Planetenschleuder. Matthias Falke

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Planetenschleuder - Matthias Falke

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hatten wir jetzt nicht die Zeit, weit genug in den Raum hinauszufliegen; wir hätten uns mehrere Kilometer von den silbernen Flanken des Schiffes entfernen müssen, um die MARQUIS DE LAPLACE in ihren ganzen majestätischen Ausmaßen, vom schlanken und eleganten Bug mit seiner konisch zulaufenden Schnauze, in der jetzt eine furchtbare Wunde klaffte, bis zum kilometerweit abgelegenen Heck mit seinen klobigen Reaktorblocks in den Blick bekommen zu können. In der geringen Höhe, in der wir über ihre Aufbauten, Segmentkammern und Ebenen aus Stahl hinwegglitten, konnten wir kaum die Abmessungen der jeweiligen Decks überblicken, deren verschachtelte Strukturen unter uns zurückfielen. In großer Geschwindigkeit zogen die Segmente VI und V, jedes mehrere Kilometer lang, unter uns dahin. Gewaltige Landschaften aus durchscheinenden Carbonglasfenstern, hinter denen man insektenhafte Aktivitäten ahnte, und weitläufigen Hochplateaus aus schimmerndem Titanstahl. Man hätte Tage gebraucht, um diese Schluchten und Gebirge aus poliertem Metall zu durchwandern, wenn man als Fußgänger auf ihnen gestrandet wäre, und doch war es nur ein Ausschnitt, der mittlere Teil des Rumpfes der fliegenden Stadt, die seit vielen Jahren die Heimat von zehntausend Menschen war.

      Niemand an Bord der EVA sagte ein Wort. Schweigend sahen wir zu, wie Sektor nach Sektor unter uns dahinzog. Auch der offene Kanal, über den wir mit der Brücke der MARQUIS DE LAPLACE verbunden waren, war verstummt. Dort hatte man anderes zu tun, als Konversation zu betreiben. Wir konnten nur hoffen, dass Rogers alles, was er für uns tun konnte, bereits in die Wege geleitet hatte, bis wir vor Ort eintrafen.

      Wieder schien es, als ob ein Zittern über das Schiff hinlief. Es hatte seine Drehbewegung eingestellt und lag jetzt wieder ruhig auf seiner Bahn. Aus vereinzelten Vorsprüngen an den Außenpunkten der Segmente sahen wir die blauen Ionenstrahlen der Steuerdüsen, die die Lage des Schiffes im Orbit korrigieren sollten. Es schien ihnen allerdings nicht zu gelingen, seine Masse stabil zu halten. Wie ein leckgeschlagener und antriebsloser Tanker, der von den Brechern hin und her geworfen wird, dümpelte es in seiner unsichtbaren See aus Leere und Gravitation.

      Auf einem stummen Videomonitor verfolgte ich die ersten Schadensmeldungen, die vom Kleinen Drohnendeck einliefen. Es hatte eine schwere Plasmaexplosion gegeben. Ein Shuttle war zerstört. Mindesten drei Techniker waren ums Leben gekommen. Was für Kräfte mochten das sein, die das Schiff so durchwalkten?

      Endlich tauchte Segment IV unter uns auf, das Große Drohnendeck, dessen viermal acht riesige Hangartore bereits weit geöffnet waren. Mehrere Dutzend Drohnen, Shuttles und EVAs hatte man schon in Sicherheit gebracht und in einen Parkraum einige Kilometer jenseits des Bugs des MARQUIS DE LAPLACE zurückgenommen. Andere kleinere Fluggeräte, v.a. unbemannte Robotdrohnen, bewegten sich in entgegengesetzter Richtung, um sich unter das Heck des Schiffes zu flüchten. Man verteilte alles, was sich im Großen Drohnendeck befunden hatte und was nicht niet- und nagelfest war, auf zwei ungefährdete Positionen.

      Gerade parkte die Enthymesis II aus und schob sich bei Kleiner Fahrt langsam rückwärts aus ihrem riesigen Hangar. Der Explorer war mächtig im Vergleich zu den winzigen Shuttles, die um ihn herumwimmelten, und klein im Vergleich zum langgestreckten Leib des MARQUIS DE LAPLACE, die sich nach vorwärts und rückwärts als silberflimmernde Ebene im Weltraum verlor. Wieder einmal fiel mir auf, wie bullig die Explorer waren. Kraftpakete, die es an Geschwindigkeit, Transportkapazität und Reichweite mit jedem anderen Schiff der Union, mit Ausnahme ihres eigenen Mutterschiffs, aufnehmen konnten. Sie waren die Arbeitspferde der interstellaren Explorationen, hässliche, grobschlächtige, quadratschädlige Monster, die aber bis jetzt noch jedem Sturm getrotzt hatten.

