Wer mutig ist, der kennt die Angst. Johannes Czwalina

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wer mutig ist, der kennt die Angst - Johannes Czwalina страница 9

Wer mutig ist, der kennt die Angst - Johannes Czwalina

Скачать книгу

amerikanische Unabhängigkeitserklärung vor Augen halten, sollten wir uns überlegen, wie viel uns die Freiheit noch bedeutet, die uns in unseren demokratischen Verfassungen rein theoretisch garantiert ist. »We hold this truth to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their creator with certain unalienable rights, that among these are life, freedom and the pursuit of happiness.«–»Wir halten diese Wahrheiten für offenbar und keines weiteren Beweises bedürftig: dass alle Menschen gleich sind, von Geburt an, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen, unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, zu denen Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören – dass, um diese Rechte zu sichern, Regierungen unter den Menschen eingerichtet sind, welche ihre rechtmäßige Gewalt von der Zustimmung der Regierten herleiten« (Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, 1776).

      Wir stehen vor der ethisch-politischen Gretchenfrage, ob wir am Anfang dieses Jahrhunderts noch den politischen Willen aufbringen, das unüberbotene, freiheitlich-demokratische Ideal einer Bürgergesellschaft und seine Voraussetzung der Chancengleichheit unter veränderten Umständen neu zu überdenken und Reformen zu seiner Erneuerung anzupacken. Oder ob wir das Ganze unreflektiert der Dominanz des Marktes überlassen?

      Der Zeitgeist macht ja bekanntlich blind. Das ungehemmte Treiben der Kapitalgesellschaften, der verschärfte Wettbewerb auf einem globalen Verdrängungsmarkt, der Abbau der sozialen Sicherungssysteme, Überregulierung etc. steigern langsam unmerklich den Druck auf den Einzelnen. Wir haben uns an eine neue Bedrohung unserer demokratischen Freiheit nur deshalb gewöhnt, weil wir ihr täglich begegnen und weil alle involviert sind.

      Der scheinbar wachsende Anspruch des »Marktes« auf die Seele der Menschen, ihr Familienleben, ihre Freizeit, ihre Pläne, auf die Frage, wo und wie sie leben sollen, das ist das neue Gesicht des Marktes, das anders ist als früher. Es ist das Werk unserer Zeit, das Werk unserer Gesellschaft, das Werk Ihrer und meiner Hände. Es trägt unsere Handschrift, die Handschrift des vernachlässigten Mutes.

      Im Nationalsozialismus hat es Zivilcourage gebraucht: Denn der Nationalsozialismus hat durch seine Dominanz die Werte der Dienstbereitschaft und Treue missbraucht und pervertiert.

      Im Sozialismus war Zivilcourage notwendig: Denn der Sozialismus hat ebenso vereinnahmend die Werte soziale Gerechtigkeit, Frieden und Gleichheit durch seinen Freiheit raubenden Machtanspruch missbraucht.

      Im Kapitalismus ist Zivilcourage notwendig: Denn der wirtschaftliche Geist missbraucht mit seinem dominanten Anspruch auf die Freiheit des Marktes und das Recht auf Selbstverwirklichung des Einzelnen im Grunde gerade die Werte der persönlichen Freiheit. Der Grund für seine Dominanz liegt in der vernachlässigten Zivilcourage und in dem abhandengekommenen Mut des Einzelnen.

      Alle drei Ideologien fordern Anpassung, und deswegen benötigen sie als regulierendes Prinzip Menschen mit Zivilcourage. In der heutigen Epoche ist die Dominanz des Zeitgeistes auf den Einzelnen am besten kaschiert und somit am schwersten erkennbar.

      Zivilcourage ist ein Attribut der Freiheit und die wichtigste Voraussetzung zu ihrer Erhaltung. Wo Menschen ihre Eigenverantwortung nicht wahrnehmen oder diese sich abnehmen lassen, leben sie nicht frei, sondern bevormundet.

      Heinrich Böll sagt: »Je mehr Bürger mit Zivilcourage unser Land hat, desto weniger Helden brauchen wir einmal.«

      Es gibt leider die irrige Auffassung, dass unser heutiges ziviles Leben kein Feld für Bewährung und persönlichen Mut ist. Viele meinen irrtümlich, dass in der Demokratie und der Marktwirtschaft die Tugend des persönlichen Mutes überflüssig sei. Die Gefahren, die mit einer solchen Haltung verbunden sind, haben wir deswegen in diesem Abschnitt benannt.

      Unsere Demokratie ist eine repräsentativ verfasste Demokratie.

      Dies ermöglicht theoretisch, dass die zu fällenden Entscheidungen qualitativ sehr gut ausfallen können. Dann nämlich, wenn es wirklich die Besten, die Sachkundigsten sind, die sich in den parlamentarischen Gremien versammeln.

