Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Teil III. Erhard Heckmann
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In Karlshorst ist der Kronprinz zu Gast (Foto: Um 1900; Günter Toepfer-Sammlung, Karlshorst)
In Deutschland gab es nun wieder etwa 1.000 Mutterstuten und rund 100 Deckhengste, doch ließ die Qualität noch immer zu wünschen übrig. Von den ca. 170 Vollblutzüchtern, die jener Zeit zugeordnet werden, hatten viele nur wenige Stuten, sodass kaum mehr als ein gutes Dutzend – mit Schlenderhan, Waldfried und Altefeld (Graditz) an der Spitze – in der Lage war, zur Verbesserung der Zucht beizutragen.
1922 erwarb Konsul Moritz Oppenheimer, ein jüdischer Unternehmer aus Frankfurt, ein Trabergestüt, wandelte es zu Erlenhof um und ließ sich von Gustav Rau beim Kauf von Mutterstuten beraten. Walter Bresges begann anschließend sein Zoppenbroich aufzubauen, in dem der Schlenderhaner „Der Mohr“ als Beschäler einzog. 1923 war jedoch auch ein Jahr wirtschaftlicher Not, des wertlosen Geldes, und der Rennsport hatte damit ebenfalls zu kämpfen. Ullrich von Oertzen, der das Renngeschehen fünfzig Jahre prägte, verstarb; in Hamburg gab es einen kommunistischen Aufstand, und in München verbreitete die Schwarze Reichswehr Schrecken; das neue Hoppegarten war fertig und zeigte statt Parkidylle Sachlichkeit. Sein Glanzstück waren die dreigeschossige Tribüne, 127 Wettschalter, Waagegebäude, Pressezentrum und der achtgleisige Rennbahn-Bahnhof, und im November 1923 kam endlich die erlösende Nachricht: Währungsreform, Einführung der Rentenmark und Ende der Inflation. Dass am 16. Januar 1924 die „Kölner Zeitung“ morgens noch „150 Millionen“, abends 15 Reichspfennig. kostete, war als Randbemerkung zu lesen. Am 30. August 1924 konnte die Rentenmark von der Reichsmark abgelöst werden, die durch Gold und wertbeständige Devisen gedeckt war.
Seit Jahren triumphierten damals in Deutschland die vier Gestüte Graditz, Schlenderhan, Waldfried und Waldburg, hinter denen die Persönlichkeiten Lehndorff, Oppenheim, Weinberg und Haniel standen, doch nach Ende der Inflation kamen auch Großindustrielle hinzu. So gründeten u. a. der rheinische Unternehmer Peter Mülhens 1924 sein Gestüt Röttgen, und Richard Kasselowski, Chef der Bielefelder Nahrungsmittelfirma Dr. Oetker, erwarb zwei Jahre später den Heyforthischen Hof, der als Ebbesloh bekannt wurde. 1925 schrieb Köln 70 Rennen aus, und vergab mit 500.000 Mark das höchste Preisgeld aller preußischen Bahnen, während das nächste Jahr Landgrafs besten Sohn Ferro innerhalb von drei Monaten in den Hanielschen Farben sechs Rennen gewinnen sah – darunter Henckel-, Union Rennen, Derby, Großer Preis von Berlin –, und durch das Ende der englischen Besatzung waren Rheinland und Ruhrgebiet wieder frei. Der Derbysieger von 1927 hieß Alba, der 11 von 12 Starts gewann, wegen eines Splitterbruchs den Versuch, die „Dreifache“ im St. Ledger zu vollenden, aber nicht mehr antreten konnte.
Am 06. April 1926 überträgt der Reichsfunk erstmalig von einer Rennsportveranstaltung, dem Osterpreis zu Karlshorst, und 1928/29 stand Oleander im Mittelpunkt; H. Himmler wurde zum Reichsführer der SS benannt; J. Göbbels hetzte gegen die Juden; einige Rennsport-Persönlichkeiten veröffentlichten diverse „Pferdebücher“; Schlenderhan und Weinberg waren die führenden Zuchtstätten während der Weimarer Republik (1918-1933), und die Weltwirtschaftskrise zeichnete sich ab. Als im Oktober 1929, drei Wochen nach Oleanders drittem Platz im „Arc de Triomphe“ der amerikanische Aktienmarkt zusammenbrach, war die Weltwirtschaftskrise ausgelöst, und die „Goldenen Zwanziger“ waren zu Ende. 1930 gewann der Schlenderhaner Alba zu Hamburg das Derby; in deutschen Rennställen standen etwa 2.600 Rennpferde, die von rund 200 Trainer vorbereitet und von 1.400 Stallangestellten gepflegt wurden, während für die Ritte etwa 300 Jockeys zur Verfügung standen. Für Zucht- und Rennzwecke wurden im gleichen Jahr 112 Stuten, 52 Hengste und 12 Wallache ausgeführt, während 24 Vollblüter neu ins Land kamen.