      Meter um Meter schob sich die Enthymesis II unter uns aus ihrer weiträumigen Garage. Aus größerer Entfernung hätte es ausgesehen, als gehöre die MARQUIS DE LAPLACE der Klasse der Lebendgebärenden an, die aus ihrer Taille kleinere und größere Wesen ausstieß. Auf der Brücke, nur wenige Meter unter uns, erkannte ich Colonel Kurtz, der salopp die Hand an die Schläfe legte und grinsend salutierte. Ich konnte mir vorstellen, dass dies eine Aktion ganz nach dem Geschmack des alten Draufgängers war. Er hatte mehr Bruchlandungen gebaut und mehr Schiffe zu Schrott geflogen als alle anderen Mitglieder der fliegenden Crew zusammen. Trotzdem schaffte er es irgendwie, um alle Disziplinarmaßnahmen herumzukommen und als einer der besten Piloten der Union zu gelten. Hochdekoriert war er jedenfalls. Er brachte es fertig, für jede gescheiterte Mission eine weitere Auszeichnung zu erhalten. Ich grüßte zurück und nickte ihm feixend zu.

      »Sag ihm lieber, er soll ein bisschen hinmachen«, schimpfte Jennifer. »Wir haben nämlich nur noch fünf Minuten!«

      Dann riss sie die Maschine herum und gab vollen Schub. Wir flogen eine enggezogene Spirale und schossen unter den klobigen Stelzenfüßen des 300 Meter langen Explorers in den Hangar hinein. Jill atmete tief durch, als sie die Hände von der Konsole nahm. Jennifer hatte uns eines ihrer gefürchteten Manöver gezeigt. Jetzt übergab sie an die Automatik der EVA, ließ die Türen aufgleiten, an denen noch die Spannung des Generatorfeldes britzelte, legte mit lässiger Geste den Hebel um, der die Parksequenz der Drohne aktivierte, und sprang dann aus drei Metern Höhe auf die stählernen Planken des Großen Drohnendecks hinunter.

      »Warum macht sie so etwas?«, keuchte Reynolds.

      Wir warteten, bis die Drohne abgesunken war, und sprangen dann ebenfalls hinaus. Jennifer war schon an dem Technikertrupp vorbeigerannt, der an der vorderen Steuerbordstelze Aufstellung genommen hatte, um ihr das Schiff zu übergeben.

      »Weil sie es eilig hat«, gab ich zurück.

      Wir liefen unter der schwarzen Masse des Explorers hindurch. Es war zu hören, wie seine Systeme anliefen. Die Triebwerke strahlten bereits Hitze ab, die Korrekturdüsen glühten dunkelrot, die Leuchtsignale, die überall in die Stelzen und die Aufbauten eingelassen waren, sprangen flackernd an. Ohne stehen zu bleiben, nahm ich die Meldung des Leitenden Technikers ab.

      »Hat sie genügend Sprit?«, rief ich dem Mann, einem blutjungen Officer, zu.

      »Tausend Tonnen Plasma«, gab er zurück. »Wir hatten nur zwei Minuten, aber das Baby ist voll bis unters Dach.«

      »Das werden wir jetzt nämlich brauchen«, rief ich und bedeutete dann ihm und seiner Crew, sich in Sicherheit zu bringen. Das Deck musste vollständig evakuiert werden. In drei Minuten durfte sich kein Mann und kein leerer Blechkanister mehr hier befinden.

      Wir kletterten die Rampe hinauf und rannten den zentralen Korridor hinunter, der an der Messe vorbei zur Brücke führte. Hier waren wir zuhause. In völliger Finsternis, bei ausgeschalteter Schwerkraft und volltrunken hätte ich mich in diesen Gängen zurechtgefunden. Zusammengenommen hatten wir viele Jahre hier verbracht, davon die eine oder andere abenteuerliche Stunde, die uns innerhalb der Crew und mit dem Schiff untrennbar zusammengeschweißt hatte.

      Jennifer saß schon auf ihrem angestammten Platz, dem gravimetrischen Sessel am Hautbedienplatz der Ersten Pilotin. Jill warf sich neben sie auf den Platz der Zweiten Pilotin und machte sich sofort an ihren Anzeigen zu schaffen, während Reynolds und ich unsere Plätze im rückwärtigen Bereich der Brücke einnahmen und die Gravitationsgurte unserer sensoriellen Sitze aktivierten. Der WO holte sich den Online-Abgleich mit dem Hauptrechner der MARQUIS DE LAPLACE auf den Schirm. Neben Jennifer hatte er die wichtigsten Aufgabe bei der bevorstehenden Millimeterarbeit.

      »Quick Time Boot«, rief Jennifer der Automatik zu. »Nur primäre Systeme. Statusbericht kannst du dir sparen.«

      Vertraute und anheimelnde Geräusche waren zu hören. Die Eingangsluken schlossen sich. Zischend entleerten sich die Schleusenkammern. Überall im Schiff glitten die Schotte zu und rasteten mit hartem metallischen Krachen ein. Das langsam ansteigende Brummen war zu hören, mit dem die Feldgeneratoren die Außenabschirmung aufbauten. Ein leichtes Vibrieren zeigte an, dass die Maschinen Leistung aufnahmen und bereit waren, die gewaltigen Kräfte zu entfalten, zu denen diese bulligen Ackergäule fähig waren.

      »In

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