Wer mutig ist, der kennt die Angst. Johannes Czwalina
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Was bevorzugen Sie: Mehr Sicherheit, dafür aber eine Einschränkung an Freiheit, oder mehr Freiheit, dafür aber eine Einschränkung an Sicherheit?
80 Prozent antworten: »Mehr Sicherheit, und dafür im Zweifelsfalle lieber eine Einschränkung an Freiheit!«
Wahrscheinlich gehören Sie und ich zu diesen 80 Prozent. Lohnt es sich, mit so gearteten Wesen über Mut und Zivilcourage zu reflektieren?
Der mutige Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer schreibt am 20. Juli 1944 resigniert und von großen Selbstzweifeln geplagt sein Gedicht »Stationen auf dem Wege zur Freiheit«27:
»Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung misstrauisch gegen die Menschen geworden und mussten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig bleiben, wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder vielleicht zynisch geworden – sind wir noch brauchbar?«
Auch der Apostel Paulus stöhnt vor mehr als 2000 Jahren schon in seinem Brief an die Römer verzweifelt:
»Wer will mich erlösen von diesem Leibe des Verderbens? Das Gute, das ich im Grunde tun will, tue ich nicht, und das Böse, das ich nicht tun will, tue ich.«
Zählt heute nur noch der Mut von gestern?
Abba Kovner war der Erste, der die Warschauer Juden zum Aufstand gedrängt hatte. Er lebte als Partisan und wirkte im Untergrund. Ruzka Korczak, eine andere Partisanin, schreibt über ihn: »Abba begriff die Wirklichkeit nicht wie ein Gelehrter, der logische Schlüsse zieht, sondern wie ein Prophet. Ein Prophet ist schließlich nichts anderes als ein Mensch, der sich für einen kurzen Augenblick aus der Geschichte löst, um den Weg zu überblicken, der in den Wald hinunterführt.« Am Silvesterabend 1942/43 hielt er im Wilnaer Ghetto folgende Rede:
»Jedes Volk hat seine Heldengeschichten. Und diese Geschichten geben ihm die Kraft weiterzumachen. Aber sie dürfen nicht nur Vergangenheit sein, Teil unserer uralten Geschichte. Sie müssen auch Teil unseres realen Lebens werden. Wir müssen jetzt, nicht erst später mit unserem Gewissen ins Reine kommen. Was soll die nachfolgende Generation von uns lernen? Es ist besser, als freier Mensch im Kampf zu sterben, als durch die Gnade seines Mörders weiterzuleben! Wenn du nur dich selbst in Sicherheit bringst, kannst du dann einem Kind der nächsten Generation in die Augen sehen, wenn es fragt: ›Was hast du getan, als man unsere Leute zu Tausenden, zu Millionen abschlachtete?‹ Wirst du ihm gerne sagen: Ich habe mich versteckt und deswegen lebe ich noch?«28
In unserer nachfolgenden Generation hört man zwar gerne eben zitierte Geschichte und bestätigt auch ihre Gültigkeit, kommt aber in unserer pluralistischen Situation nicht auf die Idee, sich selbst ins Geschehen miteinzubeziehen. Die mutigen Menschen, die sich durch Integrität, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Suche nach einem Leben in der Wahrheit auszeichnen, werden gar nicht mehr erwähnt. So spüren viele auch keine Anreize mehr, Mut zu praktizieren.
Im Allgemeinen hält man Zivilcourage für etwas Gutes, solange die Herausforderung in der konkreten Alltagssituation nicht selbst zu meistern ist.
»Manche bewundern sie als Tugend bei anderen und in früheren Zeiten, sehen aber nicht ihre heutige Möglichkeit und Notwendigkeit. Vor weltgeschichtlichen Tragödien gab es zwar immer wieder Mahner, aber ihre Anzahl war stets gering und ihr Wort zählte in der Regel erst lange nach ihrem Tod, dann nämlich, wenn sie von der nachfolgenden Generation zu Helden erhoben wurden.«29
Diese überhöhten Helden, die an herausragender Stelle agierten, die Interessen vieler vertraten, das Heft des Handelns fest in der Hand hatten, die nicht zweifelten, die keine Angst hatten, die keine Dummheiten begingen, die einen festen Charakter und Willen hatten, die sich nur für das Gute einsetzten und das Richtige taten, nimmt die Gesellschaft heute nicht mehr so wahr und auch nicht mehr so an.
