Planetenschleuder. Matthias Falke

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Planetenschleuder - Matthias Falke

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dafür keine zehn Minuten mehr.

      »Serviceschacht geöffnet«, hörte ich Rogers' verzerrte Stimme. »Die operativen Einheiten sind informiert. Viel Glück!«

      Wir hatten das Ende des Ganges erreicht. Vor uns glitten die Türen der Schachtöffnung auseinander. Ein gelblich pulsierendes Licht fiel uns von dort entgegen. Als der Unterdruck mit sanftem Zischen entwich, bildete sich ein hellgelber Nebel, der theatralisch aus der offenen Tür wallte. Ohne auf die Kabine zu warten, sprang Jennifer in den senkrechten Schacht hinunter. Das Generatorfeld, das die künstliche Schwerkraft ersetzte, erfasste sie und ließ sie langsam nach unten schweben. Ich folgte ihr. In regelmäßigen Abständen, die die abgehenden Decks anzeigten, bänderten orangefarbene Reifen den Schacht, die im Rhythmus der Alarmsirenen aufglühten. Um die Schleusen spielten kleine Wölkchen aus Wasserdampf, die in dem unwirklichen Licht wie wattige Flammen um die Abzweigungen der horizontalen Gänge waberten. Ich sah hinauf, wo eben Jill Lambert in den Schacht gehechtet kam und langsam hinter uns herabschwebte. Dreißig oder vierzig Stockwerke über ihr war eine der automatischen Kabinen zu erkennen, die für gewöhnlich hier verkehrten, während es unter unseren Füßen um mehr als 100 Stockwerke senkrecht nach unten ging. Nur gut, dass wir als Mitglieder der fliegenden Crew daran gewöhnt waren, Begriffe wie oben und unten nicht allzu verbindlich zu nehmen. Wir spürten, dass das Schiff mit seiner Drehbewegung begonnen hatte. Da die stabilisierende Wirkung der virtuellen Gyroskope im Inneren des Serviceschachtes von den Feldgeneratoren überlagert wurde, wurden wir immer wieder leicht nach links abgedrängt. Das gewaltige Schiff rollte um uns herum, während wir uns gleichsam durch seine Hauptschlagader in die Herzkammer vorarbeiteten.

      Jennifer hatte die Schleusenkammer erreicht, die uns zur Segmentkupplung führen musste. Sie wartete damit, die Schleuse zu betätigen, bis ich und Jill neben ihr aufgesetzt hatten.

      »Reynolds«, brüllte sie in den dampfdurchzogenen Schacht hinauf. »Wo bleiben Sie denn?!«

      Das Echo ihres Rufes hallte sekundenlang in der riesigen Hohlröhre wider. Dann kam unser WO mit einem Sprung, von dem schwer zu sagen war, ob er sich einem Stolpern oder einem beherzten Hechter verdankte, in den Schacht gestürzt. Jennifer betätigte die Schleuse und ließ sie in geöffneter Stellung einrasten.

      Wir rannten in gestrecktem Lauf auf das Kleine Drohnendeck hinaus. Im ersten Sektor der Backbordseite erkannte ich eine mittelschwere EVA-Drohne, deren Triebwerke gerade heulend warmliefen. Dahinter glitt langsam und majestätisch das Hangartor nach oben und gab den Blick auf die nächtliche Leere des Raumes frei. Wir hielten auf das Shuttle zu, dessen Status Jennifer noch im Laufen über den tragbaren Kommunikator abfragte. Zwei Techniker standen davor. Als sie uns kommen sahen, nahmen sie Haltung an. Der kleinere von ihnen, ein schnauzbärtiger Corporal, salutierte.

      »Dr. Rogers hat uns informiert«, bellte er. »Sie gehört Ihnen, alle Systeme arbeiten einwandfrei.« Er drückte mir das Masterboard in die Hand und knallte die Hacken zusammen. »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Sir!«

      Jennifer riss mir das Board aus der Hand und kletterte in die Kanzel. Während ich auf Reynolds wartete, warf ich einen skeptischen Blick durch das Hangartor in die Weiten des Alls diesseits der Neptunbahn hinaus. Obwohl nichts zu sehen war außer dem blassen Sternenhintergrund, der durch die Innenbeleuchtung des Decks abgeblendet wurde, quälte mich die Vorstellung, man müsse ganze Wolken von Asteroiden herantrudeln sehen.

      Reynolds sah aus, als sei er mit einer ziemlich harten Bruchlandung in der Schleusenkammer aufgeschlagen. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, aber er schüttelte den Kopf und zwängte sich an mir vorbei auf die Ladefläche der EVA.

      »Alles in Ordnung«, stöhnte er.

      Immerhin hatte er einen Großteil seines Rückstandes so wieder wettgemacht. Er musste sich in einem beherzten Sprung 30 Decks nach unten katapultiert haben.