Zwei Jahre später verstarb Simon Alfred von Oppenheim, und Waldemar Freiherr von Oppenheim wurde als Nachfolger seines Vaters Präsident des Kölner Rennvereins; Schlenderhan feierte sein elftes Besitzer-Championat, und die „Preußische Staatsgestüts-Verwaltung“ ihr 200-jähriges Bestehen. Graditz war, nach der Auflösung von Altefeld, wieder ein Vollblutstandort; der Prunus-Sohn Palastpage gewann für Röttgen das erste Derby, und die Rennwettsteuer am Totalisator und bei den Buchmachern soll 33 Millionen Mark betragen haben. Im Land gab es sechs Millionen Arbeitslose, und auf den Straßen waren linke und extreme rechte als Schlägertrupps unterwegs.
1933 wurde Adolf Hitler von P. W. Hindenburg zum Reichskanzler ernannt, und die Nationalsozialisten übernahmen die Macht. In der Folge wurden die bürgerlichen Grundrechte außer Kraft gesetzt, die Preußische Staatsgestüts-Führung wurde personell „angepasst“, und im Landwirtschafts-Ministerium hatte der Reichsbauernführer Darré das Sagen. Gustav Rau führte seine Position als Preußischer Oberlandstallmeister nur kurzfristig aus, denn er musste erleben, wie sein Lebenswerk, der „Reichsverband ländlicher Reiter- und Fahrvereine“ (200 Vereine; 100.000 Mitglieder) in SS- und SA-„Reiterstürme“ umstrukturiert wurde. 1934 bat er daher um seine Entlassung, an die Spitze der „Obersten Behörde für Vollblutzucht und Rennsport“ (O. B. V.) trat als Generalsekretär F. Charles de Beaulieu, der vorher im Union-Klub als Pressereferent für den Berliner Rennsport zuständig war.
Im gleichen März wurde Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der spätere Bundeskanzler Deutschlands, gezwungen, sein Rathaus zu verlassen; im April riefen die Nazis zum Boykott jüdischer Geschäfte auf; Carl von Weinberg musste alle Wirtschaftsämter niederlegen; Bruder Arthur wurde aus dem Universitäts-Kuratorium entfernt, und Moritz James Oppenheimer, dem Konkursvergehen nachgesagt wurde, verhaftet. Sein Gestüt Erlenhof veräußerte der Konkursverwalter – inklusive Graf Isolani – für 350.000 Mark an Baron Heinrich von Thyssen-Bornemisza.
Das Derby des gleichen Jahres, das Göring in SA-Uniform in der Ehrenloge erlebte, gewann der Graditzer Alchimst unter Ernst Grabsch – 1929 bis 1931 Champion-Jockey und SS-Mitglied, wie das M. Stoffregen-Büller in seinem Buch „Schlenderhan“ feststellte. 1933 wurde auch die ungeschlagene „Wunderstute“ Nereide geboren, und es sollte auch nicht mehr lange dauern, bis Waldemar von Oppenheim seine Präsidentschaft des Kölner Rennvereins an Fürst zu Wied übergab, der seinen Vorgänger jahrelang begleitet hatte.
1934, als im Union-Klub dem Präsidenten Fürst von Hatzfeld-Wildenburg der Ex-Herrenreiter und umstrittene Franz von Papen folgte, die Rennbahn Grunewald zu Gunsten der Olympischen Spiele abgebrochen wurde und Irmgard von Opel auf ihrem Schimmel Nanuk als erste Frau das „Deutsche Spring-Derby“ zu Klein-Flottbeck gewann, triumphierten im 66. Deutschen Derby zu Hamburg Athanasius, Willi Printen, Trainer Adrian von Borcke und Erlenhof. Im Februar 1935, drei Jahre nach ihrem Mann Baron Alfred, verstarb Baronin Flossy von Oppenheim, sodass ihr Sohn, Waldemar von Oppenheim, als neuer Gestütsherr zu Hamburg sofort einen Schlenderhaner Derbysieger vom Geläuf abholen konnte, denn vor 100.000 Zuschauern war der Oleander-Sohn Sturmvogel (Willi Printen) der Star der Stunde. Politisch zeichneten sich beim Nürnberger Reichsparteitag im September weitere dunkle Wolken ab, denn der „Arier-Nachweis“, ein Gesetzt zur Isolierung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung, wurde eingeführt.
Der nächste Derbysieger war die großartige Nereide, die im Olympiajahr 1936 mit 2 Minuten 28,8 Sekunden Rekord lief, der fast sechzig Jahre Bestand haben sollte. Anschließend, bei ihrem letzten Start im „Braunen Band“ (100.000 Mark) zu München, bezwang sie Frankreichs große Corrida, die im Herbst als Vierjährige den Prix de l’Arc de Triomphe gewann und diesen Sieg im Folgejahr, nachdem sie auch den Großen Preis der