Planetenschleuder. Matthias Falke
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Wir sahen das leergefegte Deck und im Hintergrund, durch die sperrangelweit geöffneten Hangartore, den schwarz gähnenden Abgrund des Kosmos, der sich anschickte, eine tödliche Fracht auszuspucken. Und dann, schneller als ein Wimpernschlag, zischte ein silbergrauer Blitz durch die riesige Halle. Ein hingefetzter waagerechter Strich, der den Staub und einige Kleinteile aufwirbelte und die Luft, die das Deck ausfüllte, in einer langgezogenen rußigroten Detonation explodieren ließ. Die Generatorfelder vor den Hangartoren brannten blau auf und erloschen dann rieselnd zu ihrer gewohnten Unsichtbarkeit.
Jennifer schaltete rasch auf die Backbordkamera der Enthymesis, und im starken Zoom, der dem Phänomen hinterhereilte, erkannten wir gerade noch einen winzigen taumelnden Punkt, der mit irrwitziger Geschwindigkeit davonschoss und sich in den gleichgültigen Weiten der Leere verlor.
»Triebwerk aus«, sagte Jennifer.
Dann wurde es ganz still.
Kapitel 2. Schadensbericht
»Was war das?«, schnaubte Jennifer und stiefelte auf Rogers zu, als wolle sie ihn in der Luft zerreißen. Sie stand unter Strom und hatte sich noch nicht wieder unter Kontrolle. Ihre Fähigkeit, ihrem Temperament die Zügel schießen zu lassen, kam ihr in kritischen Situationen zustatten, wo sie in Sekundenbruchteilen komplizierte Entscheidungen treffen und ausführen musste, wurde aber gefährlich, wo sie sich zu Ausfälligkeiten gegenüber ihrem Vorgesetzten hinreißen ließ.
»Major«, begrüßte der Commodore sie in einer Harmlosigkeit, von der man nicht wußte, ob sie auf Naivität oder auf Raffinement beruhte. »Ich beglückwünsche Sie zu dieser Aktion. Noch heute werde ich Sie für den Großen Stern vorschlagen.«
Er strahlte uns kindlich an und forderte uns mit einer huldvollen Geste auf, in den weichen sensoriellen Sesseln der Messe Platz zu nehmen.
»Das gilt selbstverständlich auch für Sie, Commander«, fügte er nach einer Pause an, »sowie für die anderen Mitglieder ihrer formidablen Crew ...«
Reynolds und Lambert verneigten sich und suchten sich dann einen Platz. Ich tauschte einen Blick mit Svetlana, die mir anerkennend zublinzelte. Jennifer stand stocksteif da, wie ein Speer, den ein afrikanischer Häuptling im höchsten Zorn in die Erde gerammt hat, und fraß Dr. Rogers mit ihren stählernen Augen auf. Ich beeilte mich, ihren Arm zu ergreifen.
»Zwei meiner Triebwerksspulen sind durchgebrannt«, schäumte sie. »Mein Schiff wäre beinahe verglüht, und um ein Haar hätten wir es nicht geschafft!«
Ich verstärkte den ermahnenden Griff um ihren Unterarm. Was geschehen war, war geschehen. Es hatte keinen Sinn, sich im Hader gegenseitig zu zerfleischen. Wir mussten jetzt nach vorne schauen.
Rogers fasste sie mit spöttischem Lächeln ins Auge.
»Ich habe den Reaktorblock abgekoppelt und einige Millionen Tonnen Plasma abgelassen«, sagte er ruhig. »Das waren, wenn ich mich recht entsinne, Ihre Vorschläge.«
Ich nickte und versuchte, Jennifer von ihm wegzuziehen.
»Das hätten Sie fünf Minuten früher tun können«, brach sie aus. »Es hätte uns große Anstrengungen erspart!«
Wiszewsky hatte unterdessen seinen »Thron« erklettert, wie wir den schwersten und geräumigsten Sessel der Messe nannten, der ihm vorbehalten blieb. Die Komarowa schmiegte sich neben ihn und schlug die langen Beine übereinander. Während sie amüsiert vor sich hin schmunzelte, kraulte sie seinen Nacken. Der Commodore verfolgte das Wortgefecht zwischen seiner besten Pilotin und dem obersten Planetologen mit zerstreuter Aufmerksamkeit, etwa wie ein Großvater einer Auseinandersetzung seiner Enkel zusieht, von der er nicht weiß, ob es sich um einen Streit oder einen Sketch handelt.