      Lambert hatte an Jennifers Seite Platz genommen. Jetzt drückte auch ich mich neben Reynolds auf einen der hinteren Sitze. Eigentlich waren die EVAs nur auf zwei Personen ausgelegt, die bei Außenarbeiten an der Hülle des Mutterschiffs zu tun hatten.

      »Dann mal los«, rief ich zu den beiden Pilotinnen nach vorne. »Uns bleiben acht Minuten!«

      Jennifer haute in Rekordzeit die Module rein und zog die Maschine hoch, während die Einstiegsluke noch gemächlich zuglitt und mit leisem Schmatzen einrastete. Die beiden Techniker waren zur Seite getreten und hatten die Hände an die Mützenschirme gelegt. Die Drohne stieg einige Meter an, senkte dann die Schnauze wie ein Kampfstier, der die Hörner nach unten nimmt, und schoss auf das geöffnete Hangartor zu. Während wir über die vorderen Sektoren des Kleinen Drohnendecks hinwegrasten, sah ich, wie überall Arbeiter und Mechaniker in ameisenhafter Geschäftigkeit dabei waren, Drohnen und Shuttles zu sichern, die Robotkräne aufprallsicher zu verankern und die Feldgeneratoren zu prüfen, die auf vollen Touren liefen, um die Abschirmung zu gewährleisten. Auch hier schrillten die Sirenen ihren markerschütternden Rhythmus durch die Halle, die im pulsend roten Licht zu wanken schien. Wachtrupps und Sanitätsstaffeln kamen aus den Schleusen geströmt wie Termiten aus einem Leck ihres ockerfarbenen Baus. Durchsagen, Kommandos und hupende Signale tönten durch den kilometerlangen Raum. Das Schiff bereitete sich auf eine gefährliche Prüfung vor, vielleicht sogar auf eine tödliche Verwundung, dennoch wirkte die tausendfache, bis ins Kleinste koordinierte Aktivität belebend. Angst und Unsicherheit fielen von mir ab, als wir im Tiefflug auf das schwarze Rechteck zurasten. An den Sternen, die jenseits des Hangartores sichtbar waren, konnte man die Drehbewegung ablesen, die die MARQUIS DE LAPLACE ausführte. Die Sterne schienen in einem beschleunigten Untergang über die Backbordseite wegzusacken. Plötzlich verzerrte ein Schlingern diese Bewegung. Das Schiff rollte.

      »Achtung!«, kreischte Jill.

      Das offene Tor war plötzlich um etliche Bogengrad nach unten gerutscht. Wir hielten direkt auf die obere Strebe zu, die das Tor zur Deckenkonstruktion hin begrenzte. Mit einem Fluch drückte Jennifer die Maschine nach unten und erhöhte den Schub, um die Unwucht aufzufangen, die durch die Eigenträgheit der Drohne hervorgerufen wurde. Wir wurden aus unseren Sitzen gehoben und zogen unwillkürlich die Köpfe ein. Aus den Seitenfenstern sah ich, wie kreisförmige Druckwellen, die sich konzentrisch ausbreiteten, durch das ganze Deck liefen. Hundert Meter entfernt löste sich ein Shuttle aus seiner Verankerung und stürzte zur Seite, wobei es mehrere Arbeiter unter sich begrub. Ein Treibstofftank explodierte in einer blauen Pilzwolke, deren Donner durch die Halle rollte. Im gleichen Augenblick durchbrachen wir das Kraftfeld, das die Atmosphäre im Inneren des Schiffes hielt, und schossen in den schwarzen Raum hinaus.

      »Was war das?«, fragte Jennifer konzentriert.

      »Verflucht«, stöhnte Reynolds.

      Ich wußte nicht, ob sich das auf den schweren Unfall bezog, dessen Zeuge wir gerade noch geworden waren, oder ob er sich beim Sturz durch den Serviceschacht nicht doch eine Verletzung zugezogen hatte.

      Der Sternenraum lag ruhig und unbewegt vor uns. Milliarden Lichtpunkte standen regungslos im dichten schwarzen Samt. In der Ferne, auf einer Fünf-Uhr-Position, sah man die dunkelblaue Scheibe des Neptun. Zwei seiner Monde zogen als winzige felsgraue Sicheln vor dem riesigen nachtfarbenen Gasball dahin.

      Jennifer stieg einige hundert Meter über die MARQUIS DE LAPLACE auf und zog die EVA dann herum, um auf die Längsachse des Mutterschiffes einzuschwenken. Wie immer, wenn ich mich längere Zeit nicht außerhalb des Schiffes befunden hatte, überwältigte mich der Anblick seines gewaltigen silberglänzenden, das Sternenlicht spiegelnden Titancorpus'. In den vielen Monaten, die wir während der letzten Warp-Passage auf der Rückreise vom Sirius-System an Bord verbracht hatten, war das Schiff uns eine Heimat geworden, dass wir seine Atmosphäre für so natürlich wie die irdische und seinen metallenen Boden für so festgegründet wie die Mutter Erde hielten. Erst jetzt wurde uns wieder bewusst,

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