Wer mutig ist, der kennt die Angst. Johannes Czwalina

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Wer mutig ist, der kennt die Angst - Johannes Czwalina

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das Dritte Reich durchnahmen. Uns wurde beigebracht, dass wir immer allem misstrauisch gegenübertreten sollen, was uns keine andere Wahl lässt. Wir wurden auf gewisse Sätze als Indikatoren für falsche Gedankensysteme hingewiesen. Wir fragten uns damals als Schüler, warum diese Lehrer, die ja in dieser Zeit, von der sie sprachen, schon mündige Erwachsene waren, nicht schon früher ihre Erkenntnisse umgesetzt hatten, als es noch nicht zu spät gewesen war, und warum sie nicht schon vorher ihre Erkenntnisse lebten, statt später uns zu belehren? Ich schreibe das ohne Groll, und ich frage mich selbst oft, was unsere Enkel einmal in der Schule über fehlende Zivilcourage lernen werden, wenn sie die gegenwärtige Zeitepoche in ihrem Geschichtsunterricht behandeln, und was wir ihnen antworten werden: »Wir hatten keine andere Wahl.«15 –»Der Markt hat uns bedingungslos gezwungen«?

      Der Journalist Karl-Otto Saur, dessen Vater unter Hitler Verantwortlicher für die Ankurbelung der Kriegsrüstung und für den Nachschub für Zwangsarbeiter war, schreibt in seiner Biografie, dass er sich immer wieder fragt, wie er sich selbst wohl verhalten hätte damals in der Diktatur. Und er findet keine Antwort darauf. In den Redaktionen, in denen er gearbeitet hat, habe er sich ebenso oft gefragt, was aus seinen Kollegen damals wohl geworden wäre. Wer wäre ein Nazi gewesen? Wer ein Täter? Wer ein Mitläufer? Diesen Blick bringe er nicht mehr raus aus seinem Kopf. Vielleicht sei das auch der Grund, warum Erfolg und Karriere nie Begriffe waren, die er für wichtig hielt im Sinne eines geglückten Lebens. Er habe in seinem Leben nur ein Ziel gehabt: Er wollte es besser machen mit seinen Kindern, als es sein Vater gemacht habe.16

      Einige der älteren Generation erinnern sich noch an ein Flugblatt der Harnack/​Schulze-Boysen-Organisation, welches in Berlin im Winter 1941/​42 verteilt wurde.17

      »Stellt euch der allgemeinen Angst entgegen! Immer wieder hört man die Redewendung: ›Wir müssen durch! Wenn wir jetzt nicht siegen, geht es uns allen schrecklich an den Kragen. Dies ist das Gerede, das die derzeitigen Machthaber selbst verbreiten, um ihre Herrschaft zu festigen. […] Die Weltgeschichte wird auf keinen Fall ihren tieferen Sinn verlieren, und das Unmögliche wird nicht möglich dadurch, dass wir uns in Verkennung der Dinge bemühen, dem Verbrechen und dem Wahnwitz zum Siege zu verhelfen, nur weil Verbrechen und Wahnwitz sich zur Zeit in Deutschland eingenistet haben.«

      Auch heute haben viele resigniert. Sie ahnen zwar, dass Zivilcourage der unter Beweis gestellte Mut zur Suche nach einem sinnerfüllten Leben ist. Aber sie sind zu dem Ergebnis gekommen: Zivilcourage lohnt sich nicht. Sie sind müde geworden und haben den Mut verloren und finden sich mit einem Leben ab, das keine Sinnfragen mehr beantwortet. Sie suchen den Sinn nur noch im Trubel des Alltagsgeschäftes und im Streben nach persönlichem Wohlstand.

      Bismarck gebrauchte als erster Deutscher das Wort Zivilcourage.18 In einer Debatte des Preußischen Landtags 1864 wurde er wegen eines kritischen Beitrages ausgepfiffen. Beim Mittagessen sagte ihm ein älterer Verwandter: »Eigentlich hattest du ja ganz recht. Nur sagt man so was nicht.« Da antwortete Bismarck: »Wenn du meiner Meinung warst, hättest du mir beistehen sollen.«

      Meine Ausführungen wenden sich genau an diejenigen, die mutig sein wollen und denen diese Eigenschaft wichtiger ist als schnelle Karriere, bei der es auf Opportunismus und Ellenbogen ankommt. Meine Ausführungen wenden sich auch an Menschen, die mutig sein wollen, aber nicht die nötige Kraft dazu aufbringen.

      »Willst du was werden, musst du schweigen.

      Musst dich zur Erden tief verneigen.

