Novembertod. Iris Leister

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Novembertod - Iris Leister

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gesagt. «Als ob es darum ginge. Euer Ebert will doch nur das alte Reich mit neuem Etikett. Ich wette, der hätte am liebsten noch den Kaiser zurückgeholt.»

      Trampe hatte wütend etwas vom Bolschewismus gezischt.

      «Aber davon redet doch niemand. Die meisten Arbeiterräte sind doch von euch!» Margarete wandte sich an Kappe. «Kappe, wie siehst du die Sache?»

      Kappe war froh, dass der Zug in diesem Moment in den Bahnhof Börse einfuhr und er um eine Antwort herumkam. Er hatte das Gefühl, zwischen allen Stühlen zu sitzen, und hoffte, nach der Veranstaltung im Zirkus Busch klarer zu sehen. «Ich denke, ich muss mir erst mal anhören, was die da drinnen zu sagen haben.»

      «Aber du musst doch eine Meinung haben.» Margarete schaute Kappe herausfordernd an.

      «Lass mal gut sein, Margarete. Der Mann hat gerade andere Sorgen.» Trampe legte seinen Arm um Kappes Schulter.

      Margarete ließ nicht locker. «Trotzdem ist das wichtig. Er muss doch wissen, in welcher Welt sein Kind aufwachsen soll.»

      «Wenn ich’s weiß, sag ich’s dir.»

      Margarete lächelte. «Ich werd dich dran erinnern.» Trampe schüttelte den Kopf. «Frauen.»

      «Na, du kennst doch Margarete. Es wäre unheimlich, wenn sie mich nicht dran erinnert», sagte Kappe.

      Margarete lachte. Er sah ihr in die Augen. Und als ihr bernsteinfarbener Blick ihn traf, hielt er für einen winzigen Moment die Luft an. Im selben Augenblick wurden sie in den Strom von Arbeitern und Soldaten gesogen, der unablässig zum Zirkus Busch floss. Als sie schließlich durch die Eingangstür hindurchgedrückt wurden, kreisten Kappes Gedanken schon wieder um Klara und das Kind. Sie schoben sich am Restaurant und der Konditorei vorbei. Der Mann neben Kappe, ein Soldat in einer Uniform, bei der der linke Ärmel bis zur Schulter leer und mit einer rostigen Sicherheitsnadel im Rücken festgesteckt war, löschte seine Pfeife. Andere zogen das letzte Mal tief an ihren Zigaretten, bevor sie sie ausdrückten. Qualmwolken hingen in der Luft. Der Lagerfeuergeruch der Buchenlaubzigaretten holte Kappe aus seinen Gedanken.

      «Großartige Erfindung unserer Obersten Heeresleitung», sagte er zu Trampe.

      Trampe nickte. «Die Soldaten haben sie im Feld massakriert, und die Armen mit ihrer Ersatzware. Aber das ist ja jetzt glücklicherweise vorbei.»

      «Aber nur, wenn wir jetzt alles richtig machen. Ich trau eben diesem Ebert nicht», sagte Margarete.

      Trampe verzog das Gesicht. «Aber ihr mit eurem Liebknecht.»

      Kappe befürchtete, zwischen beiden schlichten zu müssen, sah aber, dass Margarete und Trampe plötzlich wie angewurzelt stehen blieben. Das gewaltige Rund der Zirkusarena öffnete sich, die Sitzreihen steil aufragend wie eine Schlucht, Menschen dicht an dicht, die unteren Ränge feldgrau von Soldaten und auf den oberen die Arbeiter. Ein Gewirr aus Tausenden von Stimmen fing sich an der Zirkuskuppel. Die Atmosphäre war elektrisch.

      «Dass es so viele sind!» Margarete standen Tränen in den Augen.

      «Ganz, ganz groß», sagte Trampe ehrfürchtig.

      Auch Kappe war beeindruckt. «Unglaubliche Organisation!»

      «Ham sie hier Jepäck zu stehen, oder warum jehtet ni’ weiter?», quengelte eine Frau hinter ihnen.

      «Weiter, Genossen! Nicht gleich im Eingang der Revolution stehen bleiben», rief ein Mann. Irgendwer schubste Kappe. Die drei wurden unerbittlich die Treppen zu den oberen Rängen hochgeschoben. Im Gewühl entdeckte Margarete eine Kollegin. Die Frau winkte und begann sofort, ihre Sitznachbarn umzusortieren und zusammenrücken zu lassen, damit Margarete und ihre beiden Begleiter sich neben sie setzen konnten. Kappe und Trampe folgten Margarete, stiegen über Beine, drückten sich an den Sitzenden vorbei und quetschten sich neben die Frau. Sie war klein und rundlich. Kappe fielen ihr sehr roter Mund und ihre gesunde Gesichtsfarbe auf. Er wunderte sich, wie frisch sie im Gegensatz zu ihnen allen aussah.