       Ohne gelebte Zivilcourage verfällt unsere Demokratie in charakterlose Mittelmäßigkeit.

      Die Praxis sieht jedoch anders aus. Statt der Herrschaft der Überdurchschnittlichen ist das phantasiemüde, risikoscheue Politmanagement der überdurchschnittlich Durchschnittlichen angeder charakterlosen Mittelmäßigkeit, wo echte Zivilcourage ein Fremdwort ist. Wo aber gelebte Zivilcourage nicht mehr erforderlich ist, wächst die Bedrohung, dass notwendige Innovationen zu lange auf sich warten lassen und dass sich die bestehenden Systeme »dominant« entfalten können. Schon Theodor Fontane (1819 – 1898) prägte den Satz: Am Mute hängt der Erfolg. Der politische Prozess braucht beides: Couragierte Bürger, die sich einmischen, und mutige Parteien und Politiker, die den Bürgern das Zumutbare auch zumuten.

      Wenn das Volk in einer so kompliziert gewordenen Welt sich das Mitspracherecht über seine Zukunft erhalten will, dann muss es sich Zivilcourage, Sachkompetenz, Urteil und moralische Sensibilität neu erwerben. Was also macht die Funktionsschwäche der repräsentativen Demokratie unserer Tage aus? Wir haben nicht nur mäßige Parteien, die vor der Komplexität der Probleme einknicken, wir selbst sind auch mäßig geworden, weil wir den Parteien ihre repräsentativen Führungsqualitäten längst nicht mehr überzeugend abverlangen.

      Wenn wir unsere Bereitschaft zur Zivilcourage in der Politik nicht behaupten, wird auch unsere Marktwirtschaft, ohne zukunftsorientierte Zivilcourage und Gemeinsinn, zurück in den Raubtierkapitalismus ihrer Anfänge fallen.

      Viel zu viel notwendige Stellungnahme wird nur gedacht und nicht gesagt. Das fördert psychische Fehlentwicklungen, produziert schlechte Stimmungen und belastet permanent Beziehungen. Es ist eine Illusion, zu meinen, bei verbreiteter Lüge und herrschendem Unrecht innere Freiheit, Wahrhaftigkeit und Rechtsgesinnung einfach innerlich einzuschließen und dadurch bewahren zu können. Unrecht, das nicht angegriffen, Unwahrheit, die nicht widerlegt, falsche Vorurteile, die nicht revidiert werden, werden damit legalisiert und weiterverbreitet.30

      Kürzlich berichtete mir ein hochbegabter junger Manager eines Deutschen Telekommunikationskonzerns, dass sich sein oberster Chef in einer Führungskräfteveranstaltung erheblich verbal vergriffen hatte. »Ich wusste genau, dass ich widersprechen musste, habe das aber natürlich nicht gemacht aus Rücksicht auf meine Familie, die bei einer möglichen Entlassung als Folge meines Widerspruchs natürlich höchst gefährdet wäre.« Ich antwortete ihm, dass Mut in diesem Moment bedeuten würde, es trotzdem zu tun.

      Der Mut, Mut zu praktizieren und nicht nur als Möglichkeit zu denken, ist der Schlüssel zum authentischen Leben und Erleben.

      Wer nicht Mut wagt, schlittert in ein reaktives statt proaktives Lebensmuster hinein. Sein Leben besteht mit der Zeit nur noch aus Reaktionen auf die Vorgaben anderer. Er weiß genau, wie er reagieren muss, um nicht aus einem Anpassungsschema zu fallen. Am Anfang spürt er die Fehlentwicklung noch nicht. Viele reaktiv lebende Menschen landen irgendwann im Burnout, weil sie eines Tages die externen Dienstanweisungen an ihr Leben, deren Legitimierung sie zu wenig hinterfragen, nicht mehr erfüllen können. Sie werden älter, die Kräfte lassen nach, die Energieabgaben stehen in keinem Verhältnis mehr zum Nachschub. So werden sie oft zu Getriebenen, und Angst vor Verlust und fehlender Anerkennung prägt ihr Leben. Ähnliche Symptome eines durch vernachlässigten Mut geprägten Lebens sind Langeweile, Überdruss und irgendwann das Gefühl von Sinnlosigkeit. Diesen Menschen passiert nichts Bewegendes, aber durch diese Menschen passiert auch nichts Bewegendes. Sie hinterlassen keine Markenzeichen, keine Spuren.

      Nur durch Lebenssituationen, die Mut herausfordern, erkennen wir, welche Menschen in unserer Umgebung Freunde und welche Mitläufer sind. Die Mitläufer werden sich nie zu uns bekennen, wenn sie dadurch

Скачать книгу