Tödliche Offenbarung. Cornelia Kuhnert

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Tödliche Offenbarung - Cornelia Kuhnert

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      Die näselnde Stimme lässt Borgfeld zusammenzucken. Er dreht sich um und sieht in ein fleischiges Gesicht mit grauer Haartolle.

      »Kommissar Borgfeld, Polizeiinspektion Burgdorf. Wir ermitteln in einem Todesfall.«

      |32|»Todesfall? Bei uns?« Die Mundwinkel des grauhaarigen Mannes sinken herab.

      »Genau. Hinter dem Schuppen liegt ein Mann. Vermutlich handelt es sich um Mord. Unser Rechtsmediziner kommt gleich, dann wissen wir mehr.«

      »Mord?«, echot Goldmann und seine Augen wandern unruhig hin und her.

      »Sieht so aus, aber Doktor Schmidt wird Genaueres dazu sagen können, wenn er sich den Toten angeschaut hat.«

      »Wissen Sie schon, wer … es ist?«

      Borgfeld schüttelt den Kopf und wundert sich über die blauen Kniestrümpfe des Mannes. »So weit sind wir noch nicht.«

      »Kann ich ihn mir ansehen? Vielleicht ist es ein …«, Goldmanns Mund zuckt nervös, »ein Clubmitglied.«

      »Ich darf niemanden näher heranlassen, bis alle verwertbaren Spuren gesichert sind. Dafür haben Sie bitte Verständnis.« Borgfeld holt sein Notizbuch heraus.

      »Ich notiere mir schon einmal Ihren Namen. Goltmer, sagten Sie?«

      »Nein, Goldmann, Georg Goldmann, wenn Sie mich brauchen, dann …«

      Weiter kommt er nicht, denn in diesem Moment wird Borgfeld von dem Kollegen der Spurensicherung gerufen.

      »Kommen Sie, das müssen Sie sich ansehen.«

      |33|8

      Max Beckmann holt die Milchtüte aus dem Kühlschrank. In der Doppeltür des amerikanischen Modells spiegeln sich die offene Küche und der Wohnraum. Im kühlen blauen Licht des verchromten Edelstahls verdoppelt sich das lang gestreckte Zimmer. Manchmal glaubt Beckmann, sich in dem großen Raum zu verlieren. Auch die Kochinsel und die breite Sitzlandschaft, die der Vormieter ihm gegen ein geringes Entgelt überlassen hat, ändern nichts daran, im Gegenteil, sie betonen seine Einsamkeit noch. Seine Gesichtszüge verhärten. Er hat die Freiheit gewollt, jetzt hat er die Freiheit, einsam zu sein. Selbst Schuld.

      Unschlüssig greift Beckmann zum Handy, dreht es hin und her. Ein Fingerdruck und die Wahlwiederholung baut die Verbindung auf. Es klingelt dreimal, bevor es in der Leitung knackt. Erneut meldet sich Marthas Mailbox.

      Beckmann wärmt mit dem heißen Wasser seiner Espressomaschine die Cappuccinotasse vor, während die elektrische Kaffeemühle die Bohnen mahlt. Er schäumt die Milch auf und drückt den Kaffee in den Siebträger. Als der Sud endlich in die Tasse tropft, steigt der Geruch von Espresso in seine Nase. Martha hat es geliebt, wenn er ihr morgens den Kaffee ans Bett gebracht hat und der Duft ihm ein paar Meter vorauseilte. Martha. Er seufzt und setzt sich mit seiner Tasse in den abgewetzten Ledersessel, der vor dem Fenster steht. Wieder einmal hat er es vermasselt.

      Kaum hat er ausgetrunken, startet er einen neuen Versuch mit dem Telefon. Es geht immerhin auf neun zu, so lange schläft Martha sonst nie. Wieder nichts. Vielleicht lässt sie |34|das Telefon einfach klingeln und nimmt nicht ab, weil sein Name auf dem Display erscheint. Oder sie ist nicht allein.

      Beckmann starrt aus dem Fenster und beobachtet die auf dem Fußweg vorbei eilenden Menschen. Eine tiefe Traurigkeit überfällt ihn. Nicht das erste Mal in den letzten Tagen.

      Er seufzt. Es hilft alles nichts. Langsam muss er den Tatsachen ins Gesicht sehen, dass Martha nichts mehr von ihm wissen will. Sie hat ihn aussortiert wie den abgetragenen Schuh vom letzten Sommer.

      Beckmann geht zu seiner Musikanlage und bedient die Starttaste. Element of Crime. Er dreht die Lautstärke auf. Richtig schön war’s nur mit dir. Nein, das braucht er jetzt nicht. Ein Druck auf die Stopptaste und Sven Regener schweigt.

