Planetenschleuder. Matthias Falke

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Planetenschleuder - Matthias Falke

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starrte gebannt auf meinen Schirm. Dreißig Sekunden Brenndauer waren verstrichen. Im freien Flug hätte die Enthymesis jetzt schon auf mehrere tausend Stundenkilometer beschleunigt. So klebte sie an der gewaltigen Masse der MARQUIS DE LAPLACE, die sich um keinen Millimeter rührte.

      »Bedenken Sie ebenfalls«, fing Frankel wieder an, »dass 80 Prozent der Schiffsmasse im Reaktorblock in den hinteren Segmenten liegen. Er wird wie ein Fixpunkt wirken; bestenfalls wird sich der Rest des Schiffes wie ein Türflügel in der Angel darum herumdrehen.«

      Vierzig Sekunden. Uns blieben keine zwei Minuten mehr. Jennifer erhöhte den Schub auf hundertzehn Prozent.

      »Dann lassen Sie«, fuhr sie Frankel an, »diese Erkenntnis in Ihre Berechnung einfließen, statt mir was vorzuquatschen!«

      »Das geschieht bereits«, gab der Stellvertretende Leiter der Planetarischen ungerührt zurück. »Aber ich mache Sie nochmals darauf aufmerksam, dass unsere Hauptsteuerung schwer angeschlagen ist.«

      »Lecken Sie mich mit Ihrer Steuerung«, fluchte Jennifer.

      Mit indigniertem Knacksen erlosch der Kanal. Jill hatte die Hände von ihrer Konsole genommen. Mit aufgerissenen Augen und zitternder Stimme wandte sie sich an die Erste Pilotin.

      »Wir schaffen es nicht«, jammerte sie. »Sollen wir nicht doch lieber das Haupttriebwerk ...?«

      »Sind denn alle wahnsinnig geworden?!«, tobte Jennifer. »Lassen Sie das Haupttriebwerk. Das hier ist Millimeterarbeit.«

      »Eben«, ergriff Reynolds jetzt das Wort. »Bis jetzt haben wir aber noch nicht einen Millimeter gewonnen, nicht einen einzigen ...«

      Ich starrte auf die Grafik. Der Pfeil der prognostizierten Bahn des Asteroiden zielte auf die mittleren Decks des Segments IV, mindestens 20 Meter über dem Großen Drohnendeck. Jennifer ließ ihren gravimetrischen Sessel herumwirbeln.

      »Reynolds«, rief sie mit einem Ton in der Stimme, der mich frösteln ließ, »haben Sie nichts, was Sie mir geben können?«

      Das Triebwerk brannte röhrend vor sich hin, aber es war, als hätten wir uns vorgenommen, einen Berg zur Seite zu schieben. Ob wir zu zweit, zu dritt oder zu viert die Ärmel hochkrempelten und Hand anlegten, war ganz einerlei.

      »Ich könnte«, sagte Reynolds in seiner langsamen Art, »die Steuerdüsen der MARQUIS DE LAPLACE online auf Ihre Konsole legen und sie mit dem Triebwerk der Enthymesis zu synchronisieren versuchen. Das würde unseren Schub nur um wenige Prozent erhöhen, aber die Basis verbreitern, an der er ansetzt.«

      »Warum haben Sie das nicht längst getan?«, herrschte sie ihn an.

      Reynolds verschwand im Inneren seines Monitors.

      »Das ist sehr riskant«, war Frankel jetzt wieder zu vernehmen. »Sie können die Düsen unmöglich manuell synchronisieren. Es sind mehrere tausend. Und wenn ihr Schub nicht abgestimmt ist, wird das Schiff anfangen zu rollen und dem Einschlag die verletzlichere Bauchseite bieten. Einen Treffer in die Flanke könnten wir vergleichsweise gut verkraften, aber die Konstruktion unserer Decks führt dazu ...«

      Sein Satz wurde abgehakt wie eine Rinderzunge, die das Beil des Metzgers aus dem Kiefer löst. Jennifer hatte den Kanal geschlossen.

      »Schwätzer«, sagte sie. »Seine Ausführungen haben mich schon längst gelangweilt.« Sie machte eine Pause, ehe sie fortfuhr: »Lambert, Reynolds, ich baue auf euch.«

      Ich sah auf die Zeitanzeige. Wir waren jetzt unter einer Minute. Auf einer holographischen Projektion konnte ich die sekündlich aktualisierte Prognose des Aufschlagspunktes sehen, die in einem Radius von einigen Metern über der Backbordflanke der MARQUIS DE LAPLACE kreiste. Sie schien sogar leicht nach oben hin auszuwandern. Wenn darin ein Trend läge, wäre es vielleicht einfacher, die MARQUIS DE LAPLACE nach unten aus der Schussbahn zu ziehen, statt sie nach oben wegzuschieben. Aber eine Schubumkehr hätte weitere kostbare Zeit gekostet und das Triebwerk um 40 Prozent seiner Leistung reduziert.

