Das Attentat auf die Berliner U-Bahn. Horst Bosetzky

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Das Attentat auf die Berliner U-Bahn - Horst Bosetzky

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der Ingenieure, die für das ordnungsgemäße Funktionieren der Bahn zuständig waren, war Erich Abendroth. Er wurde des Öfteren gefragt, ob er Engländer sei, denn er beherrschte die fremde Sprache nicht nur nahezu perfekt, sondern hatte auch etwas von einem echten Lord an sich. Jedenfalls in der Vorstellung der Berliner. Schlank war er und fiel durch vollendete Manieren auf. Verwunderlich war das aber nicht, hatte er doch im Auftrage der Firma Siemens & Halske einige Jahre in London verbracht und sich mit der Verlegung von Seekabeln befasst. Wieder in Berlin zurück, war er, gerade einmal 34 Jahre alt, zum Oberingenieur aufgestiegen und hatte endlich eine Familie gründen können. Man hatte in der Großbeerenstraße eine geräumige Wohnung gemietet, trug sich aber mit dem Gedanken, hinaus in einen der Vororte zu ziehen, wenn diese erst besser mit der Bahn zu erreichen waren.

      Dorothea Abendroth kam aus Landsberg an der Warthe, der idyllischen Kreis- und Emidiatstadt in der Neumark, wo ihr Vater als Apotheker zu den Honoratioren gehörte. Sie war durch und durch höhere Tochter, fast schon bis zur Parodie, und passte insofern bestens zum Herrn Oberingenieur. Etwas müde war sie heute, denn sie hatte am Morgen schon Lawn Tennis gespielt. Das schickte sich für eine Dame, die etwas auf sich hielt. Dennoch hatte sie daran festgehalten, ihrem Mann auf der Gewerbeausstellung einen Besuch abzustatten, denn für den Nachmittag hatte sich auch Werner Siemens angemeldet, und den wollte sie sich nicht entgehen lassen. Ihn zu kennen erhöhte ihr Ansehen sowohl im Tennisclub wie auch im Kreise ihrer Freundinnen. Um ihm zu gefallen, hatte sie ein Kostüm aus dem Schrank geholt, das an sich für diese Gelegenheit viel zu schick war. Es war aus schwarzem broschiertem Atlas geschneidert, durch und durch mit schwarzer Seide gefüttert und sehr reich mit Guipure-Spitze garniert. Hinten war der Stoff zu einer faltigen Puffe aufgerafft und mit Agraffen versehen. Das eigentliche Kleid bestand aus moosgrünem Satin Merveilleux, besetzt mit gleichfarbiger Spitze. Dazu trug sie einen Manila-Hut mit Einfassung und Schleier aus grünem Samt, Stahlschnalle und drei Federn.

      Ihre jüngere Freundin Hertha Mahlgast war etwas weniger aufwendig gekleidet, aber sie war ja auch nicht darauf aus, Eindruck auf den obersten Vorgesetzten ihres Mannes zu machen. Man hatte sich während der Sommerfrische beim Badeleben in Heringsdorf kennengelernt und danach gemeinsame Spaziergänge im Victoria Park unternommen – wohnte man doch nahe beieinander.

      Fröhlich drehten die beiden eine Runde mit der Siemens-Bahn. Dann standen sie an einem Bierausschank und warteten, bis Dorotheas Mann einen Augenblick Zeit für sie hatte. Gesprächsthemen gab es genug. Da war zuerst die Angst vor der Pest. Würde sie bis nach Berlin kommen, war die bange Frage. Im russischen Astrachan war sie ausgebrochen und schon bis nach St. Petersburg vorgedrungen. Im Reichstag hatte der Sanitätsrat Dr. Georg Christian Thilenius erklärt, die Seuche sei auf eine Luftvergiftung durch klitzekleine Tierchen zurückzuführen, auf sogenannte Bakterien – und war von den Vertretern aller Parteien ausgelacht worden. In Berlin hatte man große Mengen an Chemikalien in die Gewässer geschüttet, um die Pesterreger abzutöten.

      »Die BZ hat geschrieben: Wir sehen in der Tat einem chlorreichen Sommer entgegen«, sagte Hertha Mahlgast. »Ist das nicht drollig?«

      Dorothea Abendroth lachte. »Noch drolliger ist, dass Erich demnächst nach Pest fahren soll, weil die Ungarn an einer elektrischen Bahn interessiert sind, wie Siemens sie projektiert.«

      »Möchtest du eine Bulette essen?«, fragte Hertha Mahlgast.

      Dorothea Abendroth schüttelte sich. »Nein, wo doch das Gerücht geht, dass wieder viel Pferdefleisch als Rinderfilet verkauft wird.«

      »Meine Köchin sagt, det is allens ejal, wenn man nich die Droschkennummer rausschmeckt.«

      »Man könnte in Schwermut verfallen«, stöhnte Dorothea Abendroth.