»Beide Maßnahmen«, schlich Frankel sich jetzt von der Seite heran, »sind risikobehaftet und teilweise irreversibel. Es wird Stunden dauern, bis wir den Reaktorblock wieder angekoppelt haben, und das in den Raum gepumpte Plasma ist natürlich verloren ...«
»Wir wären alle verloren gewesen«, grollte Jennifer.
»Ich dachte«, sagte Rogers herablassend, »Sie würden es alleine schaffen.«
Er funkelte sie warnend an. Wir kannten uns alle viel zu lange, als dass wir einander ernsthaft hätten befehden können. Rogers war unser Ausbilder an der Akademie gewesen; seit zwanzig Jahren flogen wir miteinander auf der MARQUIS DE LAPLACE.
Unsere Vertrautheit barg die Gefahr, dass wir die dienstlichen Hierarchien, in denen wir standen, nur noch pro forma nahmen, aber vor allem Rogers war hier sehr empfindlich. Bei aller Jovialität achtete er peinlich darauf, dass die Abstufungen der Ränge eingehalten wurden.
»Ich bin bereit«, sagte er mit drohendem Unterton, »Ihre Ausfälle mit Ihren erhöhten Adrenalinwerten zu entschuldigen, Major Ash, muss Sie aber bitten, sich zu beruhigen.«
Am Eingang zur Messe entstand eine Unruhe. Ich erkannte Kurtz und einige andere Offiziere der fliegenden Crew, die uns über die Barriere hinweg zujubelten, aber offensichtlich hatten die Ordonanzen Anweisung, niemanden durchzulassen. Die Tür glitt wieder zu. Ich nutzte die Unterbrechung, Jennifer am Arm zu ziehen und ihr zuzuflüstern, sich zu mäßigen. Aber sie war jetzt wie ein bockiges Kind, das mit den Füßen stampft und auf seiner Sicht der Dinge beharren zu müssen glaubt.
Die Eingangstür öffnete sich wieder, und Laertes kam, nachdem er noch einige freundliche Worte mit den Ordonanzen gewechselt hatte, auf uns zugeschlurft. Er genoss Narrenfreiheit an Bord der MARQUIS DE LAPLACE, und selbst wenn ein Wachmann die ausdrückliche Anordnung gehabt hätte, niemanden durchzulassen, hätte Laertes passieren können. Er war eben nicht jemand, sondern der Bord-Philosoph, der sich durch die Decks und Gänge des Mutterschiffes bewegte wie ein weißbärtiger Geist.
Jennifer löste sich von mir und flog auf ihn zu, um ihn in die Arme zu schließen und seine bärtigen Wangen zu küssen. Sie liebte ihn, wie sonst nur eine Tochter ihren Vater liebt.
»Auftritt des Eremiten«, hörte ich Reynolds vor sich hinbrummen.
Rogers kam rasch zu mir.
»Das war gute Arbeit, Frank«, sagte er leise. Und mit einem Blick zu Jennifer, die jetzt wie ausgetauscht an Laertes' Arm hing, fügte er hinzu: »Sie ist beste, die wir haben, aber ...«
»Ich weiß«, fuhr ich ihm übers Wort. »Ich glaube, sie hat sich schon wieder gefangen.«
Laertes hatte die Situation mit einem Blick erfasst.
»Kinder, das war knapp«, sagte er mit der ihm eigenen philosophischen Heiterkeit. »Jetzt streitet euch nicht darum, wer den entscheidenden Eimer Wasser ausgegossen hat, sondern freut euch, dass das Feuer gelöscht ist.«
Er strahlte wie ein Buddha, um im nächsten Moment mit der Hostess zu schäkern, die auf einem Schwebetablett knallbunte Cocktails hereinbrachte.
»Wir erheben unsere Gläser auf Major Jennifer Ash«, sagte Wiszewsky, »und auf alle anderen, die daran mitgewirkt haben, unser Schiff zu retten!«
Wir prosteten einander zu und nippten an den süßen und leider alkoholfreien Drinks.
Ich hatte neben Reynolds Platz