      Reynolds gab Jennifer das GO!

      Plötzlich knackte der offene Kanal.

      »Kümmern Sie sich nicht um Berechnungen und Instrumente«, sagte eine Stimme, die ruhig und erhaben im Raum zu schweben schien. »Vertrauen Sie einfach Ihrer Intuition, mein Kind.«

      »Und Schub!«, hatte Jennifer gerade geschrien und die Online-Module der Korrekturdüsen reingehauen. Jetzt hielt sie inne und lauschte der fremdartigen Ansprache, die aus dem Äther zu dringen schien.

      »Das ist Laertes«, jubelte sie dann. »Laertes! Jetzt kann nichts mehr schief gehen!«

      »Ich vertraue Ihnen«, sagte die Stimme des weißhaarigen Nestors an Bord der MARQUIS DE LAPLACE. »Sie sind die beste Pilotin, mit der ich je geflogen bin. Sie werden das Ding auch diesmal schaukeln.«

      Ich versuchte mir vorzustellen, wo der alte Philosoph gerade stecken mochte. Er durchstreifte die kilometerlangen Gänge des Schiffes und lebte wie ein Eremit in den entlegensten Winkeln. Oft kam es vor, dass man ihn wochenlang nicht zu Gesicht bekam. Dann stand er plötzlich wieder vor einem, kam lautlos in die Messe geschlurft, strich sich den weißen Bart und teilte einem den Gedanken mit, der ihn zuletzt beschäftigt hatte.

      »Hundertzwanzig Prozent«, stöhnte Jennifer. »Gib alles, voller Schub aus tausend Düsen. Das habe ich mir immer mal gewünscht.«

      Ich starrte auf den Schirm. Nichts geschah. Wir hatten noch dreißig Sekunden. Der Kreis, den das Prognosefeld auf die Außenspanten der MARQUIS DE LAPLACE malte, wurde langsam kleiner. Wie ein Theaterspot fokussierte sich die Vorausberechnung auf ein immer kleineres Feld, je näher das tödliche Geschoss herangerast kam.

      »Es reicht nicht«, heulte Lambert.

      Aber dann, unendlich langsam, ging eine Bewegung durch die beiden ineinander verkeilten Schiffe. Millimeter für Millimeter hob sich der riesige Leib der MARQUIS DE LAPLACE an.

      »Sie kommt«, jauchzte Jennifer.

      »Aber zu langsam«, stellte Reynolds fest. »Wir schaffen es nicht.«

      »Wir schaffen es«, sagte Jennifer und brüllte gleichzeitig »130!« in die Automatik.

      Martervoll tickten die Sekunden. Auf der großmaßstäblichen Projektion war keine Veränderung zu bemerken. Die Bewegung spielte sich in der Größenordnung von Millimetern ab. Unter titanischen Qualen überwand die Enthymesis die unvorstellbare Massenträgheit der MARQUIS DE LAPLACE und schob sie in Position. Langsam beschleunigte sich die Bewegung. Hatte sie Anfangs einen Millimeter pro Sekunde betragen, war es nun ein Zentimeter. Aber auch das war immer noch viel zu wenig.

      Verzweifelt sah ich die letzten Sekunden heruntertropfen wie heißes Wachs, das auf unbedeckte Haut tropft. Zehn Zentimeter pro Sekunde. Es nützte alles nichts mehr. Wir waren um einige Minuten zu spät. Im Nachhinein verfluchte ich Wiszewsky und seine langatmige Art.

      Da ging ein Ruck durch die Brücke, die unter dem Dröhnen der überlasteten Triebwerke erzitterte. Als wäre ein Widerstand überwunden oder ein Reißleine, die sich verhakt hatte, doch noch in letzter Sekunde gelöst, wurde die Drift des Schiffes plötzlich beschleunigt. Sie betrug auf einmal mehr als einen Meter pro Sekunde und nahm rasch zu. Die letzten fünf Sekunden tickten. Ich sah die Projektion. Der schmaler werdende rote Kreis schob sich langsam über die Außenwand. Er oszillierte und flackerte und wanderte dann beschleunigt

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