      Dass du ein Knecht bist, hat man gerne.

      Allem, was recht ist, halte dich ferne.

      Lerne den Willen unserer Lenker.

      Und auch im Stillen sei kein Denker.«19

      So beschrieb Hoffmann von Fallersleben diesen Irrtum schon vor 160 Jahren im Hundertjährigen Kalender – Bezug nehmend auf den deutschen Zeughaussturm am 14. Juni 1848.

      Stefan Heim drückte es etwas unpoetischer aus in seiner Rede bei der Wende in Leipzig 1989: »Ein Volk, das gelernt hat, zu kuschen unter dem Kaiser, unter Hitler, unter dem DDR-Regime.«

      Feigheit beruht also auf der trügerischen Annahme, Vorteile einzubüßen, wenn man sich nicht anpasst, und darauf, Nachteile zu bekommen, wenn man zu seiner eigentlichen Überzeugung steht.

       Spontane Hinderungsgründe, Zivilcourage zu zeigen

      »Bei dieser Übermacht bin ich gar nicht in der Lage einzugreifen.«

      »Wenn ich mich einmische, bekomme ich bloß Ärger.«

      »Vielleicht schätze ich die Situation falsch ein.« »Wer weiß, was der andere angestellt hat, dass sie ihn angegriffen haben.«

      »Warum helfen denn die jüngeren Kerle nicht, die da herumstehen?«20

       Allgemeine Hinderungsgründe

      

       Abstumpfung

      Unsere Zeit prägt das Wort non helping-bystander-effect21. Dieses Wort bezeichnet das Gegenteil von Mut. Es bezeichnet das immer häufiger beobachtete Verhalten, dass Menschen wie gebannt schreckliche Ereignisse hautnah beobachten, ohne ein dringendes Bedürfnis zur Tat zu empfinden. Dieser neue Begriff fordert uns heraus, darüber nachzudenken, inwieweit wir uns selbst zwischenzeitlich ebenfalls statt zu mutigen Menschen zu Unterhaltern eines Zeitgeistes entwickelt haben.

      In den Medien erheben Journalisten den moralischen Zeigefinger – häufig diejenigen, die von Berufs wegen eher dazu bereit sind, eine Gewalttat zu filmen, statt sie zu verhindern: »Rentner in U-Bahn zusammengeschlagen und ausgeraubt – zwanzig Fahrgäste schauten zu.« Wir lesen solche Meldungen mit Empörung, begreifen aber auf einmal, was in den Wegschauern vorgeht, wenn wir selbst in ihre Situation geraten. Dann fragen wir uns plötzlich: Ist das meine Aufgabe? Wo ist denn die Polizei?

      In einer Umfrage des Münchner Instituts für Recht und Wirtschaft haben 86 Prozent aller Zeugen von Gewalttaten nicht geholfen. Als Gründe (Mehrfachnennungen waren möglich) nannten 66 Prozent Angst vor dem Täter. 86 Prozent fürchteten, dass sie statt einer Belohnung mit juristischen Konsequenzen zu rechnen hätten. Immerhin 16 Prozent nannten Gleichgültigkeit als Motiv. Bei der Frage, ob sie künftig helfen wollten, antwortete weniger als ein Viertel mit einem eindeutigen Ja.22

       Verdrängung, Machtdenken, Profitstreben

      Auszüge aus dem Interview des Spiegels mit dem Historiker Prof. Hans Mommsen23 wollen Einblick zu dieser Fragestellung geben.

      SPIEGEL: Herr Professor Mommsen, warum hat es unter den Wirtschaftsführern so wenig Widerstand gegen Hitler gegeben?

      Mommsen: In der Tat tauchten bestimmte Berufsgruppen im Widerstand überhaupt nicht auf, darunter Repräsentanten der Wirtschaft. Von den Industrieführern haben nur wenige wie Robert Bosch und Paul Reusch, der Vorstandsvorsitzende der Gutehoffnungshütte, eindeutig Stellung gegen Hitler bezogen. Die Wirtschaftsführer waren offensichtlich zu sehr in die tägliche Arbeit eingespannt, um Abstand zum Regime zu gewinnen.

      SPIEGEL: Die Mehrzahl der Manager hatte kein Unrechtsbewusstsein?

      Mommsen: Das ist richtig, und man sollte dabei bedenken, dass sie schrittweise in das System der Zwangsarbeiterbeschäftigung gelangten. Es begann mit dienstverpflichteten Arbeitskräften aus den Benelux- und den skandinavischen Ländern sowie aus Polen. […] Letztlich aber haben die meisten Konzerne

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