      »Du bist doch nicht Sissi.« Die schöne Kaiserin, 42 Jahre alt, litt an Schwermut.

      »Hör auf, darüber spottet man nicht. Sie feiern doch in diesem Jahr ihre Silberhochzeit.«

      Hertha Mahlgast wechselte das Thema. »Hast du schon die Züricher Novellen von Gottfried Keller gelesen?«

      »Nein. Der grüne Heinrich war mir damals zu langatmig. Wie Schweizer eben sind. Da ist doch Dostojewski von ganz anderem Temperament. Mein Buchhändler will mir so schnell wie möglich Die Brüder Karamasow besorgen.« Und Dorothea Abendroth hatte noch eine andere kulturelle Neuigkeit zu vermelden. »Bruckner soll eine neue Symphonie haben, die 6., in A-Dur. Und wir haben schon …«

      Sie brach ab, denn in diesem Augenblick kam ihr Mann mit Werner Siemens an der Seite auf sie zu. Sie war sehr befangen, als ihr der berühmte Erfinder und Fabrikant vorgestellt wurde. Da ihr die Worte fehlten, nahm sie zu Goethe Zuflucht und bemühte den Schüler aus dem Faust, wenn auch ein wenig abgeändert: »Ich bin heute nach Moabit gekommen, um einen Mann zu hören und zu kennen, den alle mir mit Ehrfurcht nennen. Mein Erich ganz besonders.«

      Werner Siemens war ein zu sachlicher Mensch, als dass er mit der Gattin eines seiner Untergebenen einen Dialog geführt hätte, wie man ihn aus französischen Theaterstücken gewohnt war. Die Sätze zu drechseln war ihm zu mühsam. Er brauchte seine Energien für anderes.

      Er beließ es daher bei einer knappen Verbeugung. »Ihre Worte ehren mich, Gnädigste, aber was Ihren Mann betrifft, so weiß ich ihn auch ohne Ihre Schmeichelei zu schätzen. Ich darf mich bei dieser Gelegenheit auch gleich bei Ihnen dafür entschuldigen, dass Sie ihn in nächster Zeit womöglich seltener zu Hause sehen werden als bisher, denn er ist von der Idee eines Netzes elektrischer Schnellbahnen für Berlin ebenso fasziniert wie ich, und nachdem vor einem Jahrzehnt meine ersten Pläne in den Papierkorb der Obrigkeit gewandert sind, werden wir in nächster Zeit unsere Bemühungen verstärken, um zum Zuge zu kommen. Dies im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich zum elektrisch angetriebenen Zug. Unsere Bahn hier«, er zeigte auf die kleine Bahn, die ohne Unterlass ihre Runden drehte, »unsere Bahn hier gibt ja zu den schönsten Hoffnungen Anlass.«

      »Meinen herzlichen Glückwunsch dazu«, sagte Hertha Mahlgast. »Und mich freut das ganz besonders, war es doch mein Schwager, der an ihrer Entwicklung maßgeblich beteiligt war.«

      Werner Siemens überlegte einen Augenblick. Dann verdüsterte sich sein Gesicht. »Sie meinen Germanus Cammer?«

      »Ja.«

      »Schrecklich! Er ist und bleibt verschwunden. Sie können versichert sein, dass ich all meine Beziehungen zur Polizei habe spielen lassen, um sein Schicksal aufklären zu lassen, doch vergeblich. Dabei hätte ich ihn so gern dabei, wenn wir zur nächsten Attacke gegen Baurat Hobrecht blasen.«

       1880

      James Friedrich Ludolf Hobrecht war ein Mensch, der allein schon wegen seines Geburtstages etwas ganz Besonderes war, hatte er doch zu Silvester das Licht der Welt erblickt, genauer gesagt am 31. Dezember 1825. Dies war in Memel geschehen, dem vorgeschobenen Außenposten Preußens. Zur höheren Schule war er dann in Königsberg gegangen, ohne aber auf dem Collegium Fridericianum das Abitur zu schaffen. Irgendwie stand er immer im Schatten seines älteren Bruders. Beider Schicksal aber hieß Berlin.

      Als sie es im jugendlichen Alter zum ersten Mal besuchten, stank es in der preußischen Metropole erbärmlich. Das lag daran, dass alle häuslichen und gewerblichen Abwässer sowie der Regen in Rinnsteinen entsorgt wurden, die bis zu einem Meter breit waren und einen Meter tief zwischen Straßenrand und Bürgersteig verliefen. Die Bürger hatten sie auf Brettern und Bohlen zu überwinden. Für die Fäkalien gab es zwar Abtritte auf den Hinterhöfen, aber die wurden nicht immer wie vorgeschrieben abgeschöpft, denn die Brühe in besondere Jauchewagen umzufüllen und vor die Stadt zu schaffen war äußerst lästig. Viel einfacher war es da, die Nachteimer

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