aber ab.
Von dem von Altefeld nach Graditz gekommenen Franzosen Tricameron, der 1945 noch sechs lebende Fohlen hinterließ, war nach dem gescheiterten „Ausbruch“ nichts mehr zu erfahren, während die Hengste Alchimist und sein Vater Oleander von den Russen erschossen wurden. Dieser, weil er sich nicht einspannen ließ, jener, weil er keinen Reiter duldete.
Somit waren Panzerturm und Poet die letzten beiden „großen“ Graditzer, die ihre Zuchtstätte, trotz großer Konkurrenz von Erlenhof und Schlenderhan, würdevoll vertraten. Und wie Graf Kalnein in einem Brief vom 8.10.1945 an Hans Blume schrieb, den Martin Beckmann am Ende seiner Serie auszugsweise erwähnte, hatte der Graf auf Umwegen noch Nachstehendes erfahren: „Alle Pferde, auch von den Vorwerken, waren abtransportiert; der größte Teil des Personals war zurück und musste schwer arbeiten; Schloss, Schule, Oberinspektorhaus und Kasse sind geräumt; Schloss, Schule, Reitbahn und einige Wohnhäuser haben Bombentreffer bekommen; zwei Scheunen sind abgebrannt; alle Möbel aus dem Schloss sind zertrümmert oder abtransportiert.“
Das Graditzer Gestütszeichen, pfeilschnell und schlangengewandt (Foto: Siegfried Müller, Leipzig)
„Graditzer Urgestein“,