      «Darf ich euch vorstellen: Luise Görtz, Beauftragte von Wertheim. Luise hat übrigens auch mal bei Hertzog gearbeitet. Luise, das sind meine Freunde Hermann Kappe und Theodor Trampe.» Kappe schüttelte Luises Hand.

      «Kappe? Sind Sie nicht der, der damals unse’ Klara jeheiratet hat? Wat waren Sie noch mal? Kriminaler?»

      Kappe nickte.

      «Schöne Freunde hast du. Fehlt nur noch, dass dein Trampe Mehrheitssozialist ist.» Luise griff nach Trampes Hand.

      Nach der ersten Schrecksekunde fing Trampe an zu lachen.

      «Kein Wunder, dass Margarete und Sie befreundet sind!»

      «Sei vorsichtig, was du sagst, Trampe», sagte Margarete.

      «Hast recht, Luise. Ist zwar nicht mein Trampe, aber Mehrheitssozialist ist er trotzdem.»

      «Und Arbeiterrat bei DeTeWe.» Trampe war hörbar stolz.

      «Na, ick sage immer, jeder nach seiner Fasson. Mensch, kiekt ma, da vorne geht’s gleich los!»

      Kappe sah in die Manege, wo ein Podium und Tische aufgebaut waren, an denen mehrere Männer in Anzügen saßen. Kappe glaubte, Ebert, Liebknecht und Barth zu erkennen. Einige der Männer waren in Gespräche vertieft, andere wandten sich den Rücken zu. Einer trat ans Podium und schlug eine Glocke an. Und obwohl Kappe den Glockenschlag kaum hören konnte, erstarb wie auf Kommando jegliches Geräusch. Kappe sah sich um. Die Ränge waren schwarz von Menschen. Alle Blicke waren gebannt auf das Podium gerichtet. Luise starrte durch ein Opernglas nach vorne. Nach ein paar scheinbar einleitenden Worten gab der Mann das Podium für einen anderen frei. Luise stieß Kappe in die Seite und drückte ihm das Opernglas in die Hand. Ihr Mund formte das Wort «Ebert». Kappe schaute durch das Glas, und sein Blick verfing sich zunächst in den Reihen der Soldaten, die so diszipliniert dasaßen, als wären sie gefroren. Sein Blick tastete sich weiter zum Podium. Im Opernglas erschien ein dunkelhaariger vierschrötiger Mann, dessen Kopf fast halslos auf dem tonnenförmigen Oberkörper aufsaß. Das Gesicht beherrschte ein dunkler Schnurrbart, ergänzt durch einen Kinnbart in der Form eines Kommas. Ebert sah genauso aus, wie Kappe ihn von den Zeitungsphotos her kannte. Seine Körpersprache war behäbig. Kappe konnte die Worte «Einigung der sozialistischen Parteien» von seinen Lippen lesen. Er setzte das Opernglas ab und sah, dass Trampe sich, das Gesicht vor Konzentration verzogen, die Hände an die Ohren hielt, um besser zu hören. Kappe gab das Opernglas an ihn weiter.

      Ebert redete noch eine ganze Weile. Plötzlich brandete in den unteren Rängen Applaus auf. Die Rede war beendet. Der Applaus pflanzte sich fort bis in die letzten Ränge. Ein anderer Mann erklomm das Podium. Kappe erkannte das schmale Gesicht mit dem gewaltigen Schnurrbart. Es war Haase, der Vorsitzende der Unabhängigen. Nun teilten sich Margarete und Luise das Opernglas. Beide waren angespannt, und diejenige, die hindurchsah, erklärte der anderen, was sich in der Manege abspielte. Obwohl die Akustik im Zirkus eigentlich gut war, waren die Stimmen zu schwach, um bis in alle Ränge zu dringen. Kappe konnte wie die meisten anderen weder die Reden verstehen noch genau sehen, was passierte. Seine Blicke wanderten über die gefüllten Ränge bis hin zur Kaiserloge. Die roten Samtvorhänge waren zugezogen. «Für dich ist die Vorstellung ein für alle Mal vorbei», dachte Kappe wütend. «Du gehst einfach nach Holland, und wir müssen sehen, wie wir aus dem Kladderadatsch wieder rauskommen.»

      Vor anderthalb Jahren war er mit Klara hier gewesen, als die Pantomime Die versunkene Stadt uraufgeführt worden war. Hungrig und frierend

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