Hierin liegt aber auch eine Chance. Gerade weil der Held heute nicht mehr gefeiert wird, gerade weil viele Helden nicht mehr gekannt, erkannt und anerkannt werden, sind wir herausgefordert, uns für ein mutiges Leben zu begeistern, ohne dafür Anerkennung zu bekommen.
Macht Demokratie Zivilcourage überflüssig?
»Zivilcourage ist die eigentliche Anfangs- und Entstehungstugend unserer Zivilgesellschaft«
Willy Brandt
Willy Brandt beschrieb es treffend: »Zivilcourage ist die eigentliche Anfangs- und Entstehungstugend unserer Zivilgesellschaft. Demokratie ist aus der Zivilcou rage entstanden (oder erstritten, denn sie wurde ja nicht obrigkeitlich angeordnet) und aus ihr lebt die Demokratie. Zivilcourage ist die demokratische Tugend par excellence. Was für eine Diktatur als Bedrohung empfunden wird, ist für die Demokratie das Lebenselixier: Courage, Wachsamkeit, Kritik, Widerspruch, Abweichung, Unbequemlichkeit.«
Helden im traditionellen Sinne braucht es in einer Demokratie kaum. Das Prinzip der Gewaltenteilung und die Medien machen das Parlament darum leider nur allzu oft zum Tummelplatz derer, die nur auf der Bühne die Mutigen spielen können. Für diese Menschen geht es nicht um Leben und Tod, sehr wohl jedoch um ihr politisches und berufliches Überleben.
Dennoch erstarrt eine Demokratie mit einer passiven, desinteressierten und staatsgläubigen Bevölkerung ohne wirklich mutige Menschen. Es geht nicht nur in der Diktatur, sondern auch in der Demokratie darum, wem im Zweifelsfall mehr zu gehorchen ist, dem Staat oder dem Gewissen. Dieses Spannungsfeld hebt auch eine Demokratie nicht auf.
Wenige realisieren, dass unsere Demokratie gefährdet und bedroht ist und durchaus durch Mutige geschützt werden muss. Die Bedrohung der demokratischen Freiheit kommt nicht in erster Linie von den nicht-demokratischen Regierungsformen, weil uns diese Bedrohung präsent ist. Die Bedrohung liegt vielmehr in den marktwirtschaftlichen Zwängen, die unerkannt ihre Expansion vorantreiben können, indem sie demokratische Grundwerte in kleinen Schritten an die Wand drücken. Sie tragen den Gesichtsausdruck der Freiheit, während sie in Wirklichkeit unsere Freiheit und unser Recht auf persönliche Integrität untergraben.
Erhard Eppler erinnert sich an die Nachkriegszeit: Die Amerikaner sagten uns: »Im Nationalsozialismus seien die Menschen um des Staates willen da gewesen, in der Demokratie gebe es den Staat nur um der Menschen willen.« Wir müssen uns fragen, ob diese Aussage heute auch für die von der globalisierten Marktwirtschaft beherrschten Demokratien noch gilt.
Es besteht ein Spannungsfeld zwischen der Freiheit der Demokratie und der Freiheit des Marktes. Ich bin überzeugt, dass die Marktwirtschaft entartet, wenn die Demokratie nicht durch ständige Zivilcourage lebendig gehalten wird.
Früher zeigte sich die Marktwirtschaft – im Bild gesprochen – wie ein Bock, der den Gärtner bei der Gartenarbeit unterstützt hat. Heute haben wir es mit völlig abgehetzten Gärtnern zu tun, die vom Bock durch den Garten gejagt werden! Wenn sich das marktwirtschaftliche System aufgrund vernachlässigter Zivilcourage in der Politik so weiterentwickelt, dann sehe ich langfristig eine Gefahr für den Bestand der Demokratie, weil sich die Freiheit, des Marktes für einige effizienter und effektiver durch eine autoritäre Regierungsform umsetzen lässt. Dann könnte die Zeit zum Handeln bereits abgelaufen sein.
So meint der Basler Unternehmensberater Kasper Müller: »Wichtige Kernelemente einer dauerhaft funktionierenden Demokratie sind das Maß (Metrum, Ausgewogenheit) und der friedliche Ausgleich der Macht. Gerade heute aber verlieren wir das Maß und fördern damit ein gefährliches Machtungleichgewicht.« Gilt der frühere Anspruch der katholischen Kirche »Extra ecclesiam nulla salus« nun in einem anderen Sinn: »Außerhalb