      Beckmann hasst diese einsamen Wochenenden. Früher galten die freien Tage als der Höhepunkt der Woche. Er liebte es, die Zeit mit seinem Sohn zu verbringen, Hand in Hand mit Christopher durch den Zoo zu schlendern, seinem Geplapper zu lauschen und den kindlichen Gedankengängen zu folgen. Nach der Trennung von seiner Frau Miriam hat er ihn regelmäßig besucht. Doch dann ist sie mit Christopher nach München gezogen. Seitdem ist es vorbei mit diesen spontanen Ausflügen. Zuletzt hat er seinen Sohn vor einem halben Jahr gesehen. Der Kleine nennt den Neuen seiner Ex jetzt Paps. Das hat Beckmann mehr getroffen, als er zugibt. Hat er sich deshalb entschlossen, den Jungen nicht weiter mit seinen Besuchen zu verwirren?

      In stillen Stunden stellt er diesen Entschluss jedoch genauso in Frage wie vieles andere. Wie kann es angehen, dass jemand die vierzig überschritten und immer noch keine Linie |35|für sein Leben gefunden hat? Darüber wundert er sich nicht zum ersten Mal. Im Gegenteil. Die Abstände werden immer kürzer. Liegt es an seinem Beruf? Die Scheidungsrate bei Polizisten soll besonders hoch sein, genau wie die Selbstmordrate. Vielleicht hätte er einen anderen beruflichen Weg einschlagen sollen. Sein Kunstlehrer hat ihn in der Oberstufe immer aufgezogen: Junge, mit diesem Namen solltest du Maler werden. Nomen est Omen. Von wegen. Mit künstlerischer Kreativität ist es bei ihm nie weit her gewesen. Quer und anders zu denken, Dinge, die scheinbar nicht zusammen gehören, in Verbindung zu bringen, sie wie ein Puzzle miteinander zu verknüpfen, dazu hat er Talent. Er ist ein neugieriger Mensch, ein hartnäckiger Schnüffler. Penetrant verfolgt er aufgenommene Spuren. Er ist gerne Ermittler – das wird ihm immer klarer, je älter er wird. Die Arbeit gibt seinem Leben einen Sinn. Arbeit als Sinn des Lebens. So weit ist es schon mit ihm gekommen. Sein Vater, Arbeiter in einer Gummifabrik, hat immer gesagt: Ich arbeite, um zu leben. Bei ihm ist es umgekehrt. Er lebt, um zu arbeiten. Sei’s drum. Dann stürzt er sich eben in diese Arbeit. Davon hat er schließlich genug. Beckmann zieht den USB-Stick aus seiner Jackentasche. Darauf sind ein paar Dateien und heruntergeladene Seiten aus dem Internet, die er schon längst bearbeitet haben wollte. Doch gestern hatte ihm die Hitze die letzten klaren Gedanken aus dem Gehirn getrieben – oder besser gesagt, sein Kollege. Frank Rischmüller, mit dem er sich das Zimmer im Landeskriminalamt teilt, pries den ganzen Nachmittag über Hannovers Maschseefest in den höchsten Tönen an.

      »Der erste Abend ist immer der Beste«, hatte er nicht nur |36|einmal behauptet und Beckmann schließlich zum Mitkommen überredet.

      Neben der Bühne des NDR am Nordufer tranken Rischmüller und er das erste Bier. Die Musik schallte zu ihnen herüber und sie waren froh, als die wild herumhüpfende Sängerin einer Nachwuchsband endlich Pause machte.

      »Was für eine Hitze. Ich hol uns noch ein Becks«, bot Rischmüller an. Nach der dritten Flasche an einem ruhiger gelegenen Bierstand gestand Rischmüller ihm, dass er den ganzen Haufen beim Landeskriminalamt seltsam findet.

      »Die hätten unendliche Möglichkeiten und machen nichts draus.«

      »Wie meinst du das?«

      »Ach nur so.« Rischmüller warf ihm einen verschwörerischen Blick zu und strich sich mit einer langsamen, fast lasziven Bewegung die dunkelbraune Haarsträhne zurück, die ihm im nächsten Moment wieder vor die Augen fiel.

      Mit jedem Bier, das dem ersten folgte, wurde das Treiben rund um den See lauter und ihr Gespräch offener. Es stieg an, schwoll ab, war ruhig und dann wieder unvermutet ernst. Die dröhnende Musik störte Beckmann zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr.

      »Willst du kriminelle Machenschaften im Netz aufdecken, musst du den Gegnern eine Nasenlänge voraus sein – besser zwei«, philosophierte Rischmüller.

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